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Politik

Ein "Messias" für Brasilien?

Gabriel González Zorrilla
9. Oktober 2018

Mit großem Abstand gewinnt der Rechtspopulist Bolsonaro die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Ein Sieg im zweiten Wahlgang würde ein politisches Erdbeben in Lateinamerika auslösen.

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Brasilien Wahl 2018 | Stimmabgabe Jair Bolsonaro
Bild: imago/Xinhua/T. Ribeiro

Deutlicher Vorsprung für Rechtspopulist Bolsonaro: Carolina Chimoy aus Rio de Janeiro

An knackigen Vergleichen fehlt es nicht, wenn es darum geht, Jair Bolsonaro, den Gewinner der ersten Runde der Präsidentenwahl in Brasilien zu beschreiben. Mal wird er von Experten und Journalisten als der Donald Trump der Tropen, mal als der brasilianische Le Pen bezeichnet. Einige gehen sogar einen Schritt weiter. In der US-amerikanischen Zeitschrift Foreign Policy vergleicht der argentinische Historiker Federico Finchelstein die Wahlkampfmethoden Bolsonaros mit denen von Joseph Goebbels ("Jair Bolsonaro's model isn't Berlusconi. It's Goebbels"). 

"Bolsonaro ist nicht Hitler", sagt Finchelstein im Gespräch mit der DW. "Was wir weltweit erleben ist keine Wiederkehr der alten Diktaturen oder Faschismen, sondern ein Aufstieg von Politikern, die aus der Demokratie heraus ein autoritäres System entwickeln, aber das Extrem einer Diktatur vermeiden wollen." Finchelstein, der mehrere Bücher über Populismus und Faschismus in Lateinamerika und Europa geschrieben hat und an der New School for Social Research in New York lehrt, warnt davor Bolsonaro zu unterschätzen. Dieser hatte im Wahlkampf die Demokratie mehrfach als "Schweinerei" bezeichnet und die Zeit der Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985) als eine Zeit der Stabilität.

Ein "Messias" fürs Volk

Der Sieg des Ex-Militärs, dessen zweiter Vorname "Messias" lautet, war allgemein erwartet worden. Mit satten 35 Prozent der Stimmen führte er die letzten Umfragen vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl an. Am Wahlabend selbst wurden es dann erdrutschartige 46 Prozent. Fernando Haddad, sein gefährlichster Rivale von der linken Arbeiterpartei PT, blieb weit abgeschlagen mit 28,5 Prozent auf der Strecke. Am 28. Oktober treten beide in einer Stichwahl gegeneinander an.

Ein Sieg von Bolsonaro auch im zweiten Wahlgang ist nach Einschätzung von Federico Finchelstein sehr wahrscheinlich. "Die erste Runde hat die starken antidemokratischen Reflexe in der brasilianischen Bevölkerung offenbart. Bolsonaro ist frauenfeindlich, rassistisch, autoritär, hat sich als Prophet der Gewalt präsentiert und ist trotzdem gewählt worden. Diejenigen, die ihn im ersten Wahlgang gewählt haben, werden ihn höchstwahrscheinlich auch im Zweiten wählen", meint Finchelstein. 

Daniel Flemes vom Hamburger GIGA-Institut für globale und regionale Studien ist da zurückhaltender: "Ich glaube, das ist kaum zu prognostizieren. Viel wird davon abhängen, wie die beiden Kandidaten die kommenden drei Wochen für sich nutzen. Ob es einerseits Bolsonaro schafft die Ablehnung gegen sich zu senken und sich zu mäßigen, und ob es andererseits Haddad schafft sich von seiner eigenen Partei zu emanzipieren und ein sicherheitspolitisches und ein Antikorruptionsprofil zu entwickeln."

"Hitler ist wieder da"

Doch bei einigen politischen Beobachtern in Lateinamerika macht sich schon jetzt Endzeitstimmung breit. "Brasilien hat die Wahl zwischen Vergangenheit und Abgrund", titelt ein Kommentar in der argentinischen Wochenzeitung "Perfil". Nach dem ersten Wahlgang antwortet der argentinische Politikwissenschaftler Esteban Actis auf Twitter knapp: "Der Abgrund ist da." Ein anderer Journalist klärt die Leser über den deutschen Bestseller "Er ist wieder da" von Timur Vermes auf und betitelt den eigenen Artikel mit "Hitler ist wieder da".

Brasilien: Jair Bolsonaro und Fernando Haddad
Jair Bolsonaro (links) gewann die erste Runde der Präsidenschaftswahl vor seinen Rivalen Fernando HaddadBild: Reuters/P. Whitaker/N. Doce

Sollte Bolsonaro auch den zweiten Wahlgang für sich entscheiden, hätte dies äußerst beunruhigende Auswirkungen auf die Zukunft der Demokratie in der gesamten Region, glaubt Federico Finchelstein. Die Gefahr bestünde vor allem darin, dass Brasilien als größte Demokratie Lateinamerikas als Vorbild für andere populistische und fremdenfeindliche Politiker und Parteien dienen könnte. "Andererseits haben sich andere konservative Regierungen in der Region, sei es Macri in Argentinien, Piñera in Chile oder sogar Duque in Kolumbien nicht so stark mit Diktaturen identifiziert, wie dies Bolsonaro in Brasilien getan hat. In Argentinien beispielsweise wäre ein Kandidat, der die vergangene Militärdiktatur lobt, undenkbar", so Finchelstein.

Daniel Flemes, der sich derzeit als Gastprofessor am brasilianischen Lehrinstitut der Getúlio Vargas Stiftung in Rio de Janeiro aufhält, erinnert daran, dass das Wahlkampfteam von Bolsonaro versucht hat, einen Regionalgipfel mit Vertretern konservativer Regierungen der Region zu organisieren. Sie wurden eingeladen um ein rechtspopulistisches Programm für die Region zu organisieren, so Flemes. "Wenn das gelingt, dann hätte dies weitreichende Folgen." 

Konsequenzen für die Demokratien

Absehbar wäre dann, so Flemes, auch ein Niedergang der regionalen Handelsallianz Mercosur, als Konzept linker Wirtschaftskooperation, zugunsten einer Stärkung der wirtschaftsliberaleren Pazifikallianz. "Bolsonaro hat bisher relativ wenig gesagt zu außenpolitischen Fragen, aber zwei, drei Punkte schon. Die Süd-Süd-Kooperation soll zurückgefahren werden, zugunsten einer stärkeren Anlehnung insbesondere an die USA, aber auch Italien und Israel."  

Flemes schließt seine Einschätzung mit einem pessimistischen Fazit: "Wenn Brasilien als Demokratie mit der weltweit drittgrößten Bevölkerung in ein autokratisches System abdriften würde, dann würde auch die Demokratie als globales Konzept weiter unter Druck geraten".

Gibt es angesichts eines Rechts-Populismus, der sich anscheinend ungebremst weltweit verbreitet, überhaupt noch einen Lichtblick in Form eines Gegenmittels? "Ja natürlich", sagt Federico Finchelstein ohne zu zögern. "Zuerst müssen sich alle demokratischen Kräfte darüber im Klaren sein, dass diese Bewegungen einen Angriff auf die Demokratie darstellen. Ich bin zwar Historiker und kein Politiker, aber ich bin davon überzeugt, dass eine programmatische und an den Sachlösungen orientierte Politik die beste Antwort auf solche Selbstdarsteller wie Bolsonaro ist. Bolsonaro hat kein Programm. Er selbst ist sein eigenes Programm. Er ist ein typischer Populist, der seine Meinung ändert, wann er will, und bei dem nur seine Entscheidungen wichtige sind." Gegen die irrationale programmatische Beliebigkeit der Populisten helfe nur eine durchdachte Vision und Programmatik der Demokraten, so Finchelstein.