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Politik

Stasi-Überprüfung bis ins Rentenalter

12. Juni 2019

Ende 2019 wäre Schluss: Danach dürfte niemand mehr auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit überprüft werden. Das will die Regierung verhindern. Belastete Parlamentarier müssen dennoch nichts befürchten.

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Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin
Brisantes Material: Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR Bild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

Sie war das wichtigste Herrschaftsinstrument der DDR-Diktatur. Die schärfste Waffe gegen äußere Feinde - und die eigene Bevölkerung. Ohne die Stasi hätte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) ihre Macht kaum über 40 Jahre erhalten können. Als 1989 die Berliner Mauer fiel, standen rund 91.000 fest angestellte Mitarbeiter im Sold des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Das war die offizielle und verharmlosende Bezeichnung der DDR-Geheimpolizei. Die hatte bis zuletzt ein zusätzliches Heer von über 100.000 mehr oder weniger freiwilligen Spitzeln, sogenannten inoffizielle Mitarbeitern (IM). Sie schnüffelten überall: auf der Arbeit, beim Sport, in der Kirche, mitunter sogar in der eigenen Familie.  

Die allerwenigsten IM oder anderweitig ins MfS-System Verstrickten bekannten sich im wiedervereinigten Deutschland zu ihrer Stasi-Vergangenheit. Aus Scham oder der begründeten Angst, den sicheren Job im öffentlichen Dienst zu verlieren - zum Beispiel in Schulen, Universitäten und der Justiz. Dabei war von Anfang an eines klar: Zweifel an der Verfassungstreue einer Lehrerin oder eines Richters kann sich der Staat nicht leisten. Um auf Nummer sicher zu gehen, können Arbeitgeber deshalb ihr Personal bis Ende 2019 von der Stasi-Unterlagen-Behörde überprüfen lassen. Auf Wunsch der Regierung soll die Frist nun bis 2030 verlängert werden. Die Zustimmung des Bundestages gilt als sicher. 

2017 stolperte ein Staatssekretär über seine Vergangenheit

In den ersten Jahren nach der friedlichen Revolution in der DDR wurde der gesamte öffentliche Dienst systematisch durchleuchtet. Allein 1991/92 gab es 865.000 Anträge. Offizielle Zahlen über Entlassungen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter gibt es jedoch keine. Bekannt werden gelegentlich Fälle von besonderem öffentlichem Interesse - wie der des Berliner Staatssekretärs Andrej Holm, der 2017 kurz nach seiner Ernennung zurücktreten musste. Auslöser waren falsche Angaben gegenüber der Humboldt-Universität (HU), wo er schon länger als Wissenschaftler beschäftigt gewesen war. Bei der Einstellung hatte er die HU über seine lange zurückliegende Stasi-Tätigkeit getäuscht. Deshalb sollte er ursprünglich entlassen werden. Am Ende kam Holm mit einer Abmahnung davon, nachdem er sein Fehlverhalten in einer Erklärung gegenüber der Universität bedauert hatte. 

Berliner Baustaatssekretär Andrej Holm
Andrej Holm verpflichtete sich 1989 als Offiziersschüler bei der Stasi; 2017 wurde er von seiner Vergangenheit eingeholt Bild: picture alliance / Rainer Jensen/dpa

Dennoch zahlte er mit dem Rücktritt von seinem politischen Amt einen hohen Preis für den fragwürdigen Umgang mit seiner Vergangenheit. Zu Recht? Der vom Parlament gewählte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, plädiert im DW-Interview für einen differenzierten Umgang mit dem heiklen Thema. Einerseits sagt er: "Menschen, die sich in jungen Jahren mit der Stasi eingelassen haben, kann man das nicht ewig vorwerfen." Andererseits komme es darauf an, wie jemand mit seiner Vergangenheit umgehe. "Das Lügen darf nicht belohnt werden." Wichtig sei, dass der Arbeitgeber weiß: "Kann er seinem Mitarbeiter Vertrauen oder nicht."

"Jetzt kann ich frei mit meiner Vergangenheit umgehen"

Gerne erzählt Jahn die Geschichte eines Mannes, der mal in seine Bürgersprechstunde gekommen ist. Er habe früher für die Stasi gearbeitet und wolle sich jetzt auf eine Stelle im öffentlichen Dienst bewerben. Was tun? Offen über seinen Fehltritt reden oder verschweigen? Jahn, selbst Stasi-Opfer, empfahl dem Ratsuchenden, sich gegenüber seinem potentiellen Arbeitgeber zu offenbaren. Zwei Wochen später bedankte sich der Mann telefonisch. Er sei eingestellt worden und habe gesagt: "Jetzt kann ich frei mit meiner Vergangenheit umgehen, aber werde als Teil dieser demokratischen Gesellschaft akzeptiert."            

"Das Lügen darf nicht belohnt werden"

Vorbildlich findet der frühere Journalist Jahn das Verhalten des Bundestagsabgeordneten Thomas Nord. Der bekannte sich schon kurz nach dem Fall der Berliner Mauer zu seiner Stasi-Vergangenheit und wurde trotzdem oder vielleicht deswegen 2009 für die Linke ins Parlament gewählt. Nord sei ein gutes Beispiel für transparenten Umgang mit seiner Vergangenheit. "Das würde ich mir von vielen Anderen auch wünschen."

Der Sinneswandel des ehemaligen Stasi-IM Thomas Nord

Trotz seines freiwilligen Outings 1990 wurde Nord 20 Jahre später von einer Bundestagskommission auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit überprüft. Das empfand der gebürtige Berliner damals als "unnötig", sagt er im DW-Interview. Alle Fakten hätten seit zwei Jahrzehnten auf dem Tisch gelegen. Heute denkt er anders darüber, die offizielle Überprüfung habe auch ihr "Gutes". Es sei amtlich festgestellt worden, "dass meine Selbstauskunft korrekt war und ich 20 Jahre lang wahrhaftig mit meiner Biografie umgegangen bin".

Der selbstkritische Umgang des Linken-Politikers mit seiner Stasi-Vergangenheit ist allerdings eine seltene Ausnahme. Wer sein Geheimnis bis heute für sich behalten hat, wird es jetzt kaum mehr preisgeben - zumal die Zeit der massenhaften Überprüfungen schon lange vorbei ist. Viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter sind bereits im Rentenalter oder kurz davor. Thomas Nord kann aber verstehen, "wenn Opfer der SED-Diktatur im Zweifel auch heute noch die Wahrheit wissen wollen".

Parlamentarier dürfen nur in Ausnahmefällen überprüft werden

Genau deshalb sollen Stasi-Überprüfungen weiter möglich sein. Die Bundesregierung begründet ihren Vorstoß damit, das Vertrauen in öffentliche Institutionen und Personen in herausgehobenen Positionen stärken zu wollen. Für die Aufarbeitung des SED-Unrechts sei Transparenz auch 30 Jahre nach dem Mauerfall weiter erforderlich. Ein Blick in die Statistik zeigt indes, dass die Zahl der beantragten Stasi-Überprüfungen seit Jahren rapide sinkt. Im öffentlichen Dienst waren es 2018 nur noch 167.

Thomas Nord, Mitglied der Partei Die Linke
Thomas Nord (Linke) steht zu seiner Stasi-VergangenheitBild: picture-alliance/dpa/N. Bachmann

Parlamentsabgeordnete haben ohnehin wenig zu befürchten, denn sie dürfen nur auf freiwilliger Basis überprüft werden. Ohne Zustimmung wäre das nur erlaubt, wenn "konkrete Anhaltspunkte" für den Verdacht einer Stasi-Tätigkeit vorliegen. So ist es in Paragraf 44 des Abgeordneten-Gesetzes des Bundestages geregelt. Eine nachgewiesene Stasi-Vergangenheit hat jedoch keine zwingenden Konsequenzen. Parlamentarier können nicht gezwungen werden, ihr Mandat niederzulegen. Auch einer erneuten Kandidatur steht nichts im Wege. 

"Mit einer Lüge zu leben, ist kein gutes Leben"

Über die Glaubwürdigkeit früherer Stasi-Mitarbeiter entscheiden letztlich die Wähler. Die haben Thomas Nord schon lange verziehen - 2017 wurde er zum dritten Mal in den Bundestag gewählt. Der offene Umgang mit seiner Vergangenheit hat sich für ihn also gelohnt. "Ich habe mich selbst offenbart und konnte so glaubwürdig mit den politisch-ideologischen Fehlern meiner Jugend brechen." Das habe ihm auch unter Stasi-Opfern Anerkennung und "nicht wenige langjährige Freundschaften" gebracht.

Nord kennt aber auch die andere Seite der Medaille. Wer sich mit der Stasi eingelassen hat, bleibe für Viele den Rest seines Lebens ein "Geächteter". Das müsse man aushalten können. Er sei seit 1990 für einen offenen und öffentlichen Umgang mit der eigenen Biografie eingetreten und halte das auch heute noch für richtig. "Mit einer Lüge zu leben, ist kein gutes Leben."

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland