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Politik

Güler: "Wir sind Teil dieser Gesellschaft"

Kersten Knipp | Thomas Spahn
15. September 2018

"Wir leben in einem Einwanderungsland", betont Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in NRW. Und die rassistischen Übergriffe in Chemnitz zeigten: Auch Rechtsextreme seien ein "Integrationsproblem".

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Serap Güler, Staatssekretärin Integration NRW
Bild: DW

Serap Güler: "Woher soll ich denn kommen?"

Integration hat nichts mit dem Pass zu tun, sagt Serap Güler: "Ich habe dreißig Jahre in diesem Land als türkische Staatsbürgerin gelebt, ohne mich desintegriert zu fühlen." Sie habe "nicht ganz woanders sein" wollen als ihre Eltern, Einwanderer der ersten Generation aus der Türkei, erklärt die Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration im Kabinett von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, die auch Mitglied im CDU-Bundesvorstand ist.

Den Ausschlag gegeben habe dann die Möglichkeit, an der Wahlurne die politische Entwicklung Deutschlands mitbestimmen zu können. So entschied sie sich nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2010, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Aber, betont sie im Interview der Woche mit der DW, Zugehörigkeit habe "eher emotionale Gründe: Ganz viele Menschen, die nicht den deutschen Pass haben, fühlen sich diesem Land ja auch zugehörig. Auf der anderen Seite haben Sie auch Menschen, die vielleicht seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, den deutschen Pass haben und sich nicht zugehörig fühlen."

60 Jahre Zuwanderung aus der Türkei

1958 kamen die ersten Türken als Arbeitsmigranten nach Deutschland. In jenem Jahr waren es rund 150 junge Männer, die hier eine Berufsausbildung machten. In größerem Stil setzte die Einwanderung drei Jahre später ein, 1961, angestoßen durch das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei. 

Türkische Gastarbeiter treffen in Deutschland ein
Ankunft in Deutschland: türkische "Gastarbeiter" auf dem Flughafen Düsseldorf, 1961Bild: picture-alliance/dpa/W. Hub

Als die Wirtschaft der Bundesrepublik in eine Rezession schlitterte, verhängte die Bundesregierung 1973 einen Anwerbestopp für die sogenannten "Gastarbeiter". Er galt für Personen aus fast allen Ländern, mit denen Anwerbeabkommen bestanden. Es wanderten allerdings auch weiterhin Menschen aus der Türkei ein, überwiegend nachziehende Ehepartner und Kinder.

Nach dem Militärputsch 1980 kamen wieder mehr Türken nach Deutschland. Die meisten stellten hier einen Asylantrag. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl plante eine massive "Rückführung" der Türken - setzte sie dann aber doch nicht um. Heute gelten rund drei Millionen Menschen in Deutschland als türkeistämmig, weil sie entweder selber eingewandert sind oder mindestens ein Elternteil.  

Zwischen Zugehörigkeit und Angst

Aber sind diese Menschen in der Bundesrepublik angekommen? Diese Frage lasse sich ihre eigene, die zweite Generation der hier lebenden Türkeistämmigen, noch gefallen, sagt Serap Güler, "aber es wird schon als nervig empfunden". Wenn aber Menschen aus der dritten Einwanderergeneration gefragt würden, woher sie kommen, dann reagierten sie darauf "patzig", etwa: "Ja, woher soll ich denn kommen, ich komme genauso wie du aus Deutschland." Und das sei ein gutes Zeichen, so die Staatssekretärin: Denn "daran merkt man ja, dass Menschen sich eben nicht alltäglich mit solchen Fragen beschäftigen wollen, weil sie sich als ein selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft sehen".

Serap Güler, geboren 1980 in der Ruhrgebietsstadt Marl, machte 1999 das Abitur, danach eine Ausbildung im Hotelwesen, studierte Kommunikationswissenschaft und Germanistik. Anschließend ging sie in die Ministerialverwaltung in Nordrhein-Westfalen. Seit 2012 gehört sie zum CDU-Bundesvorstand, seit 2017 ist sie Staatssekretärin.

Deutschland Brandanschlag in Solingen
Rassistischer Mord: der Brandanschlag in Solingen, 1993 Bild: Imago/Tillmann Pressephotos

Eine höchst erfolgreiche Karriere also. Wie hat sie als Kind türkischer Einwanderer die rassistischen Anschläge zu Beginn der 1990er Jahre erlebt, in Rostock und Hoyerswerda, in Mölln und Solingen? Solingen, erinnert Güler sich, "da war ich dreizehn. Ich habe vor allem die Angst meiner Eltern damals mitbekommen und die Diskussionen innerhalb der türkischen Community, dass man sich jetzt vielleicht doch lieber auf den Weg in die Heimat macht. Dass man hier anscheinend so unerwünscht ist, dass man sich doch sicher in der Heimat fühlt."

"Wir müssen konsequenter abschieben"

Ihr Mutter, sagt sie, sei für sie "eine der stärksten Frauen, die ich kenne", und sie habe sie nur zweimal im Leben ängstlich erlebt - nach dem Anschlag in Solingen und nach den Ausschreitungen in Chemnitz Ende August dieses Jahres. Durch Zufall hätten sich ihre Eltern in der Nähe der sächsischen Stadt aufgehalten. Eigentlich wollten sie Chemnitz auch besuchen, hätten sich aus Angst dann aber dagegen entschieden. "Und das sind Dinge, die wir sehr ernst nehmen müssen, und die natürlich einem auch Sorge machen."

Die Proteste und rassistischen Übergriffe in Chemnitz begannen, nachdem dort ein Deutsch-Kubaner mutmaßlich durch zwei Asylbewerber zu Tode kam. Beide sollten bereits abgeschoben sein. Auch gegen Anis Amri, den Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, lag ein Abschiebeentscheid vor. Das seien belastende Missstände, sagt Güler. Es gebe offenbar Schwierigkeiten, die Entscheide umzusetzen. "Wir sind ein Rechtsstaat und dass eine Abschiebung, auch wenn sie angesetzt wird, nicht immer möglich ist, haben ja auch andere aktuelle Beispiele gezeigt." Serap Güler räumt auch ein: "Ja, wir müssen konsequenter abschieben, gerade Gefährder."

Bildergalerie Türkei Präsident Recep Tayyip Erdogan
Füllt ein polit-psychologisches Vakuum bei vielen Deutschtürken: Präsident Recep Tayyip ErdoganBild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Allerdings sei es nicht hinnehmbar, dass sich der Zorn nun gegen sämtliche Flüchtlinge richte. "Hier versucht man, etwas zu instrumentalisieren. Der Tod eines Menschen wird missbraucht, um den eigenen Ressentiments Luft zu verschaffen. Insofern bin ich dagegen, dass man solche Dinge miteinander vermischt."

Pegida - ein "soziales Integrationsproblem"

Wenn von gescheiterter Integration die Rede ist, möchte Güler den Blick gerne auch auf jene Deutschen lenken, die beispielsweise bei Demonstrationen Naziparolen skandieren und den Hitlergruß zeigen. Und "wenn Sie an bestimmte Bilder der Pegida-Bewegung denken, vor zwei Jahren, als sie mit Galgen durch die Straßen marschiert sind, wo Merkel und Gabriel draufstand - auch das ist ein soziales Integrationsproblem. Man muss auch über diese Ereignisse genauso integrationspolitisch diskutieren wie wir das bei anderen eben auch tun."

Diese "anderen", das sind zum Beispiel die Deutschtürken, die Präsident Recep Tayyip Erdogan wählen - rund zwei Drittel der in der Türkei Wahlberechtigten, also zahlenmäßig eine Minderheit der Türkeistämmigen, betont Güler. Das sei ein "Paradebeispiel für eine ziemlich falsch geführte Integrationspolitik". Erdogan sei zugute gekommen, dass er "in vielerlei Hinsicht ein Vakuum gefüllt hat": Er habe die Türkei wieder zu einer ökonomisch starken Nation gemacht und gleichzeitig den Deutschtürken das Gefühl gegeben, "dass er sich um sie kümmert". Das habe vor ihm kein anderer türkischer Präsident getan und vor allem kein deutscher Politiker. "Bundeskanzlerin Angela Merkel war die erste, die diesen Menschen gesagt hat: Ich bin auch eure Bundeskanzlerin." Vielen möge das als Selbstverständlichkeit erscheinen. "Aber manchmal müssen eben auch Selbstverständlichkeiten unterstrichen werden."

Das Interview führte Thomas Spahn.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika