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Chloroquin-Studien zeigen hohes Sterberisiko bei COVID-19

22. April 2020

Eine zu hoch dosierte Behandlung von COVID-19-Patienten mit dem Malariamittel kann schwerwiegende Herzrhythmusstörungen verursachen. Mehrere Studien zeigen ein erhöhtes Sterberisiko und keine Verbesserung für Patienten.

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Medizinisches Personal zeigt eine Packung Nivaquine
Bild: AFP/G. Julien

Parallel zur Impfstoff-Entwicklung prüfen Ärzte weltweit, ob bereits vorhandene Wirkstoffe auch gegen SARS-CoV-2 helfen können. Für große Aufregung sorgte in den vergangenen Wochen auch das altbekannte Malaria-Medikament Resochin. Dessen Wirkstoff Chloroquin und sein Derivat Hydroxychloroquin werden seit Jahrzehnten zur Prävention und Behandlung der Malaria eingesetzt.

Bei Laborstudien und bei zwei klinischen Studien aus China und Frankreich - mit allerdings nur geringen Fallzahlen - soll der Wirkstoff Chloroquin an Zellkulturen eine Hemmung der Vermehrung des neuartigen Coronavirus gezeigt haben, wodurch bei schwereren Krankheitsverläufen die Viruslast der Patienten gesenkt werde. Der Wirkstoff könne deshalb auch antiviral eingesetzt werden, hieß es.

Laut neuesten vorläufigen, aber noch nicht von unabhängiger Seite begutachteten (Peer Review), US-Forschungsergebnissen ist das Malaria-Mittel dagegen nicht nur weitgehend wirkungslos bei der Bekämpfung des Coronavirus. Im direkten Vergleich liege die Sterberate nach der Behandlung mit Hydroxchloroquin mit 28 Prozent sogar deutlich höher. Bei COVID-19-Patienten, die ohne das Malaria-Mittel therapiert wurden, lag die Sterberate bei elf Prozent. Insgesamt hatten die Forscher Akten von 368 Patienten in US-Hospitälern für Militärveteranen ausgewertet. 
Trotz einiger Bedenken bezüglich der Durchführung und der Aussagekraft der Studien sowie der möglichen Nebenwirkungen wurden vielerorts klinische Test mit dem altbekannten Wirkstoff durchgeführt. 

Medikamente gegen COVID-19

Tödlicher Studienverlauf in Brasilien

Wie riskant eine hochdosierte Behandlung von COVID-19-Patienten mit Chloroquin vor allem in Kombination mit dem Antibiotikum Azithromycin oder anderen Medikamenten sein kann, zeigte zudem schon zuvor eine kleine Phase-II-Studie in Brasilien, bei der elf Patienten an tödlichen Arrhythmien oder Herzmuskelschäden verstarben.

An der Studie, die vom brasilianischen Staat finanziert wurde und deren vorläufige Ergebnisse ebenfalls auf dem wissenschaftlichenPortal "MedRxiv" veröffentlicht wurden, nahmen 81 Krankenhauspatienten teil. Eigentlich sollten an der Phase-IIb-Studie "CloroCovid-19" sogar 440 Patienten teilnehmen.

Das Team um Marcus Lacerda vom Tropeninstitut in Manaus im brasilianischen Bundes­staat Amazonas verabreichte etwa der Hälfte der behandelten Personen fünf Tage lang zwei Mal täglich eine Dosis von 450 Milligramm Chloroquin (Ge­samtdosis 2,7 Gramm). Den anderen Patienten wurde zehn Tage lang eine Dosis von mehr als 600 Milligramm (Gesamtdosis 12 Gramm) verschrieben. Eine Placebo-Gruppe gab es nicht.

Zu hohe Dosierung?

Normalerweise werden die Malaria-Medikamente nur in einer niedri­geren Dosierung und nur über wenige Tage eingesetzt. In Brasilien lag die Dosierung sogar über den Vorschlägen der chinesischen Behörden und desUS-Center for Disease Control and Prevention (CDC).

Die Gesundheitsbehörde der chinesischen Provinz Guangdong hatte zur Behandlung mit zwei Mal täglich 500 mg über zehn Tage (Gesamtmenge 10 Gramm) geraten. Die CDC empfahl eine An­fangsdosis von 600 mg plus weiteren 300 mg nach zwölf Stunden, gefolgt von jeweils zwei Mal 300 mg an den Tagen zwei bis fünf (Gesamtdosis 3,3 Gramm).

In Brasilien bemerkten die Ärzte innerhalb von zwei bis drei Tagen bei den Patienten mit der hohen Dosierung Herzrhythmusstörungen (signifikante Verlängerung des QT-Intervalls). Am sechsten Versuchstag starben elf Patienten, die Phase-II-Studie wurde sofort abgebrochen.

Wurden Warnungen ignoriert?

Bereits in der vergangenen Woche hatten Internisten im Canadian Medical Association Journal vor den Gefahren einer QTc-Verlängerung im EKG beim Einsatz von Chloroquin und Hydroxychloroquin gewarnt - vor allem in Kombination mit dem Antibiotikum Azithromycin.

Demnach könne die Kombination neben Herzrhythmusstörungen auch zu Hypoglykämie (abnorm niedrigen Blutzuckerspiegel) sowie Unruhe, Verwirrtheit und Wahnvorstellungen führen. Bei einer Überdosierung könne es zu epileptischen Anfällen, Koma und Herzstillstand kommen.

Verhängnisvoller Medikamentencocktail

Viele COVID-19-Patienten sind meistens deutlich älter als Malaria-Patienten und haben oftmals Vorerkrankungen. In solch einer Risikogruppe kann eine hochdosierte Behandlung mit Chloroquin mutmaßlich viel eher zu einer Schädigung des Herzmuskels und zu schwerwiegenden Herzrhythmusstörungen führen.

Da es bei der Studie in Manaus keine Placebogruppe gab, lässt sich schwer nachvollziehen, welchen Anteil Chloroquin genau an den Todesfällen hatte. Denn erschwerend kommt hinzu, dass alle Patienten zusätzlich mit dem Antibiotikum Azithromycin behandelt wurden, das ebenfalls das QTc-Intervall verlängert. Zudem hatten einige Patienten auch Oseltamivir (Tamiflu) eingenommen, das sich ebenfalls negativ auf den Herzrhythmus auswirken kann.

Menschen als Versuchskaninchen?

Grundsätzlich sind die beiden Wirkstoffe Chloroquin/Hydro­xychloroquin gut verträglich und sicher. Das von deutsche Pharma- und Chemiekonzern Bayer entwickelte Medikament Resochin wird bereits seit den 1930er Jahren erfolgreich als Malaria-Medikament bzw. -Prophylaxe eingesetzt.

Allerdings sind die Risiken und Nebenwirkungen ähnlich lange bekannt. Bei einer extrem hohen Dosierung, bei einer falschen Selbstmedikation oder bei bestimmten Personengruppen können auch solche altbewährten Medikamente schwere Schäden verursachen.

Untersuchungen müssen nun zeigen, ob bei der klinischen Studie in Brasilien fahrlässig zu hoch dosiert oder Warnungen ignoriert wurden.

Der tödliche Verlauf der Phase-II-Studie in Brasilien fällt zusammen mit der als äußerst rassistisch empfundenen TV-Diskussion zwischen zwei französischen Ärzten, die Afrika zu einem riesigen Labor für Coronavirus-Impfstofftests machen wollten.

Als Grund nannten sie die fehlenden Ressourcen auf dem Kontinent und damit den mangelnden Schutz vor dem Virus. So sei es auch bei Studien zu Aids gemacht worden. Die provokante Diskussion sorgte weltweit für Empörung.

Klinische Tests bleiben notwendig

Bei der Suche nach einem Impfstoff oder Medikament - auch gegen das neue Coronavirus SARS CoV-2 - sind klinische Tests trotz allem zwingend notwendig. Nur durch die Zusammenarbeit von Herstellern, Kliniken und medizinischen Einrichtungen lässt sich klären, ob ein Medikament tatsächlich den gewünschten therapeutischen Effekt (Wirksamkeit) zeigt, ob es sicher ist oder ob Nebenwirkungen auftreten (Verträglichkeit), wie genau es dosiert werden muss (Dosisfindung) und ob letztendlich der Nutzen tatsächlich die Risiken überwiegt.

Normalerweise nehmen Phase-II-Studien 100 bis 500 freiwillige Patienten als Probanden an den Untersuchungen teil. In den meisten Ländern existieren strenge gesetzliche Vorschriften zur Durchführung von klinischen Studien, um das vorhandene Risiko für die Studienteilnehmer einzugrenzen. Die Einwilligung des Probanden zur Teilnahme muss in den meisten Ländern vorab schriftlich erfolgen.

Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, jeden Versuchsteilnehmer ausführlich über den möglichen Nutzen und alle Risiken aufzuklären - auszuschließen sind Risiken und Nebenwirkungen allerdings nie. 

Dies ist ein aufgrund neuer Forschungsergebnisse ergänzter und aktualisierter Artikel

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund