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Politik

Saterfriesisch - der Kampf ums Überleben

Tessa Clara Walther
21. Februar 2020

Tausende von Sprachen sind weltweit vom Aussterben bedroht. Eine von ihnen ist Saterfriesisch im Nordwesten Deutschlands. Ein Besuch in einer hartnäckigen Gemeinde.

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Saterland | "Bedrohte Sprachen" - Der Heimatverein "Seelter Buund" bei seiner Versammlung
Bild: DW/T. Walther

"Gouden Mäiden" begrüßt Schuldirektor Torben Hinrichs seine Grundschüler in seinem Klassenzimmer, "Gouden Mäiden!” rufen sie selbstbewusst zurück. "Könnt ihr euch noch an die Zahlen vom letzten Mal erinnern?", fragt er in die Runde. "Eens, two, träi, fjauer, fieuw”, antworten die Kinder schon etwas weniger mutig, während er die Nummern auf Pappschildern hoch hält. Die Schüler der Grundschule Scharrel lernen Saterfriesisch, jahrhundertelang die Muttersprache der Menschen aus dieser kleinen Region in Niedersachsen, 80 Kilometer westlich des kleinsten Bundeslandes, der Hansestadt Bremen. Schon im Mittelalter entwickelte sich diese kleine Sprachinsel, denn das Saterland war durch das moorige Umland von den Nachbargemeinden getrennt. Heute sprechen nur noch circa 2000 Bewohner Saterfriesisch, die Sprache droht zu verschwinden.

Saterland | "Bedrohte Sprachen" - Grundschule in Scharrel
An der Grundschule in Scharrel wird Saterfriesisch unterrichtetBild: DW/T. Walther

Eine Sprache als Zuhause

"Saterfriesisch, das ist nicht nur unsere Sprache und Kultur, das ist unsere Heimat,” sagt Johanna Evers. Obwohl die ehemalige Realschullehrerin schon lange pensioniert ist, ist sie heute in die Grundschule Scharrel gekommen. Sie will den Kindern als echte Muttersprachlerin aus einem saterfriesischen Buch vorlesen. Doch nicht alle Eltern sind davon überzeugt, dass ihre Kinder die Minderheitensprache lernen sollen. "Es ist unnütz", "Es überfordert die Kinder", "Sie sollten lieber direkt Englisch lernen", das hören die Ehrenamtlichen und Lehrer oft. Setzten die sich durch, dann gibt es in dem Jahrgang auch keinen Saterfriesisch-Unterricht, sondern nur eine freiwillige Arbeitsgemeinschaft.

Immer weniger Sprachen in der Welt

So wie Saterfriesisch geht es vielen Sprachen in der ganzen Welt. Die Weltkulturorganisation UNESCO schätzt, dass es etwa 7000 gesprochene Sprachen auf der Welt gibt, rund die Hälfte von ihnen sind vom Aussterben bedroht. "Die Sprachenvielfalt nimmt global immer weiter ab”, sagt Frank Seifart, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft Berlin und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Sprachen. Es sei normal, dass Sprachen verschwinden, während andere entstehen, erklärt er, jedoch sei seit rund 500 Jahren ein klarer Trend erkennbar: Die Zahl der gesprochenen Sprachen sinkt. Der Sprachwissenschaftler rechnet damit, dass die Hälfte aller Sprachen schon Ende dieses Jahrhunderts ausgestorben sein könnten.

Saterland | "Bedrohte Sprachen" - Frank Seifart
Frank Seifart untersucht bedrohte Sprachen in der WeltBild: DW/T. Walther

"Jeden Tag stirbt eine Sprache da draußen in der Welt. Und wir wollen da nicht dazugehören.” sagt Karl-Peter Schramm, genannt "Kalle”, und öffnet die Tür des saterfriesischen Gemeindezentrums. Er ist Teil des Heimatvereins 'Seelter Buund' und plant heute Abend mit anderen Mitgliedern das nächste Dorffest. Natürlich auf Saterfriesisch. "Wenn unsere Sprache aussterben würde, dann wäre das auch das Ende unseres Zusammenhalts.” Für die Menschen um den Tisch gehört Saterfriesisch zu ihrer Identität. Doch viele kennen den Druck von außen, sich anzupassen - und die Gefahr, nicht ernst genommen zu werden.

Förderung und Schutz per Gesetz

"Ich habe mit meinen Kindern hochdeutsch gesprochen, obwohl meine Muttersprache Saterfriesisch ist. Ich wollte eben, dass meine Kinder die besten Chancen haben”, erklärt Wilhelm Janßen, genannt "Willi”, Mitglied des Seelter Buunds. Oft seien es die Lehrer gewesen, die den Eltern eingeredet hätten, direkt Hochdeutsch mit ihren Kindern zu sprechen. "Aber da war auch viel Hochmut dabei.” fügt er hinzu. Die Entscheidung habe er mittlerweile schwer bereut. Heute spricht er mit seinem Enkel nur Saterfriesisch.

Dass Wertschätzung und Förderung von Minderheitensprachen nicht nur von den Gemeinden selbst, sondern auch von außen kommen muss, das hat Deutschland erkannt. Seit 1999 hat sich das Land auf Initiative des Europarates dazu verpflichtet, seine fünf Minderheitensprachen zu schützen und zu fördern, darunter Saterfriesisch. "Und trotzdem müssen wir den Geldern immer wieder hinterher rennen”, sagt Kalle Schramm. Für das Gemeindezentrum hat es aber doch gereicht, 150.000 Euro erhielten die Saterfriesen, um das kleine Fachwerkhaus zu kaufen.

Saterland | "Bedrohte Sprachen" - Verkehrsschilder auf Saterfriesisch
Alle Verkehrsschilder im Saterland sind zweisprachig - dafür hat der Heimatverein gesorgtBild: DW/T. Walther

Kolonialisierung und Unterdrückung als Feinde der Sprachen

Das Problem der fehlenden Wertschätzung kennt Frank Seifart aus seiner Forschung gut. Besonders während der Kolonisation von, zum Beispiel, Nordamerika oder Australien seien die indigenen Kulturen und ihre Sprachen als minderwertig angesehen worden. Das Ergebnis war brutale Unterdrückung bis hin zur Zwangsadoption der Kinder. Noch bis heute seien die Folgen dieser Verdrängung zu spüren, sagt Seifart. Laut dem Glottolog-Sprachenkatalog sind von 342 ehemals in Australien gesprochenen Sprachen 123 bereits ausgestorben und derzeit nur noch zwei nicht vom Aussterben gefährdet. In Nordamerika sind von ehemals 680 Sprachen 164 bereits ausgestorben und 446 vom Aussterben bedroht.

Früher Unterricht als Sprachen-Retter

Um diesem Schicksal zu entgehen, haben die Saterfriesen eine große Hoffnung: die Kinder der Grundschule Scharrel. "Wenn die Kinder in allen Grundschulen hier Saterfriesisch lernen würden, da können wir sicher sein, dass die Sprache auch in 50, 60 Jahren noch gesprochen wird.” sagt Kalle Schramm. Früh mit der Mehrsprachigkeit anzufangen, da stimmt auch die Gesellschaft für bedrohte Sprachen klar zu, sagt Frank Seifart: "Jeder soll mit Hilfe der großen internationalen Sprachen Zugang zu Informationen und Bildung haben, aber durch das frühe Lernen einer Minderheitensprache wird die Vielfalt und ihre Kultur bewahrt”.