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Gefahr durch tauenden Permafrost

7. Dezember 2018

Das Auftauen der Dauerfrostböden ist eine der sichtbarsten Folgen der Erderwärmung. Der Leipziger Geograph Mathias Ulrich forscht in der russischen Region Jakutien über absackende Permafrostböden.

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Klimawandel in Sibirien: der Permafrost taut
Auftauende Ablagerungen von Permafrost im Lena-Delta, JakutienBild: Instituts für Geographie der Universität Leipzig

Deutsche Welle: Herr Dr. Ulrich, auf dem 24. UN-Klimagipfel in Kattowitz (COP24) sollen die Weichen für einen effizienten Klimaschutz gestellt werden. Sie interessieren sich für die Folgen des Klimawandels für die Menschen vor Ort in Russland, für die dortige Wirtschaft. Dauerfrostböden gibt es aber auch in anderen Ländern. Warum forschen Sie gerade in Russland?

Ich habe auch auf der norwegischen Insel Spitzbergen und in den USA, in Alaska, wissenschaftlich gearbeitet. Ich selbst kann bereits auf eine langjährige und aktive Kooperation mit dem Melnikov-Permafrost-Institut in der jakutischen Hauptstadt Jakutsk zurückblicken. Zudem ist die Arbeit in Jakutien außerordentlich spannend, weil dort verschiedene Stadien der Permafrost-Degradation auf engstem Raum so anschaulich, wie in einem Lehrbuch, zu sehen sind. Bestimmte Prozesse laufen viel drastischer und schneller ab als anderswo.

Warum? 

Der Boden in Jakutien und anderen Regionen Russlands hat einen Eisgehalt von bis zu 80 Prozent, das macht den Boden extrem sensibel. Sobald dieses Eis taut, sackt er drastisch ab.

Mathias Ulrich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Geographie der Universität Leipzig, Experte für Permafrost
Mathias Ulrich beschäftigt sich seit Jahren mit Permafrost Bild: Privat

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Und genau das ist Ihr Forschungsgegenstand? 

Ja, ich erforsche tauenden Permafrost, sogenannte Thermokarst-Prozesse, und das damit einhergehende Absacken der Bodenoberfläche.

Wie verläuft dieser Prozess?

Die obere Schicht des Dauerfrostbodens taut im Sommer auf und sollte im Winter wieder zufrieren. Aber nun kommt die Klimaerwärmung, die natürliche Gründe haben mag, aber sich in den letzten circa hundert Jahren wegen des anthropogenen, menschgemachten Klimawandels radikal beschleunigt hat. Und so wird diese sommerliche Auftauzone sukzessive größer. Das stört das Gleichgewicht des Permafrostes, der darunter liegt, und der taut zunehmend auf.

Es sammelt sich Wasser, das wegen seiner thermischen Eigenschaften diesen Prozess noch mehr verstärkt. So entstehen Seen, sogenannte Thermokarst-Seen, die immer mehr und teils unaufhaltsam wachsen.      

Mit welcher Geschwindigkeit passiert das?

Die Thermokarst-Seen, die ich beobachte, auch mithilfe von Luft-und Satellitenaufnahmen, haben sich innerhalb von 20-40 Jahren gebildet. Diese Seen sind heute fast 200 Meter im Durchmesser und bis zu 5 Meter tief. Das bedeutet, dass die Oberfläche im Schnitt 7 Zentimeter im Jahr absinkt. 

Mehr dazu: Kommentar: COP24 - Schlechte Zeiten fürs Klima 

Nun könnte man sagen: Wo ist das Problem? Das alles passiert doch in der Wildnis, die Gegend ist sehr dünn besiedelt!

Aber in diesem konkreten Fall geht es um ehemalige landwirtschaftliche Flächen. Sie mussten aufgegeben werden, die Menschen können sie nicht mehr als Weideland nutzen. Ja, Sibirien ist dünn besiedelt. Aber was man nicht vergessen sollte: mehr als die Hälfte der Landfläche Russlands wird vom Permafrost unterlagert. 

Hier werden viele Rohstoffe gefördert, darunter ein Großteil des russischen Öls und Erdgases, hier gibt es recht große Städte – ich nenne mal nur Jakutsk mit nahezu 300.000 Einwohnern. Und nun stellen Sie sich vor, dass die Böden, auf denen Häuser und Betriebe stehen, auf denen Straßen, Eisenbahngleise und Pipelines verlegt wurden, jedes Jahr um mehrere Zentimeter absacken.

Ist man sich in Russland der Dimension dieses Problems bewusst?

In wissenschaftlichen Kreisen, zweifelsohne, ja. Vor Ort, beispielsweise in Jakutien, wo es ja schon zu Deformierungen und sogar zum Einsturz von Gebäuden kam, dürfte es den Leuten auch durchaus bewusst sein.

Deshalb werden ja die Gebäude dort auf Stelzen gestellt. Aber die Menschen im europäischen Teil Russlands, wo der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt, in Moskau oder Sankt-Petersburg, unterschätzen meinem Eindruck nach die Geschwindigkeit und die Folgen der Permafrost-Degradation.   

Welche weitergehenden Folgen hat es für die Bevölkerung und die Natur?

Die Folgen sind ganz vielfältig! Die indigenen Völker verlieren ihre gewohnten Lebensbedingungen. Die Natur ändert sich: die Baumgrenze, wo die Taiga in die Tundra übergeht, verschiebt sich weiter nach Norden. 

Nun, das werden die Einwohner Sibiriens und generell Russlands wohl kaum als bedrohlich empfinden.

Dafür ist für unseren ganzen Planeten ein anderer Effekt höchst bedrohlich: In den Permafrost-Böden sind riesige Mengen an Kohlenstoff gespeichert, die beim Tauen teilweise freigesetzt werden und in die Atmosphäre gelangen. Das führt zur weiteren Klimaerwärmung, die wiederum das Auftauen beschleunigt. Laut Studien könnte das in historisch kurzer Zeit zu einer gewaltigen Emission von Treibhausgasen führen.

Und die wirtschaftlichen Folgen für die russischen Regionen werden darin bestehen, dass die Böden unter Häusern, Betrieben und jeglicher Transportinfrastruktur instabil werden und das zu Havarien führen könnte?

Ich bin kein Ökonom, aber es ist ziemlich offensichtlich, dass das weitere Auftauen der Dauerfrostböden einen enormen zusätzlichen finanziellen und personellen Aufwand nötig machen wird, um die vorhandene Infrastruktur instand zu halten. Und es wird zweifelsohne die weitere Erschließung arktischer und subarktischer Gebiete, die Russland jetzt vorantreibt, enorm verteuern. Dessen sollten sich die Menschen dort bewusst sein.

Mathias Ulrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Geographie der Universität Leipzig. Er beobachtet seit Jahren, wie sich der Klimawandel auf die russische Region Jakutien (Ost-Sibirien) auswirkt. Dort erforscht er die Degradation bzw. das Tauen des Permafrostbodens.

Das Gespräch führte Andrey Gurkov.