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Politisch korrekte Übersetzungen

Elizabeth Grenier pl
30. September 2019

Darf die Neuauflage eines Literaturklassikers Begriffe enthalten, die heutzutage als anstößig gelten? Am Internationalen Übersetzertag stellen wir einige Formulierungen vor, mit denen Übersetzer zu kämpfen haben.

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Filmstill von "Gone With The Wind"
Das Südstaatenepos "Vom Winde verweht" - Verfilmung von 1939Bild: picture-alliance/Everett Collection

Die Debatte um politische Korrektheit in der Literatur wird seit Jahren geführt. Eines der berühmtesten Beispiele in Deutschland ist die Geschichte von Pippi Langstrumpf, geschrieben von der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. In dem 1948 auf Schwedisch erschienenen Buch "Pippi Langstrumpf in der Südsee" wird Pippis Vater als "Negerkönig" bezeichnet. In der deutschen Neuübersetzung von 2009 wurde der Begriff in "Südseekönig" abgeändert. Die englische Erstübersetzung hatte sich zuvor bereits mit dem Begriff "Kannibalenkönig" beholfen, der aber wiederum ebenfalls rassistische Konnotationen hervorrief.

Der politisch inkorrekte Huckleberry Finn

Ein anderes Beispiel: Im Jahr 2011 erschien eine neue englische Ausgabe des Literaturklassikers "Huckleberry Finn" von Mark Twain. Diese Neufassung verzichtete auf das Wort "Nigger", das im Originaltext 219 Mal vorkommt. Eine verständliche Aktion, schrieb damals der Mark Twain-Experte Peter Messent in der Zeitung "The Guardian". Nichtsdestotrotz würde dies einen "großartigen anti-rassistischen Roman verfälschen". 

Buchcover von "Huckleberry Finn" (1884)
Originalbuchcover von "Huckleberry Finn" von 1884 Bild: Getty Images/Hulton Archive

Zu einem ähnlichen Schluss kam der Übersetzer Andreas Nohl. Er behielt den Ausdruck "Nigger Jim" in der von ihm im Jahr 2010 erschienenen deutschen Neuübersetzung bei. Dabei weist er darauf hin, dass er solche Begriffe nicht einfach für sich stehen lässt, sondern sie erläutert: "Ich habe einen relativ großen Anmerkungsapparat in meinen Büchern - das sind ja sorgfältig editierte Klassikerausgaben -, und der Begriff wird darin eindeutig als rassistisch definiert und erklärt."

Nohl weist zudem darauf hin, dass die Wortwahl in "Huckleberry Finn" bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches 1884 politisch nicht korrekt war. Trotz dieser provokativen Verwendung rassistischer Begriffe gilt Mark Twains Werk unter Wissenschaftlern als antirassistisch.

Vom Winde verweht: Ein kulturhistorisches Denkmal

Andreas Nohl arbeitet derzeit - zusammen mit seiner Partnerin Liat Himmelheber - an der Neuübersetzung eines weiteren Klassikers: "Vom Winde verweht" von Margaret Mitchell. Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Roman, der erstmals 1936 veröffentlicht wurde, spielt im US-Bundesstaat Georgia während des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865) und der anschließenden Reconstruction-Phase, also die Wiedereingliederung der Südstaaten in die Union, bis 1877. Der über 1100 Seiten dicke Schmöker, dessen Verfilmung im Jahr 1940 mehrere Oscars gewann, ist einer Umfrage von 2014 zufolge unter US-Lesern das zweitbeliebteste Buch - gleich nach der Bibel.

Andreas Nohl
Andreas Nohl Bild: Helmut Hien

Mehrere Kritiker attestieren dem Werk allerdings eine nostalgisch verklärte Darstellung der Sklaverei in den Südstaaten. Die Debatte, wie mit einem solchen "Denkmal der Kultur" umzugehen sei, wird in den USA seit Jahren geführt.

Für Andreas Nohl ist es weder ein anti-rassistisches noch ein rassistisches Buch. "Es beschreibt eine Ära des Rassismus - und das ist etwas völlig anderes." Für ihn ist der Roman ein Werk, das eine erneute Übersetzung ins Deutsche verdient, da es bis heute "zweifellos eines der einflussreichsten Bücher der internationalen Unterhaltungsliteratur" sei. Die Sprache passt er in dieser Neuübersetzung allerdings an: Das Wort "Nigger" wird mit "Schwarze" oder "Sklaven" übersetzt. Den historischen Kontext aber, in dem solche Bücher geschrieben wurden, könne man nicht ändern, so Nohl. "Wir sind nicht George Orwells Sprachpolizei - wir erfinden die Welt nicht neu." Wäre das der Fall, fügt er hinzu, wäre selbst die Bibel nach einer politisch korrekten Neuübersetzung kaum wiederzuerkennen.

Umgang mit dem Wort "Neger"

Buchcover von "Nach der Flut das Feuer" von James Baldwin
Bild: dtv

Die Übersetzerin Miriam Mandelkow hat mit James Baldwin eine der mächtigsten Stimmen der afroamerikanischen Literatur neu übersetzt. Darunter Baldwins Debütroman "Go Tell It on the Mountain" (auf Deutsch: "Von dieser Welt") aus dem Jahr 1953 sowie "The Fire Next Time" (auf Deutsch: "Nach der Flut das Feuer"), Baldwins 1963 erschienene einflussreiche Essay-Sammlung über die Rolle von Rasse und Religion in der Geschichte der USA.

Im Gegensatz zur ersten Übersetzung aus den 1960er Jahren vermied Mandelkow es, im Deutschen das Wort "Neger" zu verwenden - außer an den Stellen, an denen Baldwin selbst dem Begriff eine politische Bedeutung gibt, wenn er ihn als beleidigende Bezeichnung seitens der Weißen bezeichnet. Ihre Vorgehensweise erklärt sie ausführlich im Nachwort des Buches. "Jede zeitgenössische Übersetzung, die mit dem N-Wort konfrontiert ist, kann die Kommentare des Übersetzers nicht vermeiden", so Mandelkow im Gespräch mit der DW.

Miriam Mandelkow
Übersetzerin Miriam MandelkowBild: Ebba Drolshagen

Trotz ihres reflektierten Ansatzes wurde die Übersetzerin bei einer öffentlichen Veranstaltung in Berlin, in der es um die Frage ging, wie sie ihre Übersetzungen angegangen ist, heftig dafür kritisiert, dass sie das N-Wort überhaupt erwähnt. Solche Reaktionen haben sie und ihren Kollegen Ingo Herzke dazu veranlasst, auf der kommenden Frankfurter Buchmesse eine Veranstaltung unter dem Titel"N-Wort und Gender-Gap: Wie politisch korrekt sind Übersetzungen?" zu organisieren. Es gibt offensichtlich Gesprächsbedarf.

Das Problem mit der "Rasse"

Es gibt Begriffe, die im Englischen verwendet werden können, die im Deutschen jedoch überaus problematisch sind. Der Begriff "Rasse" ist einer davon. "Da ist man in Deutschland immer ein bisschen misstrauisch, weil man Erfahrungen mit dieser Art von Einteilung gemacht hat, die zu hundert Prozent negativ sind", so Ingo Herzke. Erst kürzlich haben deutsche Wissenschaftler der Universität Jena gefordert, den Begriff "Rasse" nicht mehr zu verwenden, da es keine biologische Grundlage für die Klassifizierung von Menschen in Rassen gebe.

Der deutsche Begriff "Rasse" könne daher nicht einfach als Übersetzung dienen, ohne kursiv, mit Bindestrich oder in einer Fußnote diskutiert zu werden, sagt auch Miriam Mandelkow, die sich bei der Übersetzung von Ta-Nehisi Coates' Bestseller "Between the World and Me" (auf Deutsch: "Zwischen mir und der Welt"), das sich mit den Rassenverhältnissen in den USA beschäftigt, ebenfalls mit dem Thema auseinandersetzen musste.

Symbolbild - Pippi Langstrumpf
Pippi Langstrumpf - ein Kinderbuchklassiker, der auch für Kontroversen sorgteBild: picture-alliance/dpa

Auseinandersetzung mit Geschlechterpolitik

Ein weiteres entscheidendes Thema ist die angemessene Übersetzung von Begriffen, die Personengruppen beschreiben. Während die englische Version eines Textes von "activists" sprechen kann, ohne darüber nachdenken zu müssen, wer nun darin aufgenommen ist und wer nicht, muss der deutsche Übersetzer entscheiden, wie dieses Wort aussehen soll, um Menschen aller Geschlechter einzubeziehen.

Es gibt derzeit verschiedene Möglichkeiten dies zu tun. Manche feminisieren Begriffe, die sonst normalerweise in männlicher Form geschrieben würden; dann gibt es Publikationen, die das "I" in weiblicher Form groß schreiben (AktivistInnen) oder einen Unterstrich (Aktivist_innen) oder ein Sternchen (Aktivist*innen) hinzufügen, um nicht-binäre Menschen einzubeziehen. "Das ist etwas, das die Literaturszene in Deutschland sehr bewegt", sagt Ingo Herzke. Wann immer der Übersetzerverband VdÜ dieses Thema diskutiere, rufe das "sehr intensive, fast körperliche Reaktionen hervor". In offiziellen Kontexten sei die Verwendung des Sternchen aus demokratisch-gesellschaftlichen Gründen verständlich, in literarischen Texten aber sei es für viele undenkbar, "weil es hässlich ist".

Aber offensichtlich, fügt Herzke hinzu, "gibt es für all diese Fragen keine klaren Antworten, das ist ein Prozess des gegenseitigen Verständnisses, der sich ständig weiterentwickelt. Ich bin ein Freund von Grauzonen, nicht von Regeln und Verboten", so Ingo Herzke. Schließlich handele es sich hier um Literatur - da könne man nicht anfangen, Industriestandards anzuwenden.

Die Diskussion "N-Wort und Gender-Gap: Wie politisch korrekt sind Übersetzungen?" findet am 17. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse statt.