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Treuhand: Gescheitert - und doch erfolgreich

1. März 2020

"Bad Bank der deutschen Einheit" oder "Maschinenraum der deutschen Wiedervereinigung"? Vor 30 Jahren wurde die Treuhandanstalt gegründet. Die Bilanz ist bis heute umstritten.

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Gebäude der ehemaligen Treuhandanstalt an der Leipziger Straße in Berlin
Gebäude der ehemaligen Treuhandanstalt an der Leipziger Straße in Berlin (heute Bundesfinanzministerium) Bild: Imago Images

"Die Treuhand ist gescheitert, aber am Ende hatte sie genau damit Erfolg" - so lautet die widersprüchliche Bilanz von Historiker Marcus Böick. "Bei ihrer Auflösung 1994 war die Treuhand unbeliebt wie nie, trotzdem wurde Kanzler Helmut Kohl damals wiedergewählt." Böick - der aus Sachsen-Anhalt stammt - forschte zehn Jahre lang an der Universität Bochum für sein Buch über "Die Treuhand", das 2018 erschien. 

DieAufgabe der Treuhandanstalt war gigantisch - und sie war ohne Beispiel. Nie zuvor war eine Planwirtschaft in die Marktwirtschaft überführt worden. Wie könnte die Volkswirtschaft der DDR, deren Ende sich abzeichnete, überleben? Wie könnte sie fit gemacht werden für den internationalen Wettbewerb?

Das war die Frage, die man sich in den letzten Monaten der DDR stellte. Am 1. März 1990 beschloss der Ministerrat der DDR die Gründung der "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums". Hauptaufgabe war die Entflechtung von Kombinaten und die Umwandlung der Nachfolgeunternehmen in Kapitalgesellschaften.

"Vor Kapitalismus schützen"

Für den Linken-Politiker Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion im Bundestag, war die Gründung der Treuhand an sich ein schwerer Fehler. "Die Treuhandpolitik war die Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln", schrieb er in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine" (FAZ). "Der Westen hätte mit dem Osten niemals so umgehen dürfen."

Zunächst wurde unter dem Ministerpräsidenten der vorletzten DDR-Regierung, Hans Modrow (SED/PDS) noch an Stufenplänen für eine langsame Öffnung der Staatsbetriebe (Kombinate) gearbeitet. Die Modrow-Regierung gründete eine sogenannte Treuhand-Stelle, sie sollte die ostdeutschen Betriebe "vor dem Kapitalismus schützen". 

Die Industrieruine des ehemaligen IKO-Kabelwerks in Berlin-Köpenick (ehemals Teil des Kabelwerks Oberspree (KWO)
Die Industrieruine des ehemaligen IKO-Kabelwerks in Berlin-Köpenick (ehemals Teil des Kabelwerks Oberspree (KWO) Bild: DW/H. Graupner

Nach der Gründung der Treuhand wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Aufgaben der Treuhandanstalt umreißen sollte: Die Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft im Rahmen der Wiedervereinigung. Die ehemals volkseigenen DDR-Betriebe sollten saniert werden, in möglichst kleine Einheiten unterteilt und schließlich privatisiert werden. Nicht sanierungsfähige Betriebe sollten aufgelöst werden. Doch schon mit der Wirtschafts- und Währungsunion im Juli 1990 waren alle diese Pläne Makulatur.

Nicht wettbewerbsfähig

Die Ausgangslage für die Arbeit der Treuhand war alles andere als günstig. Die Betriebe in den neuen Bundesländern waren zu großen Teilen marode, die Industrieanlagen veraltet und die Absatzmärkte im Ostblock weggebrochen. Dazu kam der Schock durch die Währungsunion am 1. Juli 1990: Die Umstellung der Löhne und Gehälter im Kurs von 1:1 von DDR-Mark zu D-Mark belastete die Betriebe extrem, die allermeisten Firmen waren praktisch über Nacht nicht mehr wettbewerbsfähig. Dinge, die in der abgeschirmten DDR-Planwirtschaft wertvoll erschienen, waren im offenen Wettbewerb plötzlich wertlos.

So schien die Treuhandanstalt, die ihre Arbeit am 1. März 1990 aufgenommen hatte, von vornherein mit ihrer Mammutaufgabe überfordert. Erster Chef war der westdeutsche Top-Manager Detlev Karsten Rohwedder. Sein erster Überblick verleitete ihn zu der Einschätzung: "Der ganze Salat ist 600 Milliarden D-Mark wert." Als die Treuhandanstalt vier Jahre später, am 31. Dezember 1994, ihre Arbeit beendete, stand ein Schuldenberg von über 250 Milliarden D-Mark zu Buche.

Birgit Breuel, Treuhand-Chefin von 1991 bis 1994 - hier 2017 bei ihrem 80. Geburtstag
Birgit Breuel, Treuhand-Chefin von 1991 bis 1994 - hier 2017 bei ihrem 80. GeburtstagBild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

Dramatischer Verlust von Arbeitsplätzen

Dazwischen lagen Tausende von Privatisierungen, manche unter höchst dubiosen Umständen. Weit über die Hälfte der ostdeutschen Unternehmen galt als sanierungsbedürftig oder nicht sanierungsfähig. Zudem waren fast alle Firmen personell deutlich überbesetzt.

Entsprechend drastisch fällt die Bilanz aus: Fast zwei Drittel aller Arbeitsplätze, die 1990 unter Verantwortung der Treuhandanstalt standen, waren durch die Umstrukturierung bis 1994 verloren gegangen. Besonders drastisch der Abbau in der Industrie: Hier traf es geschätzt bis zu 80 Prozent aller Jobs.

Die spätere Treuhandchefin Birgit Breuel - sie übernahm das Amt von Rohwedder, der am 1. April 1991 von der linksterroristischen RAF ermordet worden war -  erinnert sich: "Wir mussten den Menschen wirklich sehr viel zumuten, sie haben sicherlich enorm gelitten", räumte sie im vergangenen Jahr in einem Interview mit der FAZ ein. Auch Breuel selber hat gelitten: "Se haben uns gehasst. Ich war die Hassfigur im ganzen Land."

Drama um FCKW-freien Kühlschrank

Die Arbeit der Treuhand wird bis heute kontrovers diskutiert: Befürworter sagen, dass es angesichts des maroden Zustands der DDR-Wirtschaft keine Alternative zur Privatisierung gegeben habe und daher Betriebe liquidiert werden mussten, die keine Überlebenschance in der freien Marktwirtschaft gehabt hätten.

Kritiker sagen, die Treuhand habe zu schnell stillgelegt und zu wenig saniert. Viele Betriebe hätten einfach mehr Zeit für eine Sanierung gebraucht. Auch wird der Behörde vorgeworfen, dass westdeutsche Konzerne die Abwicklung forciert hätten, um Konkurrenten auszuschalten.

Ein Beispiel ist der ostdeutsche Kühlschrank-Hersteller DKK Scharfenberg aus dem Erzgebirge: Die Firma hatte gemeinsam mit Greenpeace den ersten FCKW-freien Kühlschrank der Welt entwickelt, der durchaus Marktchancen gehabt hätte. Westdeutsche Hersteller reagierten und warnten in einer Medienkampagne vor den "gefährlichen" Geräten aus Ostdeutschland, die explodieren könnten. Auf Rat westdeutscher Lobbyverbände und Konzerne senkte die Treuhand den Daumen, DKK war am Ende. Wenig später tauchten bei den westdeutschen Herstellern wie Liebherr FCKW-freie Kühlschränke auf.