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Politik

Gestatten, Vizepräsidentin Touré aus Kiel

Miodrag Soric | Lisa Hänel
28. August 2019

Jung, weiblich, afrodeutsch: Die Karriere von Aminata Touré zeigt den wachsenden Einfluss von Migration auf Politik. Mit nur 26 Jahren wurde sie zur Landtags-Vizepräsidentin in Schleswig-Holstein gewählt. Ein Portrait.

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Aminata Touré bei einer Rede vor dem Landtag
Bild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Im mitunter behäbigen Norden Deutschlands ist Aminata Touré wie ein kleiner Orkan. Sie ist laut, selbstbewusst, kämpft leidenschaftlich für ihre Themen. Und sie will einiges in der Politik anders machen: transparenter sein, näher dran an den Menschen. Dafür nimmt sie Interessierte auf Instagram mit durch ihren politischen Alltag.

Touré hat einen Politik-Podcast, den sie zusammen mit ihrem Landtagskollegen Lasse Petersdotter betreibt. In der zweiten Folge stellt dieser Aminata Touré vor: "Bis vor kurzem warst du die jüngste Abgeordnete im schleswig-holsteinischen Landtag."  "Komm", unterbricht die 26-jährige Touré lachend, "ich bin immer noch die jüngste Frau, gönn mir das!"

Mit 13 Jahren sah Aminata Touré zum ersten Mal das Land, aus dem ihre Eltern stammen: Mali. Vater und Mutter wuchsen in Bamako und Gao auf, flohen aber nach Deutschland, genauer, nach Schleswig-Holstein, wo Aminata Touré zur Welt kam. "In Mali haben sie uns sofort angesehen, dass wir dort nicht groß geworden sind," erinnert sich die grüne Landtagsabgeordnete im DW-Gespräch. "Sie hielten uns für Französinnen oder Amerikanerinnen. 

Leben in zwei Welten

Die Reise nach Mali sei eine spannende Erfahrung gewesen, meint Touré. Mali – das sind für sie ihre Wurzeln. Deutschland, genauer: Schleswig-Holstein, nennt sie ihre Heimat. "Ich will mich nicht zwischen einer dieser beiden Welten entscheiden," sagt sie.

Sie selbst bezeichnet sich als "Afro-Deutsche". Dieser Begriff sei von einer schwarzen, feministischen Frauenbewegung geprägt worden. "Damit kann ich mich gut identifizieren," meint Touré . In Zukunft will sie sich stärker für schwarze Menschen in Deutschland einsetzen. Über 20 Prozent der Deutschen hätten einen Migrationshintergrund. Doch in der Politik spielten sie kaum eine Rolle. Das wolle sie ändern.

Aminata Touré und Barack Obama bei einer Veranstaltung in Berlin im April 2019
Auch den früheren US-Präsidenten Barack Obama hat Aminata Touré bereits getroffenBild: Getty Images/S. Gallup

Tourés Herkunft ist Antrieb und Ursprung ihrer Politik zugleich. Die ersten Lebensjahre verbrachte sie in einer Flüchtlingsunterkunft. Die Familie lebte in permanenter Unsicherheit, ob sie in Deutschland bleiben könne.

"So etwas prägt," meint sie. Anders als ihre Klassenkameradinnen konnte sie keine langfristigen Pläne machen. Ihre Eltern mussten sich ständig mit dem Aufenthaltsrecht und der Angst vor Ausweisung auseinandersetzen. "Sie führten Überlebenskämpfe, hatten keine Zeit für politisches Engagement," meint sie.

Im Alter von zwölf Jahren wurde Touré deutsche Staatsbürgerin. Da war die Leidenschaft für Politik bei ihr bereits geweckt. "Politik fand ich schon immer spannend," erinnert sie sich. Bei ihr zu Hause habe sie mit den Eltern und Geschwistern die Nachrichten verfolgt.

Nach ihrem Abitur studierte sie Politik, machte ein Praktikum beim Beauftragten für Flüchtlinge im Schleswig-Holsteinischen Landtag. "Da habe ich bemerkt, dass viele Probleme in der Flüchtlingspolitik weiterhin bestehen."

Nah dran an den Entscheidungen

Touré drängt aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit auf eine stärkere politische Aufmerksamkeit für genau diese Probleme. "In Deutschland ist es immer noch so, dass 95 Prozent der Menschen, die Themen um Migration und Flucht behandeln, niemals von diesen Gesetzen betroffen sein werden", weiß sie.

Natürlich würden auch andere Politiker ohne Migrationsgeschichte aus Tourés Sicht wichtige und richtige Entscheidungen fällen. Aber wenn es mehr Menschen mit Flüchtlingserfahrung in der Politik gäbe, wäre "manch eine Entscheidung näher an der Lebensrealität der Menschen, die von den Gesetzen direkt betroffen sind“. 

Eindeutige Botschaften

2017 kandidierte Aminata Touré für den Landtag. Klimapolitik war eines der zentralen Themen ihres Wahlkampfes. Dabei ging es ihr nicht um Lifestyle-Fragen, sondern um globale Armutsbekämpfung. "Es geht um das elementare Überleben von Menschen in der Region, aus der meine Eltern stammen."

Die Folgen des Klimawandels würden im Westen kaum bemerkt. Sie aber fühle eine "Verantwortung gegenüber betroffenen afrikanischen Ländern und insbesondere der Bevölkerung in Mali". Was also kann sie in Deutschland tun, damit politische Entscheidungen in der Klimapolitik so getroffen werden, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die Heimat ihrer Eltern haben?

Auch in der Asylpolitik engagiert sich Aminata Touré. Sie fordert eine "europäische Lösung", eine bessere und schnellere Integration von Flüchtlingen in Deutschland. Sie kritisiert die Entscheidungen des Bundestags, die Asylpolitik immer weiter zu verschärfen. Die "repressive Asylpolitik" werde Menschen in Not nicht davon abhalten nach Deutschland zu fliehen, meint sie. 

Sie mischt sich auch in andere bundesdeutsche Themen ein. Zum Beispiel in die Debatte, wann Schüler in Deutschland die deutsche Sprache erlernen müssten. Ihre Botschaft an Abgeordnete und Bundesregierung auf Twitter war eindeutig.

Tourés Einsatz für Flüchtlinge gefällt nicht allen. In ihrem Büro erhält die Vizepräsidentin des Landtags mittlerweile auch anonyme Drohbriefe. Doch die junge politische Aufsteigerin lässt sich nicht einschüchtern. Mit gerade einmal 26 Jahren hat sie möglicherweise eine steile Karriere erst vor sich.