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Gesellschaft

US-Grenze: Tod eines Jugendlichen

Carla Bleiker mit AP, ProPublica
6. Dezember 2019

Ein 16-Jähriger aus Guatemala starb in einer Zelle der Grenzpolizei. Ein neues Video wirft Fragen zum Verhalten der Beamten auf, die in der Nacht Dienst hatten. Ignorierten sie einen sterbenden Jugendlichen?

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Guatemala USA Fall Carlos Gregorio Hernandez Vasquez
Bild: Getty Images/AFP/J. Ordonez

Der 16-jährige Carlos Gregorio Hernandez Vasquez starb in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 2019 in einer Zelle der Grenzpolizei in Texas. Er kam aus Guatemala und war einige Tage zuvor bei seinem Versuch, die Grenze zwischen Mexiko und den USA zu überqueren, festgenommen worden. Ein Video, das nun von der investigativen Nachrichtenseite ProPublica veröffentlicht wurde, zeigt, dass Hernandez Vasquez mitten in der Nacht in seiner Zelle zusammenbrach. Er zuckte zunächst noch mit den Armen und Beinen. Nach etwa 15 Minuten, gegen 1:39 Uhr, hörte er auf, sich zu bewegen. Sein Zellengenosse fand die Leiche von Hernandez Vasquez am nächsten Morgen. Er rief an der Zellentür um Hilfe, woraufhin Beamte der Grenzpolizei in die Zelle kamen und den Tod des Jungen feststellten.

Hernandez Vasquez war am 13. Mai gemeinsam mit etwa 70 anderen Einwanderern in Texas aufgegriffen worden. Eine Krankenschwester untersuchte ihn am 19. Mai und stellte fest, dass er Grippe und 39,4 Grad Fieber hatte. Sie empfahl, den Jungen zwei Stunden später noch einmal zu untersuchen und ihn - sollte sich sein Zustand verschlechtert haben - in die Notaufnahme zu bringen.

Aber eine zweite Untersuchung fand nie statt. Die Beamten brachten Hernandez Vasquez von der völlig überfüllten Aufnahmeeinrichtung in McAllen, wo er mit anderen Migranten untergebracht war, zu einer nahegelegenen Grenzpolizeiwache. Dort steckten sie ihn zusammen mit einem anderen kranken Jungen in eine Quarantänezelle und sahen nicht mehr nach ihm, bis sie am nächsten Morgen zu seiner Leiche gerufen wurden.

Guatemala USA Fall Carlos Gregorio Hernandez Vasquez
Hernandez Vasquez starb in einer Zelle dieser Grenzpolizeiwache im Süden von TexasBild: picture-alliance/AP Photo/The Monitor/J. Martinez

Falsche Angaben der Grenzpolizei

Die letzten Momente im Leben des 16-jährigen Carlos, die auf dem jetzt veröffentlichtem Video zu sehen sind, zeichnen ein ganz anderes Bild, als es die Erklärung der Grenzschutzbehörde nach seinem Tod im Mai tat. Laut eines Protokolls der Grenzpolizei sollen Beamte um 2:02 Uhr, 4:09 Uhr und 5:05 Uhr einen sogenannten "welfare check" durchgeführt haben, also eine Kontrolle des Wohlbefindens der Zelleninsassen. Videoaufnahmen davon gibt es nicht, weil das Überwachungsvideo nach 1:39 Uhr abrupt abbricht und erst vier Stunden später wieder einsetzt.

Norma Jean Farley, die Pathologin, die die Autopsie an Hernandez Vasquez vornahm, sagte ProPublica, man habe ihr berichtet, ein Beamter habe beim welfare check durch ein Fenster in die Zelle geschaut, sei aber nicht hineingegangen. Die Beine des Jugendlichen ragten nach seinem Zusammenbruch hinter der Toiletten-Trennwand in der Zelle hervor und müssten durch das Fenster erkennbar gewesen sein. Auf Polizeifotos ist zu sehen, dass sich um den Kopf des Jugendlichen eine große Blutlache auf dem Betonboden der Zelle gebildet hatte.

"Die einzige Erklärung dafür, wie die Grenzpolizeibeamten die schlimme Lage, in der Carlos sich befand, übersehen konnten, ist, dass sie nicht hingesehen haben", heißt es in dem ProPublica-Artikel. Der Beamte, der in der Nacht für Hernandez Vasquez zuständig war, habe "keine adäquaten Kontrollen durchgeführt, wenn er überhaupt nach ihm gesehen hat".

Im Mai hatte John Sanders, der damalige Direktor der Zoll- und Grenzschutzbehörde, den Tod von Hernandez Vasquez als "tragischen Verlust" bezeichnet und gesagt, die Grenzpolizei sei "der Gesundheit, Sicherheit und dem menschlichen Umgang" mit Migranten in ihrer Obhut verpflichtet.

Guatemala USA Fall Carlos Gregorio Hernandez Vasquez
Rigoberta Vasquez (r.), die Mutter des verstorbenen Jugendlichen, fordert AufklärungBild: Getty Images/AFP/J. Ordonez

"Unentschuldbares Verhalten" der Behörden

Kurz nach dem Tod des Jugendlichen trat Sanders zurück. Heute sagt er, die US-Regierung hätte mehr tun können, um die Todesfälle von Hernandez Vasquez und mindestens fünf weiteren Kindern und Jugendlichen, die im vergangenen Jahr nach der Festnahme durch Grenzschutzbeamte starben, zu verhindern. "Die Regierung hat Menschen wie Carlos im Stich gelassen", sagte Sanders ProPublica. "Ich war Teil dieses Systems auf einer sehr hohen Ebene und Carlos' Tod wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen."

Bennie Thompson, ein demokratischer Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus, nannte das Verhalten der Zoll- und Grenzschutzbehörde "unentschuldbar". Thompson ist der Vorsitzende des für das Heimatschutzministerium zuständigen Kongressausschusses. Die Zoll- und Grenzschutzbehörde untersteht dem Heimatschutzministerium. Die Behörde habe sich nicht um den Jugendlichen gekümmert, als er krank war. Außerdem war sie "anscheinend unehrlich dem Kongress und der Öffentlichkeit gegenüber, was die Umstände des tragischen Todesfalls angeht".

In dem Fall wird weiter ermittelt. Für die Eltern von Hernandez Vasquez kann das nur ein kleiner Trost sein. Der Jugendliche war in seinem Heimatdorf San Jose del Rodeo Kapitän der Fußballmannschaft und ein herausragender Schüler, wie es bei ProPublica heißt. Sein Plan war es, in den USA zunächst Arbeit auf einer Baustelle zu finden. Stattdessen starb er auf dem Betonboden einer Zelle, eine Woche, nachdem er das Land der unbegrenzten Möglichkeiten erreicht hatte.

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker