1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kiew duckt sich weg

Johann Bernd Kommentarbild App
Bernd Johann
17. November 2018

Seit Jahren hetzt eine ukrainische Webseite gegen angebliche "Staatsfeinde". Nun knöpft sie sich Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor, und das belastet das bilaterale Verhältnis zu Deutschland, meint Bernd Johann.

https://p.dw.com/p/38OAt
Gerhard Schröder Russland Tag 2014
Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder wird wegen seines Engagements für Russland in der Ukraine nicht geliebtBild: picture-alliance/dpa/ Jens Büttner

Seit 2014 agitiert eine Website in der Ukraine gegen Menschen. Sie nennt sich "Mirotworez" - übersetzt heißt das "Friedensstifter". Doch das ist die Plattform keineswegs - vielmehr fördert sie Hass und ruft zum Kampf gegen Andersdenkende auf. Von meist anonymen Autoren werden dort nicht nur Namen der Betroffenen veröffentlicht, sondern mitunter auch deren Telefonnummer, E-Mail-Adresse oder andere persönlichen Daten. Die Seite ist eine Art öffentlicher Pranger. Menschen werden dort zu "Feinden", "Terroristen" oder "Abschaum" erklärt, werden denunziert, diffamiert und bedroht.

Begründungen oder Belege für die erhobenen Behauptungen fehlen meist. Das Ziel aber ist deutlich: Hetze. Mehrere Tausend Namen listet die Seite inzwischen. Im Ergebnis sind die Betroffenen durchaus erheblichen Risiken ausgesetzt. Ein Beispiel: Im Jahr 2015 berichteten zwei pro-russische Aktivisten von Todesdrohungen, nachdem ihre Namen und Privatadressen auf die Liste gesetzt worden waren. Kurz darauf fielen beide einem Anschlag zum Opfer. Bis heute sind die Fälle nicht aufgeklärt.

Der ukrainische Staat gibt sich machtlos

Doch längst nicht nur pro-russische Aktivisten stehen im Fadenkreuz. Unabhängige Journalisten - die meisten von ihnen Ukrainer - sind ganz besonders betroffen. Aber auch Mitarbeiter internationaler Medien, darunter Journalisten der Deutschen Welle, sind bereits auf der sogenannten Feindesliste gelandet. Schon 2016 kam es deswegen zu einem Skandal: Journalistenverbände, Menschenrechtler, aber auch die Europäische Union und Mitgliedsländer wie Deutschland protestierten. Doch Politik und Behörden in Kiew wiegelten ab.

Johann Bernd Kommentarbild App
Bernd Johann leitet die Ukrainische Redaktion

Jetzt gibt es einen weiteren Skandal, der sogar die Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine belastet: Denn der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder ist zur Zielscheibe geworden. Seit vielen Jahren ist er als Lobbyist für die russische Gaswirtschaft tätig. Offenbar deswegen hat "Mirotworez" ihn nun zum "Staatsfeind" erklärt. Ein Interview des Altkanzlers mit einer deutschen Zeitung über die Krim soll der Anlass sein.

Wieder gibt es Protest, das Auswärtige Amt verlangt die Löschung der Website. Doch die Politik in Kiew schert das nicht. Die Bundesregierung in Berlin musste sich mit dem Hinweis zufrieden geben, dass der Server der Website im Ausland stehe. Der ukrainische Staat gibt sich machtlos. Obwohl die Internetseite nicht nur das innenpolitische Klima im Land vergiftet, sondern längst zu einem internationalen Problem für die Ukraine geworden ist. Zum Beispiel im Verhältnis zu Ungarn.

In Budapest wird von einer "Todesliste" gesprochen, weil "Mirotworez" vor kurzem Angehörige der ungarischen Minderheit in der Ukraine namentlich gebrandmarkt hat. Sie sollen ungarische Pässe besitzen. Zwar kritisiert die Politik in Kiew die aggressive Passpolitik Ungarns. Denn eine Doppelstaatsbürgerschaft verletzt geltendes ukrainisches Recht. Aber dass hunderte Menschen ungarischer Abstammung von einer Webseite direkt und pauschal als "Feinde der Ukraine" angegriffen werden und kaum jemand in Kiew dagegen das Wort erhebt, ist schockierend.

Ein Minister hat Verständnis

Manche Beobachter halten "Mirotworez" für eine regierungsnahe Website. Das ist eine Übertreibung. Aber Verbindungen in die Politik fallen schon ins Auge. Ein prominenter Unterstützer der Plattform ist seit Jahren der Parlamentsabgeordnete Anton Heraschtschenko. Bis heute lobt er deren Arbeit - trotz ihrer Hass-Botschaften. Angeblich soll er die Internetseite sogar mit initiiert haben, heißt es in Kiew. Bewiesen ist das aber nicht.

Klar ist jedoch: Heraschtschenko ist ein Vertrauter und Berater des ukrainischen Innenministers Arsen Awakow. Und genau der müsste und könnte dafür sorgen, dass der Hetzseite der Stecker gezogen wird. Aber der sonst in den Sozialen Medien so aktive Minister hält sich nun auch in der Causa Schröder bedeckt. Schon bei den Protesten 2016 äußerte Awakow Verständnis für das Vorgehen der Online-Plattform. Und so darf man davon ausgehen, dass er - wie so viele andere Politiker in der Ukraine - kein Problem darin sieht, wenn ein deutscher Altkanzler zum "Staatsfeind" erklärt wird. Auch so kann man treue Fürsprecher der Ukraine auf internationaler Ebene verprellen.