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Gesellschaft

Corona und die Ausgangssperren in Afrika

Daniel Pelz
22. April 2020

Hunger, Gewalt, Verzweiflung: Ausgangssperren sollen die Zahl der Corona-Fälle in Afrika senken, doch viele Menschen leiden unter ihren Folgen. Vor allem die Armen.

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Polizei in aller Welt setzt Coronavirus-Sperren durch
Polizei und Militär überwachen die Ausgangssperre in einem Township in KapstadtBild: Reuters/M. Hutchings

Die kenianische Polizei fackelte nicht lange. Als die Regierung Ende März angesichts steigender Corona-Zahlen hastig eine Ausgangssperre beschloss, versank das Land in einer Nacht der Gewalt. Polizisten fielen über jeden her, den sie auf der Straße antrafen. Vor laufenden Kameras schlugen Beamte hilflose Frauen zusammen, die Schockwellen gingen durch das ganze Land. "Wir sind nicht im Krieg", kommentierte die größte Tageszeitung "Daily Nation" mit einer Mischung aus Wut und Hilflosigkeit.

Nicht nur Kenia ist von der Gewalt betroffen: In Sambia soll die Polizei laut Amnesty International Menschen zusammengeschlagen haben, die sich unerlaubt in Bars aufhielten. In Simbabwe misshandelten Beamte hunderte Händler, weil sie unerlaubt Gemüse auf dem Markt verkauft hatten. Auch in Südafrika geht die Polizei hart gegen all jene vor, die sich nicht an die Ausgangsperren halten.

Millionen ohne Einkommen

Sinnlose und überflüssige Gewalt, sagt Alex Broadbent. Der Philosophieprofessor an der Universität Johannesburg hat sich auf die Betrachtung von Seuchen spezialisiert. Er glaubt nicht, dass der Kontinent die Prioritäten in der Corona-Krise richtig setzt: "Ausgangssperren machen in Afrika keinen Sinn, wenn es sich dabei um strikte Maßnahmen handelt, die jede wirtschaftliche Aktivität vernichten", sagt er im DW-Interview.

Mosambik Nampula Straßenverkäufer für Obst und Gemüse
Viele Menschen können es sich nicht leisten, zu Hause zu bleibenBild: DW/J. Beck

Denn Ausgangssperren treffen vor allem die Millionen Selbständigen. Rund 85 Prozent der Erwerbstätigen in Afrika gehören dazu: Handwerker, Straßenverkäufer, Tagelöhner. Nicht nur die Ausgangssperren machen ihnen zu schaffen. Grenzen sind geschlossen, Waren kommen nicht mehr durch. Geschäfte und Märkte müssen bis auf wenige Ausnahmen geschlossen bleiben. Immer mehr Menschen verlieren ihr Einkommen, weil sie aufgrund der Ausgangssperre nicht mehr arbeiten gehen können. Gleichzeitig schießen die Lebensmittelpreise in die Höhe.

30 Millionen Arme mehr

"Auf einem Kontinent, wo es für die meisten Menschen keine Sozialhilfe gibt, stehen die Arbeitslosen nun vor einer ganz einfachen Frage: Wollen sie an COVID-19 sterben oder an Hunger? Es ist kein Wunder, dass viele Menschen die Ausgangssperren ignorieren. Sie müssen irgendwie Geld verdienen", sagt die nigerianische Sozialwissenschaftlerin Lynda Chinenye Iroulo vom GIGA-Institut für Afrikastudien in Hamburg.

Die UN rechnet, dass dieZahl der Armen in Afrika durch die Krise um bis zu 30 Millionen Menschen wachsen könnte. Hilfsorganisationen warnen, dass in der bettelarmen Sahelzone rund 50 Millionen Menschen durch die Krise hungern werden. In Nigerias Wirtschaftsmetropole Lagos sind die Folgen schon spürbar: Die Kriminalität ist in die Höhe geschossen – selbst in sicheren Stadtteilen nehmen Raubüberfälle zu. Hilfstransporte mit Lebensmitteln wurden überfallen. 

Zehn Menschen in einer Hütte

Es gibt einen weiteren Grund, warum Experten an der Wirksamkeit von Ausgangssperren zweifeln. In den Millionenmetropolen des Kontinents leben gut 60 Prozent der Menschen in Slums - oft auf engsten Raum zusammengepfercht. Allein in Kibera, Afrikas größtem Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi, sollen eine Million Menschen leben. "Wenn sich zehn Menschen eine Hütte teilen müssen, mit einer Toilette, die zehn Meter entfernt liegt und die sie sich noch mit anderen Menschen teilen müssen - dann hat es keinen Sinn sich vorzumachen, dass Ausgangssperren funktionieren", meint Alex Broadbent.

Kenianischer Modedesigner David Avido
Abstand halten - so gut wie unmöglich in Kibera, einem Slum von NairobiBild: Rachel Creed

Doch auch für ihn ist klar: "Es ist nicht möglich, gar nichts zu tun." Noch ist der Kontinent von der Pandemie vergleichsweise wenig betroffen. Die Zahl der bestätigten Fälle liegt bei knapp über 22.000. Die Dunkelziffer dürfte aber hoch sein - viele Länder haben kaum Testkapazitäten. Nigeria, Afrikas bevölkerungsreiches Land, hat nach Angaben des Afrikanischen Zentrums für Infektionskrankheiten gerade mal 6000 Tests durchgeführt – bei 200 Millionen Einwohnern.

Regionale Abschottung als Lösung?

Nun sollen die Kapazitäten möglichst schnell erhöht werden. Denn Afrika könnte das nächste Epizentrum der Epidemie werden. Längst werden Infektionen auch aus abgelegenen Regionen gemeldet, wo es kaum medizinische Versorgung gibt. Die Folgen könnten dramatisch werden: Die Vereinten Nationen rechnen mit 300.000 Todesfällen in den nächsten Monaten.

Alexander Broadbent hält regionale Ausgangssperren für einen Teil der Lösung. So könnte man bestimmte Viertel oder Regionen abschotten. "Menschen dürfen nicht rein oder raus, Waren aber schon. So könnten zumindest gewisse wirtschaftliche Aktivitäten am Leben gehalten werden." Doch wichtig seien vor allem: mehr Tests, die Isolation von Risikogruppen, schnelle Quarantänen von Infizierten und Verdachtsfällen.

Andere erfolgreiche Strategien haben manche afrikanische Länder bereits während der verheerenden Ebola-Epidemie in den Jahren 2014 und 2015 erprobt. Den Durchbruch im Kampf gegen die Seuche brachten nicht zuletzt breit angelegte Aufklärungskampagnen, wie sich die Menschen schützen konnten. Das könnte auch im aktuellen Fall helfen. "In abgelegenen Gegenden ohne Internet und Mobilfunknetz hat die Bevölkerung kaum Informationen über Corona", warnt Expertin Iroulo. "Die Menschen sollten aufgeklärt werden. Dabei sollte man auch lokale Autoritäten wie traditionelle Führer oder Geistliche einbinden, um die Menschen aufzuklären und zu warnen."

Sierra Leone Ebola Rotes Kreuz
Aufklärung war 2015 die Waffe gegen EbolaBild: Abu-Bakarr Jalloh

Hilfe und zwar schnell

Gleichzeitig plädiert sie auch für weitere lokale Lösungen. Fortschritte gibt es bereits. So arbeitet ein Forschungsinstitut im Senegal zurzeit an einem einfachen Schnelltests. Im benachbarten Ghana hat eine Universität ein günstiges Handdesinfektionsmittel entwickelt.

Doch für die Millionen Armen in Afrika ist vor allem eins wichtig: Sie brauchen Geld oder Lebensmittelhilfen. In Südafrika, Nigeria und Kenia haben die Behörden in manchen Regionen begonnen, zumindest die Ärmsten mit Lebensmitteln zu versorgen. Doch die Hilfe läuft schleppend, viele Bedürftige haben noch nichts bekommen. Ihnen bleibt einstweilen nur die Hoffnung, dass der Kontinent den Kampf gegen die Pandemie möglichst bald gewinnt.