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Politik

Lebenslang für Mord an Susanna

Sonja Jordans Wiesbaden
10. Juli 2019

Weil er die 14 Jahre alte Schülerin erst vergewaltigt und dann erwürgt haben soll, muss ein 22-jähriger Flüchtling aus dem Irak ins Gefängnis. Eine vorzeitige Entlassung ist ausgeschlossen. Aus Wiesbaden Sonja Jordans.

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Wiesbaden | Ali B. im Sicherheitssaal des Landesgerichts - Plädoyers im Susanna-Prozess
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Bis zum Schluss gelingt es Diana F., die Fassung zu bewahren. Lautlos rinnen ihr die Tränen über das Gesicht, immer wieder nestelt sie an einem neuen Taschentuch, das sie aus dem Päckchen vor sich zieht.

Aber sie hört tapfer zu, als der Vorsitzende Richter am Landgericht Wiesbaden über die letzten Stunden ihrer Tochter Susanna spricht. Von Angst, von Panik ist dabei die Rede - und von einem grauenvollen Tod des 14-jährigen Mädchens. Sekundenlang muss Ali B. (22) die Schülerin in einer lauen Mainacht 2018 gewürgt haben, bis Schaum aus ihrem Mund trat - "und sie sicher waren, dass Sie ihr Ziel erreicht hatten", so der Richter. Das Ziel, Susanna zum Schweigen zu bringen.

Nach der Tat in die Heimat abgesetzt

Dafür soll B. nun lebenslang in Haft. Ferner hat das Gericht am Mittwoch die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Somit kann der Verurteilte nicht darauf hoffen, nach 15 Jahren aus der Haft freizukommen. Auch eine Sicherungsverwahrung für den 22-Jährigen solle vorbehalten werden, so die Kammer.

Kurz nach dem Tod von Susanna hatte sich Ali B. mit seiner Familie in seine Heimat abgesetzt. Im kurdisch kontrollierten Nordirak wurde er jedoch wenige Tage danach gefasst und von der Bundespolizei nach Deutschland zurückgebracht. Der Fall hatte die Debatte um die Flüchtlingspolitik neu angefacht.

"Sehr wahrscheinlicher Hang", weitere Straftaten zu begehen

Während seiner Haft werde demnach die Entwicklung des noch jungen Mannes geprüft. Wirke sich die Haft nicht positiv auf ihn aus, zeige sich ein - laut Staatsanwaltschaft und Psychiaterin "sehr wahrscheinlicher Hang", weitere Straftaten zu begehen - gehe von B. dann also immer noch eine Gefahr für die Allgemeinheit aus, solle die Sicherungsverwahrung verhängt werden.

Das Gericht ist überzeugt davon, dass Ali B. das Mädchen Susanna in der Tatnacht vergewaltigt hat. Als die Schülerin erklärte, deswegen zur Polizei zu gehen, war das ihr Todesurteil. "Da war Ihnen klar, dass das jetzt ein großes Problem wird", richtet sich der Vorsitzende an den Angeklagten. Spätestens da habe der Angeklagte den Entschluss gefasst, Susanna zu töten.

Wiesbaden | Urteilsverkündung im Susanna-Prozess
Ali B. im Gerichtssaal neben seinen VerteidigernBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Fixiert auf junge Mädchen, auf Jungfrauen

Der Wunsch, mit Susanna Sex haben zu wollen, sei dagegen schon länger in ihm gereift. "Sie wollten mehr von ihr, Sie wollten Geschlechtsverkehr", richtet sich der Richter an den Angeklagten.

"Sie haben keine Ruhe gegeben, Sie wollten dieses Mädchen." Ali B. sei geradezu fixiert auf junge Mädchen gewesen, auf Jungfrauen. Susanna habe keinerlei sexuelle Erfahrungen gehabt. Dass sie also, wie der Angeklagte behauptet hatte, freiwillig mit ihm geschlafen habe, noch dazu in einem Gebüsch nahe einer Bahnlinie, wo später auch ihre Leiche gefunden worden war, sei abwegig.

Zudem habe Susanna, das belegten verschiedene Zeugenaussagen, Angst vor dem Angeklagten gehabt. Bereits Anfang Mai habe er versucht, sie zu begrabschen, daraufhin sei sie ihm aus dem Weg gegangen.

Eine "empathieloser, manipulativer Mensch"

In den jüngeren Bruder von Ali B. sei das Mädchen jedoch unglücklich verliebt gewesen. In dessen Nähe habe sie sich gerne aufgehalten. Das habe Susanna, die ein inniges Verhältnis zu ihrer Mutter hatte, auch zu Hause erzählt.

B. aber habe gezielt darauf hingearbeitet, am Tatabend mit Susanna allein sein zu können. Dazu, so das Gericht, benutze er sogar den jüngeren Bruder. Als Susanna nach einem Nachmittag mit ihrer Clique nach Hause fahren wollte, habe er seinen Bruder beeinflusst, auf das Mädchen einzuwirken.

"Sie wussten, wenn ihr Bruder das sagt, dann bleibt Susanna", so der Richter. Das passe zu dem Bild, das sowohl eine Psychiaterin als auch das Gericht von dem Angeklagten erhalten haben: Er sei ein empathieloser, manipulativer Mensch mit einer "ausgeprägten Selbstbezogenheit, nur auf den eigenen Vorteil und die Befriedigung eigener Bedürfnisse bedacht".

Während dieser Worte sitzt Ali B. teilnahmslos neben seinen Anwälten. Das volle dunkle Haar sorgfältig in Form gebracht, den Bart modisch gestutzt, wirkt er, als werde er gleich in eine Disko gehen - und nicht lebenslang ins Gefängnis.

Wiesbaden Prozessauftakt im Fall Susanna Richter Bonk
Jürgen Bonk, Vorsitzender Richter im Prozess gegen Ali B. Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

"Ich habe doch nur ein Mädchen umgebracht", hatte er gegenüber einer Psychiaterin gesagt. Ein Zeichen seiner Frauenverachtung, so das Gericht. Mädchen seien für ihn "Schlampen" gewesen, die nur dem persönlichen Spaß dienten.

Susanna hatte "keine Chance"

Nachdem er Susanna getötet hatte, habe der Angeklagte das Mädchen in einem 35 Zentimeter tiefen Erdloch verscharrt. Ob er dabei allein vorging oder Hilfe hatte, "das kann nicht mehr nachvollzogen werden", so das Gericht. 

B. gab an, allein gehandelt zu haben. Der Ärmel einer am Vormittag noch von der Mutter gekauften Jacke sei dem Mädchen dabei eng um den Hals geschlungen gewesen, die Arme angewinkelt. Und, der Vorsitzende nannte es "ein widerliches Detail", der Angeklagte habe dem Mädchen noch die Schuhe weggenommen. 

Das Mädchen habe "keine Chance gehabt", sich zu wehren. Dafür habe der Angeklagte "perfide" gesorgt.

"Meine Tochter kriege ich nicht mehr zurück"

Schließlich richtet der Vorsitzende noch das Wort an all jene, die sich auf die Tatsache gestürzt hatten, dass Ali B. ein Flüchtling war: Die Tat, "Heimtücke und Verdeckungsabsicht haben nichts mit Ihrer Herkunft zu tun", so der Richter.  "Sondern mit Ihrer Persönlichkeit, der Empathielosigkeit und frauenverachtenden Haltung."

Als das Gericht an diesem Mittag nach mehr als zwei Stunden Urteilsbegründung zum Schluss kommt, tritt Susannas Mutter erschöpft vor die Kameras. Sie sei froh darüber, dass der Ali B. nun keinen Menschen mehr "so etwas antun kann". Dann bricht ihre Stimme. "Aber das bringt mir meine Tochter auch nicht mehr zurück."

Leichenfund in Wiesbaden
Polizisten am Fundort der Leiche in WiesbadenBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Auf Ali B. wartet noch ein zweites Verfahren

Die Akte B. ist allerdings noch nicht geschlossen. Einerseits haben die Verteidiger des 22-Jährigen angekündigt, Revision einzulegen. "Wir wollen das schriftliche Urteil prüfen“, heißt es. Zudem muss sich ihr Mandant noch in einem zweiten Verfahren vor dem Wiesbadener Landgericht verantworten.

Gemeinsam mit einem 14 Jahre alten Bekannten soll er eine Elfjährige mehrfach vergewaltigt haben. In diesem Prozess sind noch Termine bis Oktober festgesetzt.

Mit der Verurteilung durch das Landgericht Wiesbaden zu einer lebenslangen Haftstrafe endete die juristische Aufarbeitung in erster Instanz. Nachdem die Richter auch die besondere Schwere der Schuld feststellten, ist eine vorzeitige Haftentlassung des Irakers Ali B. nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen. 

In seine Heimat abgesetzt

Das Landgericht sah es als erwiesen, dass der 22-Jährige Angeklagte Susanna vergewaltigt und ermordet hat. Die Leiche des Mädchens aus Mainz war am 6. Juni 2018 in einem Erdloch in der Nähe von Bahngleisen gefunden worden. Rund zwei Wochen nach dem Verschwinden von Susanna waren die Einsatzkräfte nach einem Zeugenhinweis auf das Versteck mit dem toten Mädchen gestoßen.