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Maschenkönig Gilberto Benetton ist tot

23. Oktober 2018

Er schockte die Welt: Ein blutverschmiertes Neugeborenes, eine ölverklebte Ente oder kopulierende Pferde prangten auf Plakaten seiner Marke. Der italienische Unternehmer machte mit Mode Milliarden.

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Italien Gilberto Benetton schwarz/weiß
Er war der Zweitjüngste einer armen Bauernfamilie aus Venetien ...Bild: picture-alliance/Cesareo/Fotogramma/ROPI

Nicht jeder strickt so geschickt an seinem Erfolg. Als die Geschwister Giuliana, Luciano, Carlo und Gilberto Benetton im Frühjahr 1965 anfingen, zählte ihr Firmenname noch ganze elf Wörter: Maglificio di Ponzana Veneto dei F'lli Benetton, Società in nome colletivo. Zwei Jahrzehnte später war das Familienunternehmen aus der oberitalienischen Provinz Treviso der größte Strickwarenhersteller der Welt.

Die Marke bestand jetzt aus einem einzigen Wort: dem Zunamen der Gründer. Und dieses Wort war aufgeladen mit höchst politischen Attributen. Denn spätestens seit den 90er Jahren stand Benetton nicht bloß für Mode und Buntheit - jedes Modell wurde in 15 Farbtönen geliefert -, sondern auch für Obszönität und Skandal. So sahen es jedenfalls die Kläger, die gegen Schockfotos auf Werbeplakaten juristisch zu Felde zogen, wenn auch regelmäßig ohne Erfolg.

T-Shirt im Kugelhagel

Die Pulloverfabrikanten hatten den Fotografen Oliviero Toscani engagiert. Und der lichtete nicht etwa Strickjacken in Bordeauxrot ab, vielmehr das letzte T-Shirt eines Opfers, das im Kugelhagel des Bosnien-Krieges getötet wurde; er zeigte ein blutverschmiertes Neugeborenes in Nahaufnahme, eine ölverklebte Ente oder einen braunen Hengst, der eine weiße Stute besteigt.

Italien Luciano Benetton
... deren Erstgeborener Luciano (hier 1995) mit 14 die Schule verließ, um nach dem Tod des Vaters Geld zu verdienen ...Bild: picture-alliance/dpa

Die Motive, die der Marke weit über die Welt der Textilindustrie hinaus Aufmerksamkeit bescherten, waren für die einen "zynisch, schamlos und grässlich" - so der damalige Sprecher des Deutschen Werberats, Volker Nickel. Für die anderen waren sie ein starkes Statement gegen die Heuchelei des schönen Scheins - und ein erfrischendes Ausrufezeichen in der oft eintönigen Wäschewerbung.

Kassenwart des Erfolgs

Gilberto Benetton war nicht der kreative Kopf - diese Rolle füllte Luciano, der Erstgeborene -, er war der Kassenwart des Erfolgs. So managte er die Transformation zum weltweit agierenden Infrastruktur- und Finanzkoloss. Denn dies war bald die neue Masche der vier: Finanzbeteiligungen, an denen die Geschwister Milliarden verdienten.

Der ausgebildete Buchhalter stand dabei fast immer im Schatten. Nie war er schrill wie die Benetton-Werbung. Stets zurückhaltend im Auftreten, galt Gilberto als Ausbund an Korrektheit. Statt bunter Pullover trug er dunkle Anzüge, die knitterfrei saßen. Ausnahmen machte er nur beim Sport. Der Vater zweier Töchter fuhr gerne Rad, er spielte Rugby, Golf und Volleyball.

Italien Familie Benetton
... was allen vier Geschwistern (von links: Luciano, Gilberto, Giuliana und Carlo) fortan gut gelangBild: picture-alliance/dpa

Im Jahr 2003 zog die Gründergeneration sich aus dem operativen Geschäft zurück. Doch Ende 2017 erschien Luciano Benetton aufs neue an der Spitze, als Präsident des Verwaltungsrates; hinter dem Unternehmen lagen schwierige Zeiten mit Millionenverlusten. Auch Fotograf Toscani mischte nun wieder mit. Alles schien gut zu werden.

Dann aber brach das Unglück über eine der reichsten Familien Italiens herein. Es ist verbunden mit dem Namen einer Stadt: Genua.

Die Benettons, denen auch der Flughafen von Rom gehört, kontrollieren über eine Holding das Unternehmen Autostrade per l'Italia. Und das betreibt die Morandi-Brücke, die im August zusammenfiel und 43 Menschen in den Tod riss.

"Ewiger Schmerz in unseren Herzen"

Die öffentlichen Anschuldigungen reichten von Profitgier - die Familie habe das Geld kassiert, aber nicht in die Instandhaltung investiert - bis hin zu Respektlosigkeit wegen des langen Schweigens.

Gilberto war der erste der Benettons, der sich öffentlich zu dem Unglück äußerte. "Die Katastrophe von Genua muss für uns als Aktionäre eine ewige Warnung sein", sagte er im September dem "Corriere della Sera". Und er sprach von einem "ewigen Schmerz in unseren Herzen".

Genua warf einen dunklen Schatten auf das Erbe der Familie. Der Einsturz kam wenige Wochen, nachdem Carlo, der Jüngste unter den Geschwistern, mit 74 Jahren an Krebs gestorben war. "Die Morandi-Brücke, einen Monat nach dem Tod des Bruders - das war der endgültige Schlag", sagte Gilbertos Kindheitsfreund Giovanni Gajo der Zeitung "La Repubblica".

Nach kurzer Krankheit starb Gilberto Benetton am Montag mit 77 Jahren. Er verschied im Kreis seiner Familie zu Hause in Treviso. Als großer Unternehmer wird er in Erinnerung bleiben - oder, wie es der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toti, formulierte: als einer, der "ein Stück Made in Italy" schuf.

jj/sti (dpa, afp, munzinger)