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Wie sieht die Bibliothek der Zukunft aus?

Sabine Peschel
24. Oktober 2018

Die Digitalisierung ist in den baltischen Staaten weit vorangeschritten, während Deutschland hinterherhinkt. Im Baltikum spielen die Bibliotheken eine Hauptrolle bei der digitalen Bewahrung des kulturellen Erbes.

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Lettland Nationalbibliothek in Riga
Bild: picture-alliance/imageBROKER/S. Kiefer

Rund 120 Millionen Besucher und Besucherinnen nutzen das Bildungs- und Kulturangebot deutscher Bibliotheken im Jahr. Der Deutsche Rat für kulturelle Bildung hat im September eine Studie zur Digitalisierung des Bibliotheksangebots herausgegeben. Eines der Ergebnisse: Digitalisierung wirkt sich auf das Image und das Angebotsspektrum der Bibliotheken stark positiv aus.

Im Deutschen Bibliotheksverband weiß man das seit langem. Um es anschaulich zu untermauern, lud der Verband deshalb eine Gruppe von  Journalisten zu einer Pressereise nach Lettland und Litauen ein. Die Ausgangsfrage: Wie sollte die Bibliothek der Zukunft aussehen?

Wissen öffentlich zugänglich machen

Haben die Bibliotheken ihr Informationsmonopol verloren? Lässt sich nicht alles Wissenswerte im Internet finden? Die baltischen Staaten machen in fast perfekter Form vor, wie Bibliotheken und das Internet eine höchst fruchtbare Symbiose eingehen, wie das traditionell in Bibliotheken gesammelte Wissen und das in Archiven bewahrte historische Gedächtnis öffentlich zugänglich gemacht werden können.

Manchmal hat "Kleinsein" Vorteile. Lettland beispielsweise mit seinen nur knapp zwei Millionen Einwohnern bietet überschaubare Verhältnisse, in denen sich eine digitale Infrastruktur gut errichten und verwalten lässt. So gut, dass das Land wegen seiner weit vorangeschrittenen Digitalisierung immer mehr Startups anlockt - und bei der digitalen Bewahrung des kulturellen Erbes vorbildlich geworden ist.

Bibliotheken erschließen ein riesiges Netzwerk

Die Lettische Nationalbilbliothek in Riga (Artikelbild oben) ist schon auf den ersten beeindruckten Blick ein Fanal der Moderne. Gunnar Birkerts' "Lichtschloss"  gehört zu den großartigsten neuen Bibliotheksbauen der Welt. Das schon seit 1992 geplante, erst 2014 fertiggestellte signifikante Gebäude des lettisch-amerikanischen Architekten bietet noch immer Manuskripten, Büchern, Zeitungen und Zeitschriften Platz - insgesamt vier Millionen Objekten. Nicht nur zur physischen Nutzung, auch als Kunstobjekte und Ergebnis einer großen Publikumsaktion sind sie sicht- und greifbar.

Lettland - Nationalbibliothek in Riga
Eine meterhohe Installation aus Büchern schmückt die Halle der Nationalbibliothek in RigaBild: DW/S. Peschel

Doch wichtiger als dieser konkrete Bestand ist der digitale. Über einen Gesamtkatalog der nationalen Bibliotheken lassen sich 40 Bibliotheksdatenbanken erschließen. Alle 801 öffentlichen lettischen Bibliotheken sind in einem Netzwerk verbunden - ein riesiges Intranet. Für viele Menschen ist diese Infrastruktur inzwischen unabdingbarer Bestandteil ihres Alltags. Und sie können sie im ganzen Land mit einer einzigen Bibliothekskarte nutzen!

Über die Bibliothek ins Museum

Über die 7150 öffentlichen Terminals der Bibliotheken lassen sich Recherchen in den verschiedensten Katalogen und Datenbanken starten. Lauris aus der abgelegenen Kleinstadt Smiltene muss sich nicht mit vagen Vorstellungen begnügen, wenn er wissen möchte, ob sich die Fahrt ins Museum lohnt. Von den zirka sechs Millionen Objekten der nationalen Museen Lettlands listet der Verbundkatalog fast ein Fünftel auf, 19 Prozent aller Objekte. Das ist vier Mal so viel wie tatsächlich in Ausstellungen zu sehen ist. 120 Museen nutzen den Katalog für ihre tägliche Arbeit. Über das geschlossene Netzwerk kann Rechte-geschütztes Material genutzt werden, mit dem Bibliothekszugang auch vom heimischen Computer aus.

Die Speerspitze der digitalen Innovation in Lettland ist das "Zentrum für Kulturelle Informationssysteme". Es gehört zum Kulturministerium und kümmert sich, ausgelagert am Rand der schönen Rigaer Altstadt, um die Erschließung der nationalen Kulturschätze der verschiedensten Felder. Dabei werden Bibliotheken und Archive in einem staatlichen Archiv- und Informationssystem digital zusammengeführt.

Innovative Systeme für Archive, Museen und Bibliotheken

Wenn Ieva wissen möchte, wo ihr Großvater geboren wurde, muss sie nicht mehr staubige Folianten wälzen. Sie kann die alten Kirchenbücher zuhause am Computer prüfen, digital Karten, Studienunterlagen und andere Dokumente hinzuziehen. "Wir wollen alles vereinheitlichen", sagt Projektleiter Janis Ziedins. "Wir helfen, so weit wir können. Wir geben den Bibliotheken und Museen, Archiven und der Verwaltung Infrastruktur." Die Gelder dafür kommen zu einem großen Teil aus dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung (ERDF).

Lettland hat eines der schnellsten Internets der Welt. Erst das ermöglicht es, dass auch das digitale Film- und fotografische Archiv oder ein nationales Archive für Personaldokumente sinnvoll genutzt werden können. Es gibt ein digitalisiertes Video- und Audioarchiv mit dem schönen Namen DIVA. Über einen Bibliothekszugang lassen sich lettische Filme bequem auf dem Sofa zuhause schauen. E-Books fürs eigene - oder auch das in der Bibliothek ausgeliehene Tablet für begrenzte Zeit herunterladen.

Litauen - Stadtbibliothek in Plunge
Gut betreut und spielerisch angeleitet: Kinder in litauischen BibliothekenBild: DW/S. Peschel

Litauen: Bibliotheken haben einen sozialen Auftrag

Auch die 1919 - vor knapp 100 Jahren - gegründete Litauische Nationalbibliothek in Vilnius ist seit langem dabei, ihre alten Bestände in eine digitale Zukunft zu überführen. Seit das klassizistische Hauptgebäude nach dem Umbau im September 2016 wieder der Öffentlichkeit übergeben wurde, hat Direktor Renaldas Gudauskas die Transformation beschleunigt. Der digitalisierte Bibliotheksbestand macht als Teil der virtuellen europäischen Bibliothek "Europeana" das wissenschaftliche und kulturelle Erbe Litauens zugänglich.

Bibliotheken haben in den baltischen Ländern noch weit mehr als in Deutschland einen sozialen Bildungsauftrag. Die Stadtbibliothek Vilnius hat ein Programm entwickelt, mit dem sie versucht, Kinder aus sozial schwachen Familien zu stärken. Dabei geht es nicht um Bücher oder Comics. Litauische Softwareentwickler haben Games entworfen, die als Kommunikationsplattform für Kinder funktionieren. Maximal sechs Kinder können sich digital begegnen und mittels eines von den Kindern selber ausgestalteten Atavar über ihre Probleme sprechen. Eine ausgebildete Psychologin begleitet sie dabei - virtuell und ganz real im Nebenzimmer in der Bibliothek. Das Programm findet international Beachtung und Nachahmer.

Litauen - Stadtbibliothek in Plunge
Mit Hilfe eines Computerspiels können Kinder und Jugendliche in Litauen über ihre Probleme sprechenBild: DW/S. Peschel

Programme für junge Leute

Aber auch entlegene Regionen des kleinen Landes sind digital vernetzt. Plunges, eine Stadt von 20.000 Einwohnern, ist längst in der virtuellen Realität angekommen. 2016 wurde die Bibliothek dort für das "erfolgreichste Touristenprojekt" ausgezeichnet: Hologramme, die man auch zuhause anschauen kann. Die Bibliothek ist in einem kleinen "Palazzo Vecchio" beheimatet und liegt mitten in einem wunderschönen Park. Viele besondere Steine, Bäume und andere Pflanzen sind mit QR-Codes gekennzeichnet, über die sich Informationen abrufen lassen. Die Zielgruppe ist klar: junge Menschen.

Eine der Studien-Empfehlungen des Deutschen Kulturrates ist die verstärkte Kooperation von Bibliotheken mit Kitas und Schulen. 2015 kooperierte nur etwa jede neunte Schule in Deutschland mit einer Bibliothek. Die Digitalisierung bietet noch große Chancen.