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Politik

"Der Iran kämpft nicht in Idlib"

Diana Hodali
31. Juli 2019

Noch ist der Syrien-Krieg nicht vorbei. Assad und Russland bombardieren Idlib seit Monaten - der Iran aber hält sich dort raus, sagt Nahost-Experte André Bank. Teheran wisse, wie brutal die Kämpfe werden würden.

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Syrien zwei von Trümmern verschüttete Mädchen in einem zerbombten Haus
Idlib, Juli 2019: Zwei Mädchen versuchen in den Trümmern, ihre Schwester zu retten; dabei kommt eine ums Leben Bild: AFP/HO/SY24

Seit April bombardieren Assad und Russland die Provinz Idlib, kontrolliert von Rebellen und Dschihadisten. Mit welchem Ziel machen sie das?

Das Assad-Regime hat schon länger die Vorstellung geäußert, Syrien komplett wiederzuerobern. Nachdem im Jahr 2018 die ehemals von Rebellen gehaltenen Gebiete - Ghouta östlich von Damaskus, Daraa im Süden und auch das Umland von Homs in Zentral-Syrien - sukzessive wieder vom Assad-Regime mit Hilfe Irans und Russlands eingenommen wurden, war es eine Frage der Zeit, wann sie sich der Rebellenhochburg Idlib zuwenden. Im vergangenen Spätsommer stand eine Offensive gegen Idlib bereits unmittelbar bevor. Dann kam es sehr überraschend zu einer Übereinkunft zwischen Russland und der Türkei, um für eine Beruhigung der Lage zu sorgen.

Können Sie diese Einigung skizzieren?

Die Einigung über Idlib bestand darin, dass die Türkei mit Hilfe ihrer militärischen Beobachtungsposten von außen die Kontrolle über die Provinz behalten konnte. Russland verlangte im Gegenzug von der Türkei, gegen Hayat Tahrir Al Scham (HTS) vorzugehen. HTS ist die Dschihadistenallianz, die aus der Nusra-Front hervorgegangen war und früher der syrische Al-Kaida-Ableger war, der stärkste Gewaltakteur innerhalb der Provinz Idlib. Es gibt dort aber auch Rebellen, die der Türkei näherstehen und etwa der Freien Syrischen Armee angehören. HTS ist nicht Türkei-nah. Dafür würde man nicht angreifen. Aber dieser Deal war von Anfang an relativ brüchig.

André Bank, Nahost Experte am Giga-Institut Hamburg
André Bank, kommissarischer Direktor des Giga-InstitutsBild: privat

Was hat Russland sich davon versprochen?

Die Türkei kontrolliert seit ihren beiden Militäroffensiven 2016 und 2017 einen ganzen Streifen in Nordsyrien. Das türkische Interesse galt lange weniger Idlib als vielmehr der Eindämmung der kurdisch-kontrollierten Gebiete im Nordosten, im Norden und in Afrin. Es gab einen Landtausch, so dass die Türkei das nordwestliche Afrin kontrolliert und die Kurden sich zurückgezogen haben auf das Gebiet östlich des Euphrat-Flusses. Idlib und der Nordosten sind die beiden einzig verbliebenen Gebiete innerhalb Syriens, die momentan nicht von Assad, Russland, Iran und den Pro-Assad-Milizen kontrolliert werden.

Die Türkei hat dann aber doch nie ein Interesse daran gehabt, dass Idlib an Assad geht?

Das stimmt. Es ging ihr immer darum, für die Nachkriegsordnung einen Fuß in Syrien zu behalten. Seit dem Herbst letzten Jahres hat das türkische Militär es nicht geschafft, HTS wirklich einzudämmen. Im Gegenteil: HTS ist eindeutig der stärkste militärische Akteur, vor allem im südlichen und im mittleren Teil der Provinz Idlib. Das Assad-Regime hat fortwährend Druck gemacht, dieses Gebiet wieder einzunehmen, und hat sich diesbezüglich mit Russland koordiniert.

Unterstützt die Türkei die Rebellen und HTS auch militärisch oder logistisch?

Da muss man unterscheiden. Ankara unterstützt direkt die Türkei-nahen Rebellen, die sich unter anderem die Nationale Befreiungsfront nennen. Sie bekommen Waffen, Ausbildung und auch Rückzugsmöglichkeiten. Die Dschihadisten vom HTS werden nicht direkt von der Türkei unterstützt.

Kasachstan Syriengespräche in Astana
2018 hatten sich die Außenminister Mevlut Cavusoglu (Türkei, l.), Sergej Lawrow (Russland, M.) und Javad Zarif (Iran) auf das Abkommen zu Idlib verständigtBild: picture-alliance/AA/C. Ozdel

Welche Rolle spielt denn der Verbündete Iran in Idlib?

Das ist eine Sache, die in der aktuellen Lage oft vergessen wird: Der Iran, die libanesische Hisbollah und andere schiitische Kampfverbände kämpfen in Idlib nicht mit. Letztere waren ziemlich wichtig bei der schnellen Wiedereroberung vormaliger Rebellenhochburgen 2018. Sie sind hier nicht vertreten, weil sie wissen, dass das der absolut gewaltvollste Kampf sein wird. In Idlib herrscht keine riesige militärische Asymmetrie, wie es in der Ghouta oder Daraa 2018 der Fall war. Gleichzeitig wollen der Iran und auch die Hisbollah eine wichtige Rolle im zukünftigen Syrien spielen. Aber was man im Konflikt um Idlib auch immer mehr sieht: dass Iran und Russland in Syrien nicht unbedingt an einem Strang ziehen und es keine Übereinkunft darüber gibt, wie ein zukünftiges Syrien aussehen soll.

Russland bombardiert Idlib ja auch. Demnach müsste Moskau daran gelegen sein, dass Assad und seine Leute wieder schnell das gesamte Land kontrollieren.

Ich glaube nicht, dass Russland bei diesen Bombardements ausschließlich mitmacht, um die gesamte Region wiederzuerobern. Die russischen Bombardements sollen kurzfristig den Druck auf die Türkei erhöhen, damit die Türkei verstärkt HTS bekämpft, und auch damit neuerliche Verhandlungen beginnen können. Russland möchte perspektivisch seine Truppen in Syrien deutlich verringern. Denn der Einsatz ist teuer und in Russland nicht überall beliebt.

Ist die Lage in Idlib durch die Stärke der Dschihadisten, der Rebellen und der verschiedenen politischen Interessen also komplexer?

Es ist vielen Akteuren klar, dass Idlib nochmal eine andere Nummer ist im Vergleich zu den anderen bereits eroberten Rebellenhochburgen. Nur mit Bombardements aus der Luft gelingt es nicht diese Region wieder einzunehmen. Das ist aber das, was bisher passiert. Und diese Bombardements sind extrem brutal: Streubombeneinsätze auf Wohngebiete, Bombardements von Schulen, Krankenhäusern, Bäckereien.

Die Leidtragenden sind die Zivilbevölkerung. Kann sich die Bevölkerung dort überhaupt schützen?

Es ist das ganze Programm der verbrannten Erde, was man auch aus den Vorjahren kennt, um den Menschen das Leben wirklich zur Hölle zu machen. Viele Zivilisten - Familien, Kinder und alte Menschen - fliehen in den Norden der Provinz. Damit erhöht sich der Druck auf die Türkei, gegebenenfalls die Grenze zu öffnen oder zumindest humanitäre Hilfe zu leiten. Die Türkei lässt aber die Grenze noch komplett zu. Für das Assad-Regime geht es weiterhin darum, mit massivster Gewalt die Menschen einzuschüchtern. Assads Bodentruppen sind allerdings sehr geschwächt. Eine wirkliche Bodenoffensive würde nur funktionieren, wenn man iranische Spezialkräfte und nicht-syrische, schiitische Milizen dabei hätte, doch das hat man nicht, weil sie wissen, dass viele von ihnen sterben werden.

Syrien Luftangriffe in Idlib
Zivilisten in Idlib können nirgendwo hin fliehen - auch Häuser, Krankenhäuser und Schulen werden bombardiertBild: Getty Images/AFP/O. H. Kadour

Wie geht es dann in Idlib weiter?

Meine kurzfristige Prognose wäre, dass es ein sehr brutaler Abnutzungskrieg wird, bei dem die militärischen Geländegewinne für Assad und Russland nicht allzu groß sind. Seit Ende April, also über drei Monate, bombardieren sie Idlib massiv aus der Luft und haben kaum Gelände eingenommen.

Wie sollte sich der Westen, wie sollten sich die Vereinten Nationen jetzt verhalten?

Das Schicksal der Menschen in Idlib sollte uns auch etwas angehen. Mein Plädoyer lautet, dass man endlich ernsthaft überlegt, welche Lösungen es für diese circa drei Millionen quasi-eingeschlossenen Menschen geben kann.

Bis jetzt haben alle die Achseln gezuckt, nichts getan.

In Europa dominiert aktuell leider ein politischer Diskurs, der sich gegen die Aufnahmebereitschaft von Flüchtlingen, gerade auch aus Syrien, wendet. Dabei muss es sichere Fluchtwege für die Zivilbevölkerung aus Idlib geben. Denn sie werden von oben bombardiert und am Boden von brutalen Gewaltgruppen drangsaliert. Zukünftig werden sie potenziell wieder von Assad und seinem Gewaltapparat beherrscht. Und auf der anderen Seite steht das türkische Militär.

André Bank ist kommissarischer Direktor des GIGA-Instituts für Nahost-Studien in Hamburg.

Das Gespräch führte Diana Hodali