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Politik

Die östlichste AfD-Hochburg

Kate Brady MM
8. September 2019

Nirgendwo hat die Alternative für Deutschland bei der sächsischen Landtagswahl mehr Prozent der Stimmen bekommen als in Neißeaue. Warum waren die Rechtspopulisten ausgerechnet hier so erfolgreich? Kate Brady war vor Ort.

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Straße in Neißeaue AfD Plakat
Bild: DW/K. Brady

Eingebettet am Flussufer von Neißeaue, an der deutsch-polnischen Grenze, steht ein riesiger Stein. "Hier ist der östlichste Punkt Deutschlands", heißt es auf der Plakette. Der Stein ist seit langem eine Attraktion für Radfahrer und Wanderer, die ihren Besuch im "Zipfelbuch", einer Art Gästebuch, dokumentieren können. Zwei Radfahrer aus Nordrhein-Westfalen, wo der westlichste Punkt Deutschlands liegt, schreiben darin, wie froh sie seien, 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer in Neißeaue zu sein.

Nach der sächsischen Landtagswahl am vergangenen Sonntag ist die Gemeinde mit weniger als 1800 Einwohnern jedoch für etwas anderes bekannt geworden: Fast die Hälfte der Stimmen aus Neißeaue - nämlich 48,4 Prozent - entfielen auf die rechtspopulistische und einwanderungsfeindliche Alternative für Deutschland (AfD) - mehr als irgendwo sonst im Land.

Malerische Landschaft

Hinter dem grünen Ufer der Neiße gelegen entsprechen die Dörfer der Region nicht dem Bild eines vernachlässigten und vergessenen ländlichen Deutschlands, mit dem oft die Motive der AfD-Wähler erklärt werden. Große pastellfarbene Häuser, umgeben von riesigen Gärten und gepflegten Blumenbeeten, säumen die Straßen. Es gibt Geschäfte für den täglichen Bedarf, eine Schule und sogar einen kleinen Freizeitpark. Allerdings: Die kurvenreichen Straßen erscheinen auf den ersten Blick ziemlich leer. Ein paar Wahlplakate erinnern noch an den Urnengang vom vergangenen Sonntag.

Der östlichste Punkt Deutschlands
Dieser Stein markiert den östlichsten Punkt DeutschlandsBild: DW/K. Brady

"Die meisten Leute sind auf der Arbeit", sagt Neißeaues Bürgermeisterin Evelin Bergmann. Nach dem Erfolg der Rechten bei den EU-Wahlen im Mai war Bergmann nicht überrascht, dass die AfD bei den Landtagswahlen gut abgeschnitten hat. Aber die Tatsache, dass fast jede zweite Stimme für die Rechten abgegeben wurde, sei immer noch ein Schock, sagt sie.

"Nach der Wende war es wirklich schlimm hier. Viele Leute sind abgewandert. Und viele, die hier geblieben sind, waren arbeitslos. Aber jetzt ist das Leben hier gut. Die Gemeinde verjüngt sich. Neue Leute sind hergezogen."

Furcht als Antrieb

Der Landkreis leidet allerdings weiterhin unter den typischen Problemen des ländlichen Deutschlands wie einem Mangel an Ärzten und Lehrern. Hinzu kommt Grenzkriminalität.

Das von den AfD-Wählern vor Ort am häufigsten genannte Problem ist jedoch die deutsche Flüchtlingspolitik - obwohl es in Neißeaue exakt null Flüchtlinge gibt. Der Bezirk hatte nicht die Mittel, um sie zu unterstützen. "Die Menschen hier haben Angst, dass ihnen etwas weggenommen wird", sagt Bergmann der DW.

Evelin Berman, Bürgermeisterin in Neißeaue
Die Bürgermeisterin von Neißeaue: Evelin BergmannBild: DW/K. Brady

"Sie hören in den Nachrichten von Radikalisierung und Terroranschlägen. Es gibt eine fast fiktive Angst. Die Leute fahren nach Görlitz, nach Dresden und in andere Städte und sehen teilweise nur noch ausländische Bürger auf der Straße, was natürlich übertrieben ist. Dann sagen sie: Das wollen wir für uns hier nicht", erklärt Bergmann.

Nach zahlreichen negativen Schlagzeilen zögern viele AfD-Wähler nun, mit Journalisten zu sprechen. "Ich habe nichts mehr zu sagen", sagt eine Frau, die grade eine Metzgerei verlässt. "Wir werden in der Presse so negativ dargestellt: als Neonazis und Rechtsextreme.“

"Die AfD hat uns eine Stimme gegeben".

Vor einem Lebensmittelgeschäft hält eine Frau in ihrem Geländewagen an. "Das Leben ist gut", sagt sie der DW und fügt hinzu, dass sie eine Vollzeitbeschäftigung hat. Auch sie stimmte für die rechtsextreme Partei. "Wir haben jetzt eine Stimme um zu sagen, was wir seit Jahren nicht mehr sagen durften. Wir Deutschen müssen aufhören, uns für die Vergangenheit zu entschuldigen. Die Zeit ist vorbei. Deutschland braucht wieder Ordnung. Es kann nicht sein, dass Leute hierher kommen und denken, sie könnten ein Messer rausziehen."

Auch ein Mann, der früher die CDU gewählt hat, sagt, dass die Entscheidung der Kanzlerin während der Migrationskrise 2015, die Grenzen Deutschlands offen zu halten, der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. "Man kann die Leute hier nicht einfach reinlassen ohne Kontrolle. Warum bleiben sie hier? Sie sollen dankbar sein, dass sie hier Unterkunft bekommen. Sie sollen dankbar sein das sie am Leben sind“, sagt er und fügt hinzu, dass die Bundesregierung im Vergleich dazu die Deutschen im ehemaligen Osten vernachlässigt habe.

Zu sehen ist das Bürgermeisteramt in Neißeaue
Pittoresk wie viele Gebäude in Neißeaue: das BürgermeisteramtBild: DW/K. Brady

"Sie haben vor langer Zeit aufgehört, sich um uns zu kümmern", sagt er. "Wir sind am östlichsten Punkt Deutschlands hier. Da ist die Autobahn und dann nichts", sagt er und lacht.

"AfD ist nicht die Antwort"

Es ist aber nur eine Hälfte der Wähler von Neißeaue, die für die AfD gestimmt hat. Viele der anderen Hälfte fragen sich, ob sie am selben Ort leben. "Ich befürchte sehr, dass die AfD-Wähler hier ganze normale Leute sind - wie Sie und ich", sagt eine Frau auf ihrem Fahrrad. "Sie sind keine Neonazis. Aber ich glaube, viele befassen sich kaum mit dem Parteiprogramm."

Allerdings kennt sie auch die Probleme in Neißeaue: Bei einigen Bewohnern sei innerhalb weniger Jahre zwei bis dreimal eingebrochen worden, sagt sie. "Grenzkriminalität muss bekämpft werden. Aber im Großen und Ganzen ist das Leben hier gut. Und die AfD ist alles Mögliche, aber nicht die Lösung unserer Probleme."