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Wie kommt es zu Fehlbildungen bei Babys?

20. September 2019

Innerhalb weniger Wochen sind in Deutschland mehrere Babys mit Fehlbildungen an den Händen zur Welt gekommen. Zufall? Vielleicht. Der Kinder- und Jugendmediziner Fred Zepp klärt über die möglichen Ursachen auf.

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Hand-Fehlbildungen
Bild: picture-alliance/dpa/M. Balk

DW: Innerhalb weniger Wochen sind in einer Klinik in Gelsenkirchen drei Kinder mit sehr ähnlichen Fehlbildungen an jeweils einer Hand zur Welt gekommen. Was in diesen drei konkreten Fälle die Ursachen sind, weiß bisher keiner. Aber ganz allgemein gesprochen: Was können die Ursachen für derartige Fehlbildungen sein?

Fred Zepp: Eine mögliche Ursache ist eine genetische Prädisposition, die zu solchen Fehlentwicklungen an Armen oder Beinen führen können. Die geht häufig mit weiteren Entwicklungsstörungen des Skeletts einher, beispielsweise an der Wirbelsäule.

Äußere Einflüsse können natürlich auch ein Grund sein, vor allem, wenn sie in der Frühschwangerschaft, also bis zur zwölften Woche auf den Embryo einwirken. In dieser Zeit , der sogenannten "Embryonalperiode", werden alle Organe des Menschen angelegt. Wenn dort etwas einwirkt, kann es zu Entwicklungsstörungen kommen.

Was z.B. könnte Entwicklungsstörungen auslösen?

Medikamente zum Beispiel. Sehr bekannt sind ja die Contergan-Fälle aus den späten 1950er-Jahren. Das wurde als Beruhigungsmittel verschrieben und hat mit der Entwicklung der Extremitäten interferiert. Einen ähnlichen Effekt könnten Medikamente haben, die die Durchblutung des Embryos beeinflussen - also die Blutgefäße verengen und es so zu einer Minderversorgung mit Blut kommt.

Contergan Deutsches Museum zeigt «geliebte Technik» der 50er
Contergan führte in den 50er Jahren zu schweren Missbildungen der Arme von NeugeborenenBild: picture-alliance/dpa/F. Leonhardt

Auch Umweltgifte könnten eine Rolle spielen, da wissen wir aber noch nichts Genaueres. In Frankreich werden beispielsweise gerade die Auswirkungen von Pestiziden diskutiert. Bewiesen ist da allerdings nichts. 

Eine weitere Möglichkeit sind Infektionen während der Schwangerschaft, die zur Ausbildung kleiner Narbenstränge, sogenannter "Amnionschnüre", führen können. Im ungünstigsten Fall kann so ein Strang eine Extremität abschnüren. Das ist häufig noch beim Neugeborenen zu erkennen, weil es tatsächlich so aussieht, als sei die Extremität mit einem Band abgeklemmt worden.

Und so etwas kann durch eine ganz normale Grippe-Infektion ausgelöst werden?

Ja, möglich ist das. Normalerweise eliminiert unser Immunsystem die Mikroorganismen, die sich während einer Infektion in unserem Körper befinden. Gefährlich wird es dann, wenn die Erreger aus dem Urogenitaltrakt der Schwangeren bis in die Fruchtblase wandern. Virusinfektionen wie Röteln oder Herpesviren könnten die Ursache sein, ebenso Toxoplasmose-Parasiten. 

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Gegen Röteln sollte eine Frau vor der Schwangerschaft geimpft sein, aber Herpesinfektionen sind nicht unbedingt vermeidbar. Diese Viren können wir uns irgendwann mal während einer Grippe zugezogen haben, und wir sind sie seither nicht mehr losgeworden. Es sind sogenannte "latente Viren", die im Laufe unseres Lebens immer wieder reaktiviert werden können. So sind die meisten Zytomegalie-Erkrankungen [ausgelöst durch das Humane Herpesvirus 5 (HHV 5) Anm. d. Red.] bei Schwangeren keine Neuinfektionen, sondern Reaktivierungen von Herpesviren. Das ist ein bestehendes Restrisiko in einer Schwangerschaft, es passiert allerdings nur sehr selten.

Zurück zu den Fällen in Gelsenkirchen: Wie lässt sich nun herausfinden, was die genauen Ursachen der Fehlbildungen dieser drei Babys sind?

Die Kollegen in Gelsenkirchen haben sich mit der Charité in Berlin in Verbindung gesetzt, wo man sich wissenschaftlich mit den die Schwangere und das werdende Leben beeinflussenden, schädigenden Umständen und Risiken befasst. Ein Schritt wird sein, die jeweiligen, speziellen Bedingungen dieser drei Schwangerschaften zu untersuchen. Vielleicht werden auch die Kinder untersucht, vorausgesetzt natürlich, dass die Eltern das möchten. Ist da irgendetwas auffällig gewesen? Wurden bestimmte Medikamente genommen? In welchem Umfeld leben die Familien? So wird nach Gemeinsamkeiten, nach einem sogenannten "Cluster" gesucht.

Wahrscheinlich wird auch - sofern die Eltern einverstanden sind - eine genetische Untersuchung bei den Kindern vorgenommen. Wir kennen einige genetische Veranlagungen, die mit der Fehlbildung von Extremitäten assoziiert sind. Die Fälle in Gelsenkirchen können Zeichen für einen gleichartigen Hintergrund oder aber auch purer Zufall sein.

Der Neonatologe und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Prof. Dr. Fred Zepp ist Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik in Mainz.

Das Interview führte Julia Vergin.