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Politik

Ist die Dezentralisierung gescheitert?

Daniel Pelz
19. September 2019

Schluss mit Korruption und Machtmissbrauch! Geberländer wie Deutschland haben dafür eine Strategie: Afrikas Regierungen sollen Macht und Geld an Gemeinden oder Regionen abgeben. Doch das klappt längst nicht immer.

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Präsident Mwai Kibaki bei der offiziellen Verkündung der neuen Verfassung
Kenias neue Verfassung schuf eine dezentrale RegierungsstrukturBild: Getty Images/AFP/T. Karumba

Begeisterte Menschenmassen, Militärparaden und ein strahlender Präsident: Am 27. August 2010 herrscht Partystimmung in Kenia. "Heute ist der wichtigste Tag im Leben unserer Nation seit der Unabhängigkeit", ruft Staatschef Mwai Kibaki vor hunderttausenden Landsleuten in der Hauptstadt Nairobi. Kurz zuvor hat er ein Exemplar der neuen Verfassung wie einen Siegerpokal in die Luft gereckt. Nach 20 Jahren Streit und zwei Volksabstimmungen ist mit seiner Unterschrift die neue Verfassung in Kraft getreten.

Und was für eine. Das politische System Kenias verändert sich von einem Tag auf den anderen. Gewaltenteilung, Menschenrechte, Föderalismus: Der zentralistische Einheitsstaat mit dem fast allmächtigen Präsidenten an der Spitze ist Geschichte. Nun gibt es 47 Bezirke mit eigenen Parlamenten und Regierungschefs. 15 Prozent der Staatseinnahmen stehen ihnen zu. Nicht mehr Ministerialbürokraten im fernen Nairobi sollten allein entscheiden, wo Krankenhäuser oder Straßen gebaut werden. "Lasst uns die Möglichkeiten nutzen, die uns die Bezirksregierungen bieten, damit jede Ecke unseres Landes entwickelt wird", mahnt Präsident Kibaki.

Frust nach neun Jahren

Das gilt auch heute noch, neun Jahre später. Kibaki-Nachfolger Uhuru Kenyatta ist zwar dank der neuen Verfassung kein Alleinherrscher mehr. Aber auf den Straßen von Nairobi ist nicht jeder zufrieden. "Wenn ich früher die Regierung beliefert habe, musste ich ein Jahr auf meine Bezahlung warten. Wenn ich heute eine Bezirksregierung beliefere, ist es auch nicht anders", sagt der Unternehmer Josuah Kituu zur DW. "Durch die neue Verfassung haben wir viele neue Posten bekommen, zum Beispiel die Gouverneure. Es gibt mehr Wahlkreise. Ich denke, allein schon wegen der Lohnkosten müssen wir das reduzieren", sagt Shadrack Misik.

Präsident Mwai Kibaki bei den Feierlichkeiten in Nairobi 2010
Die Verkündung der neuen Verfassung wurde in Kenia groß gefeiertBild: Getty Images/AFP/S. Maina

Denn die neuen Bezirke kosten eine Menge. 2018 gaben die Bezirke laut der Tageszeitung "The Standard" rund 120 Milliarden Kenia-Schillinge (rund 1,04 Milliarden Euro) für Löhne und Gehälter aus. Was aber auch nicht jeder Bürger schlecht findet: "Wir haben keine Überrepräsentation. Wenn die Menschen an der Basis besseren Zugang zu staatlichen Leistungen bekommen sollen, müssen diese Menschen auch besser vertreten werden", meint Kennedy Kaunda.

Die Transparenz bleibt dabei aber mitunter auf der Strecke. Einige Gouverneure haben wegen korrupter Deals ihren Posten verloren oder stehen vor Gericht. Im April ermittelte die Anti-Korruptionsbehörde gegen 14 Gouverneure.

Geber setzen auf Dezentralisierung

Was Kenia selbst entschieden hat, empfehlen westliche Geber auch vielen anderen afrikanischen Staaten: Schafft starke Kommunen, Bezirke oder Bundesländer. Gebt Kompetenzen und auch Gelder an sie ab. "In autoritär regierten Ländern in Afrika zeigte sich, dass oft das meiste Geld an der Spitze oder in den Ministerien zur Seite geschafft wurde. Durch die Dezentralisierung wird ein Teil des Geldes auf die lokale Ebene verlagert und dort hoffentlich verantwortungsvoll eingesetzt", sagt der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, zur DW.

Straße in Mali
Durch die Dezentralisierung sollen mehr Gelder auf lokaler Ebene eingesetzt werden, zum Ausbau der Infrastruktur Bild: Getty Images/AFP/M. Cattani

Etwa 580 Millionen Euro gibt das Entwicklungsministerium für entsprechende Projekte in 17 afrikanischen Ländern aus -  von Fortbildungen für Beamte lokaler Behörden in Madagaskar bis zu neuer Finanz-Software für Kommunen in Ghana. Dazu kommen Beratungen für Regierungen, wie aus zentralistisch organisierten Ländern föderale Staaten werden. Nach Ministeriumsangaben haben zwischen 2010 und 2015 bereits 77 Millionen Afrikaner von besseren staatlichen Dienstleistungen profitiert.

Aber auch die Bundesregierung weiß, dass nicht alles rund läuft. "Dezentralisierung muss bei den Menschen ankommen. Es reicht nicht, wenn wir Papiere schreiben, Strategien verabschieden und neue Strukturen schaffen. Wenn Interesse und Reformbestrebungen nicht aus den Staaten selbst kommen, können wir dort auch nichts Vernünftiges bewirken", so Nooke.

Doch manch eine Regierung will ihre Macht nicht abgeben – tut es aber,  um die Geber zufrieden zu stellen. Entsprechend gering ist das Interesse, dass die Lokalverwaltung funktioniert. Beispiel Demokratische Republik Kongo: Hier können die Provinzen eigene Steuern erheben. Das Geld müssen sie dann aber erst mal an die Zentralregierung abführen und anschließend mühsam wieder zurückfordern – was nicht immer gelingt.

Rathaus in Mbandaka, Demokratische Republik Kongo
Viele Gemeindeverwaltungen sind unterfinanziert und kaum in der Lage, ihre Aufgaben zu bewältigenBild: Getty Images/AFP/J.D. Kannah

Manchmal scheitert es auch an den Bedingungen vor Ort. In abgelegenen armen Regionen fehlt es bei aller Begeisterung oft schlicht an genug ausgebildetem Personal. "In Burkina Faso ist nicht einmal die Hälfte aller Lokalpolitiker in der Lage zu lesen und zu schreiben. Die Kommunalverwaltungen sind klein und mit ihren Aufgaben völlig überfordert", sagt Malte Lierl, der am GIGA-Institut in Hamburg über Lokalregierungen in Afrika forscht.

Und: In unwegsamen Riesenländern wie dem Kongo oder Krisenstaaten wie Mali haben Zentralregierungen viele Gebiete noch nie wirklich kontrollieren können. "Wo schon der Zentralstaat zu schwach ist, um Steuern zu erheben und öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen, schafft das eine Provinz – oder Kommunalregierung, die von außen aufgezwungen worden ist , erst recht nicht", so Lierl. Sein Fazit: Die Dezentralisierung sei nicht gescheitert. "Aber die Hoffnungen, die in sie gesetzt wurden, waren nicht realistisch."

Mitarbeit: Thelma Mwadzaya (Nairobi)