1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Faszination Natur in der Kunst

1. November 2018

Laut WWF-Report ruinieren Menschen in rasantem Tempo die Natur. 60 Prozent der Wirbeltiere sind seit 1970 ausgestorben. Auch Künstler beschäftigt der Wandel. Eine Schau in Frankfurt spürt dem Traum von Wildnis nach.

https://p.dw.com/p/37X6m
Ausstellung Wildnis in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt
Bild: DW/H. Mund

Die unberührte Natur ist im 21. Jahrhundert nur noch ein historischer Begriff. Forscher haben längst attestiert, dass es weltweit kaum noch einen Fleck auf der Erde gibt, der nicht von der Zivilisation und dem Menschen berührt und beeinflusst ist. Nicht immer zum Guten. Reservate und Naturschutzgebiete versuchen Reste von Ursprünglichkeit und "Wilderness" der Natur zu bewahren.

Diesem Widerspruch und Spannungsfeld zwischen Zivilisation und Natur widmet die Frankfurter Schirn Kunsthalle ihre aktuelle Ausstellung "Wildnis", in der sie die jahrhundertelange Faszination von Malern und Fotografen aufblättert: von der klassischen Malerei über Fotografie bis zu KI-getriebenen Computersimulationen von "Natur".

Utopien von Ursprünglichkeit

Die Sehnsucht nach Echtheit, nach Ursprünglichkeit der Natur habe in den Jahrzehnten der Industrialisierung stark zugenommen, erklärt Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle. Die unberührte oder sich wieder überlassene "Wildnis" sei ein Gegenbild zu unseren heutigen "überkontrollierten" Welt. Die Realität erscheint rund um die Uhr medial abrufbar: durch Videoüberwachung, Wettersatelliten und Google-Maps.

Ausstellung Wildnis in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt
Kuratorin der Ausstellung Esther SchlichtBild: DW/H. Mund

Und doch zeigen diese Bilder nur Illusionen, die jede Sinnlichkeit verloren haben. Mit der aktuellen Ausstellung "Wildnis" stellt die Kunst Fragen an die Besucher und an das Kuratorenteam, die über die engen Grenzen des Musealen hinaus gehen und gesellschaftskritische und umweltpolitische Fragen berühren, erläutert Demandt.

34 Werke von sehr unterschiedlichen Künstlern hat Kuratorin und Projektleiterin Esther Schlicht ausgewählt, die dafür in die USA, nach Afrika und quer durch Europa gereist ist, um Exponate für diese ambitionierte Themenausstellung zu finden. Präsentiert wird Kunst von 1875 bis heute – mit kunsthistorischen Arbeiten, die oft erstaunlich aktuell und modern wirken.

Malerische Fotografie

Die beeindruckenden Silberprint-Fotografien des amerikanischen Fotografen Carleton E. Watkins zum Beispiel, der 1865/66 die unberührte Landschaft des Yosemite-Valley in Kalifornien auf Bildplatte gebannt hat, sind etwa zu sehen. Für seine Expeditionen musste der Fotograf mit einem ganzen Tross von Helfern und Koffern voller Glasbildplatten auf die Höhenzüge klettern.

Mit erstaunlicher Tiefenschärfe erzählen diese Fotografien von einer Zeit weit vor dem Boom im benachbarten kalifornischen Silicon Valley und der Nutzbarmachung der landschaftlichen Ressourcen. Der Computerkonzern Apple hat eines seiner Betriebssysteme "Yosemite" genannt und bietet ein Foto von der schroffen kalifornischen Gebirgslandschaft als Bildschirmschoner.

Ausstellung Wildnis in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt
Mark Dion, Mobile Wildernesss Unit (2006)Bild: DW/H. Mund

Als historischer Begriff sei "Wildnis" lange negativ besetzt gewesen, erklärt Kunsthallen-Direktor Demandt, sie habe als "dunkel und gefährlich" gegolten. Hohe Gebirge, schroffe Felsen, dunkle Wälder, Wasserfälle waren häufige Motive in der Kunst. In der Romantik, die im späten 19. Jahrhundert die Schönheit der Natur und die Natursehnsucht des Menschen in den Vordergrund stellte, spielten solche Motive ein große Rolle. Aber auch der Maler Gerhard Richter beschäftigte sich in den 1960er Jahren intensiv mit diesem Sujet.

Wildnis als Ort der Inspiration

Die Künstler der Gegenwart haben da einen anderen Ansatz. Unter den zeitgenössischen Arbeiten, die in der Schirn zu sehen sind, gibt es zivilisationskritische Arbeiten, die auch politisch klar Position beziehen. 

Die Künstlerin Lin May Saeed (Jg. 1973) hat mit deutsch-irakische Wurzeln und lebt und arbeitet seit langem in Deutschland. Sie verbindet aktivistisch-politische Momente mit dem Motiv der Rettung der Natur. "The Liberation of Animals from their Cages" heißt ihr Werk-Zyklus von grazilen Wandarbeiten aus Werkzeugstahl, die malerische Schatten werfen.

Der 57-jährige US-amerikanische Künstler Mark Dion kehrt den abgenutzten Slogan "Zurück zur Natur" einfach um: Seine Rauminstallation "Mobile Wilderness Unit" karrt den zur Ikone erstarrten Wolf auf einem Industrieanhänger ins Museum - aus der Natur zurück als ausgestopftes Tier.

Großformatige Fotografien des Schweizer Künstlers Julian Charrière überlassen den Kräften der Natur die Regie: Die Höhenzüge eines schneebedeckten Bergmassivs werden von Nebelschwaden in jeder Einstellung seiner stationären Kamera verändert. Die Bildwirkung ist frappierend. Als modernes Triptychon hängen die Arbeiten in der Ausstellung.

Natur als Erlebnisraum

Viele Künstler verließen ihr Atelier, um in der freien Natur zu malen. Oder ließen sich auf Reisen von wilden unberührten Landschaften zu ihren Arbeiten inspirieren. Der dänische Künstler Per Kirkeby war vor seiner Zeit als Künstler viel als Biologiestudent unterwegs und verarbeitete das später in seinen Skulpturen und Bildern.

Ausstellung Wildnis in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt
Frank Stella, The Grand Armada (1989)Bild: DW/H. Mund

Frank Stella, US-amerikanische Ikone der Pop Art, schlug sich lange mit dem Studium des Romans "Moby Dick" von Hermann Melville herum und kam ihm erst an der sturmumtosten Küste des Atlantiks nahe. Seine Skulptur "The Grand Armada" (1989) erzählt von dem Kampf des Menschen gegen die Ur-Kräfte der Natur.

Einer der jüngeren Künstler der Ausstellung, der 43-jährige Däne Jacob Kirkegaard, der an der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert hat, brachte von seinem Reisen erstaunliche Klänge mit: Arktische Töne von schmelzenden Eisbergen jagen dem Besucher in einer knallroten Installationshöhle Schauer über den Rücken.

"Klänge brauchen Zeit, und während man lauscht und wartet, öffnet sich häufig etwas für einen", sagte Kirkegaard einmal zu seiner Tonkunst. Die Ausstellung "Wildnis" stößt mit ihrer Sicht auf das ambivalente Verhältnis zwischen Kunst und Natur viele Gedanken an.