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Russische Politik ist wie eine Krankheit

14. Juni 2018

Mit seinem Buch "Nach der Ewigkeit" war Maxim Ossipow ein Anwärter auf den Internationalen Literaturpreis für übersetzte Gegenwartsliteraturen. Mit der DW sprach er über Russlands Politik und sein Leben in der Provinz.

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Maxim Ossipow
Bild: DW/J. Vishnewetz

Deutsche Welle: Herr Ossipow, Sie werden oft mit Tschechow verglichen, der auch Schriftsteller und Arzt war. Aber Sie selbst mögen solche Vergleiche nicht. Warum?

Maxim Ossipow: Hätte ich einen Bart, würde man mich dann mit Tolstoi vergleichen? Eigentlich sollte man bescheiden sein. Nun, es ist einfach Zufall: Tschechow war Arzt und ich bin Arzt, Tschechow schrieb Erzählungen und ich schreibe auch welche.

Beeinflussen sich Medizin und Literatur gegenseitig?

Ich versuche, das nicht zu vermischen. Ein Arzt ist ein Arzt und ein Schriftsteller ist ein Schriftsteller.

1992 haben Sie eine erfolgreiche Karriere als Mediziner in den USA aufgegeben und sind nach Russland zurückgekehrt. Fiel Ihnen diese Entscheidung schwer?

Nein. Ich war schon als Junge von einem regimekritischen Umfeld der Familie sehr geprägt. In der russischen Kleinstadt Tarussa, wo ich meine Kindheit verbrachte, lebten bekannte Menschenrechtler. Und Ende der 1980er Jahre geschah das, wovon ich geträumt hatte: Russland warf den Kommunismus ab und ich wollte etwas für mein Land tun. Ich kam nach Moskau. Ich hatte das Gefühl, dass dies meine Zeit und mein Land ist. Ich eröffnete einen Verlag. Wir begannen, Bücher aus dem Englischen zu übersetzen. Damals gab es die Chance, dass das Land einen menschlicheren Weg geht, als den, den es letztlich eingeschlagen hat.

Das heißt, Ihre Hoffnungen wurden nicht erfüllt?      

Nein, und zwar in vielerlei Hinsicht nicht. Aber wenn ich mir meine Freunde anschaue, die ins Exil gegangen sind, kann ich nicht sagen, dass ich dann darüber nachdenke, was hätte sein können. Wahrscheinlich wäre das Leben anders gelaufen. Aber dann hätte es weder Tarussa noch mich als Schriftsteller gegeben. Heute habe ich die Möglichkeit, zu schreiben was ich will. Widerlich ist nur, dass die Politik immer mehr Raum einnimmt. Sie beeinflusst alles, es ist wie eine Krankheit. Natürlich will man wieder gesund werden; dieser Wunsch ist am stärksten. Wir alle, die ganze Gesellschaft, oder ein Teil von ihr, wollen schnell wieder gesund werden. Aber das will einfach nicht gelingen und wird wohl in naher Zukunft auch nicht gelingen.

Warum sind Sie von Moskau nach Tarussa gezogen?

In den 2000er Jahren habe ich meinen Verlag verloren und ich wollte wieder als Arzt arbeiten. In Moskau war das schwierig und in Tarussa viel leichter. Es ist einfacher, etwas von Grund auf neu aufzubauen. Dank einem Freund, einem amerikanischen Unternehmer, kam ich an Geld für eine neue Ausrüstung und wir begannen, aus einem Provinz-Krankenhaus ein modernes Herzzentrum zu machen. Aber die städtischen Beamten konnten das nicht nachvollziehen und behinderten uns dabei. Das war im Jahr 2008. Dmitri Medwedew war gerade Präsident geworden und es setzte ein kurzes Tauwetter ein. Die Öffentlichkeit und die Medien unterstützten uns und so konnte das kardiologische Zentrum schließlich eingerichtet werden.

Hier in Tarussa, 120 Kilometer von Moskau entfernt, gefällt es mir besser als in der Hauptstadt. Hier gibt es viel mehr Freiheit. Ich mag es wirklich nicht, wenn über uns gesagt wird, wir seien Helden. Wir, meine Kollegen und ich, haben uns nur Bedingungen geschaffen, unter denen wir gerne arbeiten. Auch mein Sohn ist hier als Arzt tätig. Es lässt sich hier sehr schön und frei leben.

Cover des Buches von Maxim Ossipow "Nach der Ewigkeit"
Bild: Hollitzer Verlag

Basiert das, was Sie schreiben, auf wahren Begebenheiten?

Alles, was in dem deutschen Buch "Nach der Ewigkeit" enthalten ist, ist künstlerische Prosa. Zugleich ist die Grenze zwischen der möglichen Welt und der realen Welt immer sehr verschwommen. Das zeigt zum Beispiel auch die Erzählung "Der polnische Freund". Es ist eine ziemlich wahre Geschichte: Meine Tochter war auf dem Weg zu ihrem künftigen Ehemann nach Frankfurt und der Grenzpolizist erkundigte sich nach dem Zweck ihrer Reise. Sie sagte: "Ich habe hier einen Freund." Der Grenzpolizist fragte, wieso sie mit einem polnischen Visum komme. Um nicht ins Detail zu gehen, antwortete sie: "In Polen habe ich auch einen Freund." Der Grenzpolizist grinste und ließ sie rein. Danach beginnt die Fiktion. Ein anderes Beispiel ist die Erzählung "An der Spree", in der die Heldin herausfindet, dass sie eine deutsche Halbschwester hat und diese sie aber nicht sehen will. In der Tat kenne ich eine ähnliche Geschichte, wo ein Spion praktisch zwei Familien hatte. Aber in der Realität endet die Geschichte völlig anders, denn die Mädchen wurden Freundinnen.

Ihren Erzählungen nach zu urteilen kennen Sie Deutschland gut.

Meine Tochter lebt in Deutschland. Sie ist Violinistin und spielt im "Eliot Quartett". Ich bin sehr stolz darauf, dass gerade ich auf diesen Namen gekommen bin. Außerdem hat die deutsche Übersetzerin meines Buches "Nach der Ewigkeit", Birgit Veit, einen Monat lang in Tarussa gewohnt und hier vor Ort gearbeitet.

Das Gespräch führte Yulia Vishnevetskaya.

Das Buch "Nach der Ewigkeit" des russischen Prosaautors und Kardiologen Maxim Ossipow ist im Hollitzer Verlag, Wien, erschienen. Der "Internationale Literaturpreis - Haus der Kulturen der Welt" zählt zu den etablierten Auszeichnungen für internationale Erzählliteraturen der Gegenwart und deren deutsche Erstübersetzung. Seit 2009 zeichnet er jährlich ein Duo aus Autor und Übersetzer aus. Verliehen wird der Preis vom Haus der Kulturen der Welt und der Stiftung Elementarteilchen. In diesem Jahr durften sich die Kroatin Ivana Sajko und ihre Übersetzerin Alida Bremer über die Auszeichnung freuen