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Kunst

"Echte Dekolonialisierung muss weh tun"

Andrea Kasiske
9. Juni 2018

Die Berlin Biennale feiert unter dem Motto "We don't need another hero" ihren 10. Geburtstag. Yvette Mutumba vom Kuratorenteam spricht über Postkolonialismus, nervige Helden und zeitgenössische Kunst.

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Yvette Mutumba
Bild: Getty Images/R. Kim

Die 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst wird von einem schwarzen KuratorenInnen-Team geleitet. Neben der Südafrikanerin Gabi Ngcobo gehören ihm Serubiri Moses aus Uganda, die US-Amerikanerin Nomaduma Rosa Masilela, Thiago de Paula Souza aus Brasilien und die Afro-Deutsche Yvette Mutumba an. Fest steht: Klischees werden sie nicht bedienen. Die DW hat mit Yvette Mutumba, Gründerin der Website "C&" für zeitgenössische internationale Kunstproduktion, über Postkolonialismus und nervige Helden gesprochen.

Deutsche Welle: Die erste Berlin Biennale 1998, geleitet von Klaus Biesenbach und den Kuratoren Nancy Spector und Hans Ulrich Obrist, war überwiegend weiß und europäisch. Dieses Jahr gibt es ein vierköpfiges KuratorInnen-Team um Gabi Ngcobo, alle mit afrikanischem Background. Ein Statement?

Yvette Mutumba: Es ist ein Statement von Seiten der Berlin Biennale, dass sie eine Kuratorin wie Gabi Ngcobo ausgewählt haben. Ich denke, das kommt mit dem ganzen Trend der globalen Kunst, die außerhalb von Europa und den USA gedacht wird. Es gab eine starke Reaktion darauf, dass es fünf "Afro- Kuratoren" sind. Aber es ist uns sehr wichtig zu betonen, dass "Schwarz-Sein" nicht unsere Expertise ist. Natürlich wird die Künstlerauswahl anders sein als bei den vorherigen Biennalen. Aber das liegt eher daran, dass wir an Debatten und künstlerischen Positionen interessiert sind, die sich mit unseren Realitäten verbinden.

Wir sind alle sehr erfahrene Kuratoren und Kunstpädagogen und wir arbeiten in einem Kunstfeld. Aber natürlich geht es da nicht ausschließlich darum, dass wir jetzt schwarz sind. An diesen Reaktionen hat sich gezeigt, dass immer noch viele Hierarchien und Wahrnehmungen eine Rolle spielen - auch wenn die Kunstwelt das von sich selber nicht sagen würde, weil sie sich für sehr international hält. Wir versuchen bewusst, dagegenzuhalten. Wir haben ganz bewusst Wörter wie Afrika, Postkolonialismus, Kolonialismus oder Diversität nicht verwendet. Auch wenn es um wichtige politische Themen geht, versuchen wir, einen Schritt weiterzugehen und unsere eigene Sprache zu finden.

10. Berlin-Biennale beginnt

Aufarbeitung des kolonialen Erbes ist ein wichtiges Thema, nicht zuletzt in Berlin. Nicht nur das Ethnologische Museum sieht sich mit Rückgabeforderungen konfrontiert, auch das Humboldt Forum kümmert sich explizit um diese Thematik. Wie stark wird das Thema auf der Biennale vertreten sein?

Als bekannt wurde, dass nicht nur Gabi, sondern wir als Team dabei sein werden, kam die Frage auf: "Wie dekolonialisiert ihr jetzt die Biennale?"  Das ist nicht unser Job, aber wir hinterfragen die Begriffe und versuchen, eine neue Sprache zu finden. Es gibt jetzt so viele Institutionen, die sich mit dem Thema Dekolonialisierung beschäftigen. In bestimmten Situationen ist dann gar nicht mehr klar, was mit dem Begriff gemeint ist.

Es ist so ein bisschen wie Dinge abhaken: Man hat dann seine Konferenz zu dem Thema gemacht, Leute eingeladen, und dann macht man irgendwie weiter. Wir sagen, das muss tiefer gehen. Wenn man von einer echten Dekolonialisierung sprechen will, muss es eigentlich weh tun. Und das sollte aus der Institution heraus kommen. Da können wir nicht sagen, wir erzählen euch jetzt mal, wie ihr es machen müsst. Wir bewegen uns alle in einem postkolonialen Kontext. Und nicht nur wir, sondern auch die Institutionen, wo vielleicht nur weiße Kuratoren arbeiten.

Berliner Biennale - Kuratorisches Team
Das Kuratorenteam der 10. Berlin Biennale 2018Bild: berlinbiennale/F. Anthea Schaap

Wie sieht die Künstlerliste aus? Wird es besonders viele schwarze KünstlerInnen geben?

Wenn man sich die Künstlerliste ansieht, dann merkt man, dass da viele Künstler aus der afrikanischen Diaspora oder aus der Karibik kommen. Das war aber ein natürlicher Prozess. Wir haben überlegt: Was finden wir wichtig? Was interessiert uns gerade? Welche Positionen spiegeln das wider? Wie verbinden die sich mit bestimmten Historien und Gegenwärtigkeiten? Wir haben Positionen z.B. von Zuleikha Chaudhari oder Firelei Báez von der Akademie der Künste, die beziehen sich einerseits ganz konkret auf Berlin und Deutschland. Aber sie beleuchten auf einer Metaebene auch bestimmte Wissenssysteme neu, die hier in Europa als selbstverständlich gelten. 

Könnten Sie das etwas konkretisieren? Welche Themen gibt es? Der Titel heißt ja, nach einem Song von Tina Turner: "We don't need another hero". Also keine Helden, keine "Erlöser" mehr?

Ich würde nicht sagen, dass es ein spezifisches Thema der Biennale in dem Sinne gibt. "We don't need another hero" ist weniger als ein negatives Statement gemeint im Sinne von "Ihr Helden nervt uns alle", sondern positiv besetzt: Wir können kollektiv viel schaffen. Und das WIR kann man auch als Mikroform sehen: wir als Gruppe der Kuratoren genauso wie andere Personen, die sich damit identifizieren, wie wir sprechen, wie wir mit Dingen umgehen - das WIR der Künstler. Das kann also ein kleines und ein großes WIR sein. Das haben wir in der Ausstellung genauso wie im Vermittlungsprogramm aufgegriffen.

07.06.2016 DW Kultur.21 Berlin Biennale
Impression von der 9. "Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst" (04.06.-18.09.2016)

Global gesehen ist die Suche nach einer politischen Leitfigur ja gerade groß. Sie praktizieren die Gegenposition. Können wir von der Kunst lernen?

Gabi Ngcobo hat sich sehr bewusst dafür entschieden, mit einem Team zu arbeiten - weil sie eigentlich nie alleine arbeitet und immer kollaborative Projekte macht. Sie hat mit uns allen schon  auf unterschiedlichen Ebenen gearbeitet, wir haben zusammen schon vorher größere Ausstellungen kuratiert.

Als bekannt wurde, wer die Gruppe der Kuratoren ist, dass sie alle schwarz sind, war klar, dass es zu einer gewissen Erwartungshaltung kommen würde. Dem wollten wir mit dem Titel etwas entgegensetzen. Auch unser Vermittlungsprogramm, das seit einem Jahr zu dieser Biennale hinleitet, heißt ganz bewusst "I am not who you think I am not". Eine doppelte Verneinung: "Ich bin nicht die/derjenige, von der/dem du denkst, dass ich es nicht bin." Soll heißen: es ist doch alles ein bisschen komplizierter als die simplen Fragen "Wer sind wir?", "Was machen wir?" und "Was denken wir?"

Das Interview führte Andrea Kasiske.