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Politik

"Situation am Amazonas nicht unter Kontrolle"

Thomas Milz
1. Oktober 2019

Die Brände in Amazonien nehmen derzeit ab. Doch an die kriminellen Strukturen hinter der Vernichtung des Regenwaldes wage sich die Regierung nicht heran, meinen Experten. So fühlten sich die Kriminellen sogar bestärkt.

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Brasilien Brennende Amazonas-Dschungel in Apui
Bild: Reuters/B. Kelly

Im September registrierten die Satelliten des staatlichen Klimainstituts Inpe 19.195 Brandherde in Amazonien, 22 Prozent weniger als im September 2018. Ist die Brandkatastrophe, die über Wochen die Welt in Aufregung versetzte, also mittlerweile unter Kontrolle? 

In weiten Teilen Amazoniens habe in den letzten Tagen die Regenzeit eingesetzt, was die Brände automatisch reduziere, sagte die Umweltaktivistin Angela Maria Feitosa Mendes der DW. Mendes, die Tochter des 1988 ermordeten Aktivisten Chico Mendes, lebt in Rio Branco, der Hauptstadt des Teilstaates Acre, in dem die Brände in den vergangenen Wochen mit am heftigsten wüteten.

Im August ging die Bilder des brennenden Waldes um die Welt: 31.901 Brandherde wurden in Inpe gezählt, 196 Prozent mehr als im August 2018. Präsident Jair Messias Bolsonaro beschuldigte, ohne Beweise vorzulegen, erst Nichtregierungsorganisationen und dann indigene Völker der Mitschuld an den Bränden. Erst als das Image Brasiliens global bereits Schaden genommen hatte, reagierte der Präsident und beorderte am 23. August das Militär an den Amazonas. Der Auftrag: Die Brände bekämpfen und die Brandstifter verhaften.

Brasilien | Brände im Amazonasgebiet
Brennender Baum im AmazonasgebietBild: Reuters/B. Kelly

Die "Operacao Verde Brasil" (Operation grünes Brasilien) ist laut Regierung ein derartiger Erfolg, dass man sie bis Ende Oktober verlängerte. Rund 8000 Mann hätten bisher, mit Hilfe von 14 Flugzeugen und gemeinsam mit Beamten anderer Behörden, rund 1600 Brandherde bekämpft. Zudem wurden 77 Personen festgenommen, tausende Kubikmeter illegal geschlagenes Holz sowie Gerätschaften der Holzhändler konfisziert. Man habe darüberhinaus 18 illegal errichtete Camps zerstört und 74 Fahrzeuge beschlagnahmt. Umweltminister Ricardo Salles ist derzeit in Europa, um die Erfolge zu verkünden. Und um Brasiliens verkohltes Image aufzupolieren.

Kritik an der Regierung

Doch daheim erntet die Regierung mehr Kritik als Lob. "Die eine oder andere Operation mag zwar Gerätschaften beschlagnahmt haben, und einige Personen wurden festgenommen. Aber das rüttelt nicht an dem riesigen Problem, das durch den Diskurs der Regierung überhaupt erst geschaffen wurde", sagte Carlos Rittl vom Klima-Think-Tank Observatório do Clima der DW.

Rittl verweist auf die rasant steigenden Abholzungszahlen im Juli (+ 278 Prozent) und August (+ 222 Prozent). Bis zum 19. September wurde mit 1173 Quadratkilometern gerodetem Wald sogar bereits der Wert des gesamten Septembers 2018 (739 Quadratkilometer) deutlich überschritten. "Die Verbrechen werden weiterhin begangen, ohne dass es eine entsprechende Antwort gibt", so Rittl. "Man will mit Propagandakampagnen zeigen, dass die Situation unter Kontrolle ist. Aber das ist sie nicht." 

Keine Eindämmung der Abholzungen

Rittl erinnert daran, dass das Militär lediglich bei der Bekämpfung der Brände eingesetzt wird, aber nicht zur Eindämmung der Abholzungen. Angela Mendes glaubt derweil nicht, dass sich Kriminelle vom Einsatz der Militärs überhaupt abschrecken lassen. "Da glaub ich nicht dran, auch weil so eine Handvoll Militärs ja nicht die Probleme Amazoniens lösen können. Und der Bevölkerung jagen sie auch keine Angst ein, denn diese hört ja von noch höherer Stelle, dass es okay sei, dass es erlaubt sei, diese Verbrechen zu begehen."

Angela Maria Feitosa Mendes
Umweltaktivistin Angela Maria Feitosa MendesBild: Márcio Pimenta

So habe sowohl der Gouverneur von Acre wie auch Bolsonaro offen die Landwirte der Region ermuntert, abzuholzen, erinnert Mendes. "Und es gibt Abgeordnete, die aufs Land gehen und den Landwirten sagen, dass sie abholzen können. Man garantiere ihnen, dass es keine Bußgelder geben wird."

Bolsonaro gegen die "Bußgeldindustrie"

Tatsächlich zeigen von der Zeitung "O Globo" veröffentlichte Dokumente, dass die Zahl der von der Umweltbehörde Ibama verhängten Bußgelder seit dem Beginn des Militäreinsatzes um die Hälfte zurückgegangen ist, im Vergleich zum Vorjahr. Dass die Bußgelder generell wenig Abschreckungspotential haben, ist bereits seit längerem bekannt. Studien zeigen, dass lediglich rund 1,5 Prozent der Bußgelder überhaupt gezahlt werden. Konsequenzen hat die Zahlungsweigerung praktisch nie.

Global Ideas Brasilien Illegale Abholzung in Anapu
Brasilien: Illegale Abholzung, hier in Anapu im Bundesstaat ParáBild: Reuters/N. Doce

Auch im Vorfeld der Brände habe die Regierung nichts unternommen, obwohl man wusste, in welchen Regionen Brände drohten, so Marcio Astrini von Greenpeace Brasil im Gespräch mit der DW. "Die Regierung blieb untätig und ließ es zu diesen unhaltbaren Zuständen kommen, die im Ausland gar Brasiliens Image beschädigten. Jetzt versucht das Militär die Feuer zu löschen, die die Regierung selbst provoziert hat."

Denn der Wald brenne nicht von alleine, oder weil es dieses Jahr besonders heiß und trocken ist, wie Bolsonaro in seiner Rede zur Eröffnung der UN-Vollversammlung vor einigen Tagen sagte. "Da hat er gelogen. Der Wald fängt nicht von alleine Feuer, da muss schon jemand ein Streichholz anzünden. Und zu denen, die da am meisten mitgemacht haben, zählt die Regierung."

Bereits im Wahlkampf habe Bolsonaro versprochen, mit Ibamas "Bußgeldindustrie" Schluss zu machen. Und seit seinem Amtsantritt im Januar wurden die Budgets der Kontrollbehörden Ibama und ICMBio gekürzt, erinnert Astrini. Umweltminister Ricardo Salles drohte zu eifrigen Ibama-Mitarbeitern zudem gar mit juristischen Konsequenzen, während Bolsonaro es der Behörde untersagte, konfiszierte Gerätschaften der Umweltzerstörer abzufackeln, obwohl das gesetzlich gestattet ist. Zudem entließ er den Inpe-Chef, nachdem der die steigenden Abholzungszahlen publik gemacht hatte. "Aber Bolsonaro hat nie einen Umweltsünder offen angeklagt", so Astrini.

Zweifel an Effizienz des Militäreinsatzes

Die Kontrollbehörden stünden mittlerweile alleine im Wald. "Jetzt haben die Kriminellen den Respekt und die Angst verloren", so Astrini. Sie schreckten weder davor zurück, Fahrzeuge der Kontrollbehörden anzuzünden wie auch die Beamten zu bedrohen, wie Reportagen eigten. "Die Regierung hat sie stark gemacht. Und die Regierung steht auf der Seite des Verbrechens." Zudem wurde bekannt, dass sich die Militärs in mindestens drei Fällen geweigert haben, die Umweltkontrolleure bei ihren Einsätzen zu begleiten. 

Die Weigerung des Militärs sei ein Skandal, so Astrini. "Das Militär ist ja extra dort, um Ibama zu beschützen. Denn mit derart wenigen Beamten könnte Ibama und ICMBio alleine nichts ausrichten." Carlos Rittl hofft, dass die Europäische Union im Rahmen des Handelsabkommens mit dem Mercosur genug Druck aufbaut, um Brasilien zur versprochenen Einhaltung von Umweltstandards zu zwingen. An der Effizienz des Militäreinsatzes zweifelt Rittl jedoch. "Das Problem, das die Regierung hier in Amazonien verursacht hat, kann man nicht mit kurzfristigen Operationen lösen. Dazu braucht es einen präsenten Staat, der dazu bereit ist, mit den Verbrechen gegen die Umwelt aufzuräumen. Aber diese Bereitschaft gibt es nicht."