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Politik

Der General, der Präsident und die Krise

27. März 2019

Mit der Rücktrittsforderung an Präsident Bouteflika hat Algeriens Generalstabschef Salah ein politisches Beben ausgelöst. Zwar unterstützen viele Algerier die Forderung. Doch halten sie das Militär für nicht zuständig.

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Algerien, Algier: General Gaid Salah
Bild: picture-alliance/dpa/A.Belghoul

"Der General hat gesprochen, jetzt sind die Politiker gefragt" - so fasst Makhlouf Mehenni, der Kommentator der Website "Tout sur l'Algérie" eine in weiten Teilen der Bevölkerung wie auch der politischen Elite des Landes verbreitete Empfindung zusammen. Nur Politiker hätten die Legitimation, über ein Ende der Amtszeit von Präsident Abdelaziz Bouteflika zu befinden. "Denn sie sind es, die das Land regieren, nicht die Militärs."

Am Dienstag hatte der algerische Generalstabschef Ahmed Gaid Salah das Verfassungsgericht und das Parlament aufgefordert, Artikel 102 der Verfassung zu aktivieren. Auf dieser Grundlage kann der Präsident aus gesundheitlichen Gründen für amtsunfähig erklärt und de facto abgesetzt werden.

Die Erklärung des Generals erregte großes Aufsehen in dem nordafrikanischen Land. Abdelaziz Bouteflika, geboren 1937, ist eine der gewichtigen politischen Figuren Algeriens. Kaum hatte das Land 1962 nach langen Kämpfen seine Unabhängigkeit erreicht, amtierte er mit Mitte Zwanzig zunächst als Minister für Jugend, Sport und Tourismus, ab 1963 übernahm er die Leitung des Außenministeriums, die er bis 1979 behielt. Dazwischen, in den Jahren 1974 und 1975, war Bouteflika Präsident der UN-Generalversammlung in New York.

Abdelaziz Bouteflika und Ahmed Gaid Salah
Machthaber Bouteflika und Generalstabschef Salah (2012): Immer ein distanziertes VerhältnisBild: picture-alliance/abaca/K. Mohamed

Seit 1999 ist er Präsident Algeriens. Ob er noch selbst die Fäden der Macht in der Hand hält, scheint fraglich: Seit 2013 hat sich der schwerkranke Politiker nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt.

"Kein ehrenhafter Abgang"

Entsprechend heikel war der Vorstoß von General Salah. Denn eines ist in Algerien klar: Bouteflika wird keinen ehrenhaften Abgang haben. "Er wird sein Amt als Abgesetzter verlassen", schreibt Kommentator Mehenni.

Seit Wochen gehen Algerier auf die Straße, um gegen Bouteflika zu demonstrieren, der zunächst noch zu einer weiteren Amtszeit antreten wollte. Seine Kandidatur hat der 82-Jährige inzwischen zurückgezogen. Aber trotz Protest ist er weiter im Amt - sei es aus freien Stücken, sei es auf Druck seiner engsten politischen Umgebung.

Proteste gegen Präsident Abdelaziz Bouteflika in Algier
Proteste gegen Bouteflika in Algier: "Der General hat gesprochen, jetzt sind die Politiker gefragt"Bild: Reuters/R. Boudina

Doch was hat Salah bewogen, einen Rücktritt des Präsidenten zur Diskussion zu stellen? Noch vor wenigen Wochen hatte er sich für eine weitere Amtszeit Bouteflikas ausgesprochen. Die Armee habe zur Kenntnis genommen, welcher Druck durch die Proteste der Bevölkerung entstanden sei, sagt Maria Josua, Algerien-Expertin beim German Institute for Global Studies (GIGA) in Hamburg. "Sie hat außerdem registriert, dass alle bisherigen Schritte zur Beendigung der Proteste nicht gefruchtet haben. So ist sie nun bereit, Bouteflika zu opfern - aus ihrer Sicht ist das der einzige Schritt, um die politische Stabilität wiederzuerlangen." Träte Bouteflika zurück, so das Kalkül der Militärs, würden auch die Proteste wieder aufhören. "Ob diese Rechnung aufgeht, ist allerdings fraglich."

Ein Schlag gegen die Demokratie?

In Algerien selbst haben General Salahs Worte vielfach für Irritation gesorgt. Seine Äußerungen seien "der Versuch eines gewaltsamen Coups gegen die demokratische Revolution des 22. Februar", sagte Smir Bouakouir, der Vorsitzende der Front Sozialistischer Kräfte. Am 22. Februar waren die Algerier erstmals in großer Zahl gegen eine weitere Kandidatur Bouteflikas auf die Straße gegangen. Die Armee versuche die Protestbewegung in den Griff zu bekommen.

Die "konstitutionelle Pseudolösung" diene zu nichts anderem als die Situation weiterhin zu kontrollieren. "Man muss annehmen, dass nun auch Gaid Salah unheilbar vom Sisi-Syndrom befallen ist", so Bouakir in Anspielung auf den ägyptischen Staatspräsidenten General Abdel Fattah al-Sisi. Dieser bemüht sich derzeit um eine weitere Amtszeit, die ihm laut Ägyptens Verfassung verboten ist. Der angestrebte Ausweg: Die Verfassung soll nun geändert werden, um dem Präsidenten zwei weitere Perioden im Amt zu halten.

Abdelaziz Bouteflika (1992)
Außenminister Bouteflika (1992): Erstes Regierungsamt mit Mitte 20Bild: picture-alliance/dpa/AFP Archiv

Tatsächlich komme die Rücktrittsaufforderung einer Art Putsch gleich, sagt Maria Josua. "Bouteflika wird zugunsten einer weiteren Figur des Regimes abgesetzt, die dann weitermachen soll wie bisher." Reformwillen haben das Militär bislang nicht erkennen lassen. Historisch habe die Armee während der Unabhängigkeitskämpfe Großes für das Land geleistet. Zugleich habe das Militär Anfang der 1990er Jahre durch die Weigerung, den Wahlsieg der Islamisten anzuerkennen, wesentlichen Anteil an dem daraufhin ausgebrochenen Bürgerkrieg, in dem Hunderttausende ums Leben kamen.

Die Rolle des Militärs

Zum Militär hatte Bouteflika immer ein distanziertes Verhältnis. Als er 1999 sein Amt antrat, waren die Nachwehen des Bürgerkrieges noch nicht verklungen. Um des Neuanfangs willen versuchte Bouteflika die Armee so weit wie möglich in die Schranken zu weisen. Nur so, war er überzeugt, sei eine Versöhnung überhaupt möglich. Eben darum, heißt es in der französischen Tageszeitung "Le Monde", sei die Erklärung von General Salah für den Präsidenten einen "grausame Erniedrigung".

In der Nachbarstaaten Algeriens hat das Militär in den vergangenen Jahren eine bedeutende Rolle gespielt: In Tunesien, hielt es sich während der Revolution des Jahres 2011 auf das Äußerste zurück und ermöglichte dem Land somit den Übergang in die Demokratie. In Ägypten hingegen stürzte die Armee 2013 den demokratisch gewählten, aus den Reihen der Muslimbruderschaft stammenden Präsidenten und leitete so den Übergang in einen autoritären, keinerlei Widerspruch geltenden Staat ein.

Das algerische Militär stehe dem ägyptischen näher als dem tunesischen, sagt die Hamburger Expertin Josua. "Wie in Ägypten stellt es mit seinen starken wirtschaftlichen Interessen eine Art tiefen Staat mit großer Macht dar. Man muss immer befürchten, dass es sich in Richtung einer Militärherrschaft entwickelt."

Die Bevölkerung, hatte General Salah am Montag erklärt, vertrete gegenüber Präsident Bouteflika "legitime Forderungen". Zeigen wird sich in den kommenden Tagen und Wochen, für wie legitim die Bevölkerung das Militär hält. An dessen Reaktion wird sich die politische Zukunft Algeriens zu großen Teilen mitentscheiden.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika