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Politik

Die Superschande

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper
26. November 2018

Nach den Gewaltausbrüchen rund um das Rückspiel der Copa Libertadores zwischen River Plate und Boca Juniors fragt sich Oliver Pieper: Wie um alles in der Welt will Buenos Aires den G20-Gipfel ausrichten?

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Argentinien Fußball Copa Libertadores-Finale
Ein Spiel, das trotz voller Ränge am Ende doch nicht stattfand Bild: Getty Images/M. Endelli

Sogenannte Fans, die den Bus der gegnerischen Mannschaft mit Steinen, Dosen und Holzlatten bewerfen; eine Mutter, die ihrer kleinen Tochter Bengalos um den Körper schnallt, um diese so ins Stadion zu schmuggeln; Hooligans, die den Zuschauern beim Verlassen des Stadions nach der Absage des Spiels ihre teuer erworbenen und weiter gültigen Eintrittskarten klauen und Autos plündern - Willkommen zum Súperclasico, willkommen zur Superschande, willkommen zur River Boca Horror-Show!

Ausschreitungen, die zu erwarten waren

"Wir hatten die Möglichkeit, der Welt zu zeigen, wer wir sind. Und das ist uns bis zur Perfektion gelungen" - heißt es in den sozialen Medien. Das Rückspiel um die Copa Libertadores, die Krone des südamerikanischen Vereinsfußballs, zwischen den beiden Erzrivalen aus Buenos Aires, Boca Juniors und River Plate, wurde von den Fans, den Medien und auch Staatspräsident Mauricio Macri, der selbst zwölf Jahre Vereinspräsident von Boca war ("Wer verliert, wird 20 Jahre brauchen, um sich davon zu erholen"), bis zum Exzess hochgejazzt.

Richtig überraschen konnten die Ausschreitungen in einem Land, in dem in den vergangenen zehn Jahren mehr als 100 Menschen rund um Fußballspiele ihr Leben gelassen haben, daher niemanden. "Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist!" - das legendäre Zitat des schottischen Trainers Bill Shankly ist in Argentinien leider immer noch brandaktuell.

Oliver Pieper Kommentarbild App PROVISORISCH
DW-Redakteur Oliver Pieper

Infantino vor Ort

Zur Wahrheit gehört eben auch, dass 211 Länder im Fußball-Weltverband FIFA organisiert sind, aber nur ein Land seit fünf Jahren aus Sicherheitsgründen nicht in der Lage ist, Fans der jeweiligen Gastmannschaften zuzulassen: Argentinien! Das wohl fußballverrückteste Land des Planeten, dessen Fans bei der WM in Russland noch ein so positives Bild abgegeben hatten, hat am Wochenende erneut bewiesen, warum das so ist: Weil die Polizei schon mit der Absicherung eines einzigen Fußballspiels wohlgemerkt: ohne Fans der Gäste! - komplett überfordert ist.

Wohlgemerkt: Die Polizei in Buenos Aires war nicht einmal in der Lage, einen Mannschaftsbus sicher ins Stadion zu geleiten. FIFA-Präsident Gianni Infantino - der auf Biegen und Brechen durchdrücken wollte, dass das Spiel trotzdem am Samstag stattfindet (aber das ist ein anderes Thema) - hat in Buenos Aires einen persönlichen Eindruck davon bekommen, was es bedeuten könnte, die Fußball-Weltmeisterschaft 2030 an Argentinien, Paraguay und Uruguay zu vergeben.

Droht beim G20-Gipfel die nächste Blamage?

Argentinien, das so vorbildlich mit dem Motto "Nuncá más" die Militärdiktatur von 1976 bis 1983 aufgearbeitet hat, ist nicht in der Lage, ein ebensolches "Nie wieder" an den Fußball zu senden. Zu einflussreich sind die Hooligans, zu korrupt die Funktionäre, zu verfeindet die beiden Traditionsklubs Boca Juniors und River Plate. Fußball am Río de Plata bedeutet nicht einfach, den Gegner zu besiegen. Nein, es geht auch darum sich über ihn lustig zu machen, ihn zu demütigen und noch einmal zuzutreten, selbst wenn er bereits am Boden liegt. Bestes Beispiel war der Pakt der beiden Präsidenten von Boca und River über das weitere Vorgehen, der nur ein paar Stunden hielt. Dann ging es wieder nur darum, den Kontrahenten mit allen Mitteln vorzuführen.

Für den G20-Gipfel in Buenos Aires am kommenden Wochenende verheißt das nichts Gutes: Die argentinische Gesellschaft ist nicht nur tief gespalten zwischen Fans von Boca Juniors und River Plate, sondern auch politisch zwischen Anhängern der Ex-Präsidentin Cristina Kirchner, die in mehrere Korruptionsskandale verwickelt ist, und ihrem Nachfolger Mauricio Macri, der mit seinem neoliberalen Kurs das Land sehenden Auges vor die Wand fährt.

Macri braucht den G20-Gipfel angesichts steigender Inflation, hoher Arbeitslosigkeit und dem Verfall des einheimischen Peso unbedingt als Erfolg - die Kirchneristas hingegen wollen ihn scheitern sehen. Auch hier gilt: Der Feind steht im eigenen Land. "Alles in meinem Leben habe ich im Fußball gelernt, nichts von der Politik" hat Macri einmal gesagt. Bleibt zu hoffen, dass der argentinische Präsident die richtigen Schlüsse aus dem Chaos des Fußball-Wochenendes zieht. Sonst droht in wenigen Tagen die nächste Superschande.

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur