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Ein wahrer Tierfreund isst keine Tiere

19. August 2018

Während wir den geliebten Hund streicheln, essen wir das Rind. Wir diskriminieren die eine Art und werten die andere auf. Klingt vertraut? Genau! Wir sprechen allerdings nicht von Rassismus, sondern von Speziesismus.

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Symbolbild: Grillen im Garten
Bild: picture-alliance/dpa/M. Wüstenhagen

Als ich vor 18 Jahren aufgehört habe Fleisch zu essen, geschah das vor allem aus einem Grund: Ich wollte keinen Unterschied mehr machen zwischen meinen Haustieren, die ich innig geliebt habe und dem namenlosen Wesen, das zerstückelt auf meinem Teller lag.

Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, dass ich sie alle aufgegessen hätte. Mein Pferd genauso wie das zur Bratwurst modellierte Schwein. Ich habe mich gefragt: Kann ein wahrer Tierfreund überhaupt irgendein Tier essen? "Nein", sagt Gabriela Kompatscher, Latinistin und Wissenschaftlerin der interdisziplinären Forschungsgemeinschaft Human-Animal Studies.

Linguisten, Historiker, Philosophen, Psychologen und Naturwissenschaftler versuchen innerhalb der Human-Animal Studies die Entwicklung der menschlich-tierischen Beziehung nachzuvollziehen. Unter anderem befassen sich die Forscher mit dem höchst ambivalenten Verhalten, das Menschen den verschiedenen Tierarten gegenüber an den Tag legen.

Tierliebe hat enge Grenzen

Wir streicheln unseren Hund, während wir das Steak essen. Es ist ein von sogenanntem Speziesismus geprägter Blick, den wir auf Tiere haben: Die einen lieben wir, die anderen essen wir, es ist eine Diskriminierung aufgrund der Art, der das Tier angehört. Speziesimus ist nach einer Definition des australischen Philosophen Peter Singer analog zum Rassismus oder Sexismus zu verstehen. Das Unglück der Kuh besteht allein darin, nicht als Hund geboren worden zu sein.

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Tausende Hühner, eingepfercht in einem Stall. Gut findet das kaum einer. Aber schlimmer wär's, wenn's Katzen wärenBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Erschöpft sich die Daseinsberechtigung der Tiere darin, dem Menschen zu dienen? Als Nahrung, zur Unterhaltung, als Versuchskaninchen? Oder haben Tiere nicht auch um ihrer Selbst willen ein Recht auf Leben? Und schließlich: Ist der Mensch dem Tier eigentlich so überlegen, wie er selbstverständlich annimmt?

Die Human Animal Studies sind zwar ein relativ junger Forschungsbereich. Die Fragen, denen die Wissenschaftler nachgehen, sind indes alles andere als neu. Kompatscher ist außerordentliche Professorin an der Universität Innsbruck und durchforstet als Latinistin mittelalterliche und antike Texte nach Hinweisen auf das frühere Mensch-Tier-Verhältnis.

Die Krone der Schöpfung? 

Geteilter Meinung war man schon damals. Der vorherrschenden These der Antike, die dann auch von den frühen Christen so übernommen wurde, alles, auch die Tiere, sei für den Menschen da und stünde zur freien Verfügung, widersprach der Philosoph Kelsos (lat. Celsus). Er räumte den Tieren dasselbe Recht auf Leben und Nutzung natürlicher Ressourcen ein wie den Menschen.

Biologisch gesehen habe der Speziesismus durchaus Sinn ergeben, sagt Kompatscher. "Die Überhöhung der eigenen Art bei gleichzeitiger Abwertung anderer Arten, schützt erstmal die eigene Spezies." Dazu seien religiöse Vorstellungen gekommen, die den Menschen zur Krone der Schöpfung stilisierten.

"Die Annahme, dass der Mensch generell überlegen ist und sich das Tier unterwerfen darf, prägt bereits den Sozialisationsprozess von kleinen Kindern", sagt die Soziologin Reingard Spannring, die gemeinsam mit Kompatscher das Buch "Human Animal Studies: Eine Einführung für Studierende und Lehrende" verfasst hat. Kindern werde von klein auf vermittelt, dass Tiere im Sinne des Menschen zu funktionieren haben - vor allem als Nahrungsmittel.

Einige Tierarten hatten das Glück, dass der Mensch sie zum Gefährten erkoren hat. Doch während hierzulande Hunde, Katzen und Meerschweinchen als Familienmitglieder gelten, landet der Hund in China in der Pfanne und das Meerschweinchen beendet sein Leben in Südamerika als gegrillte Zwischenmahlzeit. In Indien gilt die Kuh wiederum als heilig und genießt deshalb einen besonderen Schutzstatus.

Ein bisschen Reue bleibt

Selbst wenn das Töten von Tieren gesellschaftlich vollkommen legitimiert ist, so ganz wohl war den Menschen dabei nie. Kompatscher erzählt von Ritualen, mit denen man bereits im Mittelalter das Tier vor der Schlachtung um seine Zustimmung gebeten hat. Von feierlichen Begräbnissen der tierischen Knochen, von Gebeten.

Einige afrikanische Stämme und Naturvölker bitten die erjagte Beute auch heute noch auf diese Weise um Verzeihung und danken für deren Opfer, weiß der Philosoph Kai Horsthemke, der das Mensch-Tier-Verhältnis in afrikanischen Ländern untersucht. 

"In den ländlichen Regionen werden auch die Nutztiere viel stärker als Individuen wahrgenommen. Da gibt es oft sehr enge und persönliche Beziehungen", sagt Horsthemke. Je dichter man allerdings an die Großstädte Afrikas heranrücke, desto mehr Massenbetriebe ließen sich finden. 

Entfremdung macht uns blind

Überall dort, wo Menschen nicht mehr selber schlachten, häuten und ausweiden müssen, beginnt ein Entfremdungsprozess. Der Tod der Tiere wird unsichtbar. Das Tier verliert nicht nur seine Individualität, weil wir es nur noch stückchen- oder scheibchenweise zu Gesicht bekommen, können wir sogar erfolgreich verdrängen, dass es sich überhaupt um ein Tier handelt. 

Fleischtheke im Supermarkt
Lecker! Aber nur, solange wir nicht an das Individuum und seine Qualen denken müssenBild: picture-alliance/Global Travel Images

Also verdrängen wir die schockierenden Bilder aus den Massentierställen oder das Wissen darum, dass Tiere Schmerzen empfinden können, genauso wie Angst und Stress.

"Psychologen sagen, dass wir Tiere eigentlich nicht quälen wollen. Aber wir wollen Fleisch essen", sagt Gabriela Kompatscher. Es entstehe eine kognitive Dissonanz, ein Spannungszustand zwischen Denken und Handeln. Hier helfen Bio-Siegel, das schlechte Gewissen zu beruhigen oder Werbung mit glücklichen Kühen, die uns einen Moment glauben macht, dass es den Tieren gar nicht so schlecht gehen kann. 

Eine wesentliche Frage beantwortet aber auch die effizienteste Gewissensberuhigung nicht. Es ist die ethische Frage, die sich die Wissenschaftler der Human Animal-Studies stellen: Sollen wir Tiere überhaupt für unsere Zwecke benutzen dürfen? Sie essen, ihnen die Haut abziehen, in Laboren an ihnen experimentieren? "Wir tun es, weil wir es tun können", sagt Spannring. Ob wir es tun müssen, darüber wird gestritten. "Ob wir es tun sollten, wird gar nicht erst gefragt", sagt die Soziologin.