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Politik

Von der Leyen: Fairer Corona-Impfstoff für alle

1. Mai 2020

Während sie noch am Wiederaufbau-Fonds für die EU arbeitet, will die EU-Kommissionspräsidentin mit weltweiten Partnern das Geld für einen Corona-Impfstoff einsammeln. Das kündigt Ursula von der Leyen im DW-Interview an.

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EU Ursula von der Leyen
Bild: Reuters/F. Lenoir

Deutsche Welle: Frau von der Leyen, am Montag wird die Europäische Union zusammen mit Partnern weltweit bei einer Geber-Konferenz versuchen, die Summe von 7,5 Milliarden Euro einzusammeln, um die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus und die Erprobung von Therapien gegen COVID-19 zu fördern. Was wollen Sie hauptsächlich erreichen?

Ursula von der Leyen: Uns ist sehr wichtig, dass wir gemeinsam eine starke Antwort auf das Coronavirus finden. Es kennt keine Grenzen, es kennt keine Nationalitäten. Wir können das Virus nur mit einem Impfstoff schlagen. Deshalb müssen wir global und koordiniert handeln, weil wir verhindern wollen, dass nur diejenigen sich auf den irgendwann entwickelten Impfstoff stürzen, die sich das leisten können. Wir haben koordiniert damit begonnen, den Impfstoff zu suchen, aber jetzt müssen wir auch Kapazitäten aufbauen, ihn zu produzieren, wenn wir ihn erst einmal haben. Zillionen von Dosen werden gebraucht. Und dann müssen wir sicherstellen, dass sie auch in jede Ecke der Welt für einen fairen und erschwinglichen Preis verteilt werden. Daran arbeiten wir. Dafür brauchen wir Geld. Wir haben jetzt ein globales Netzwerk und am Montag nutzen wir die Geberkonferenz, um die 7,5 Milliarden Euro zu sammeln. Das ist erst der Anfang. Ich denke, wir werden mit der Zeit mehr brauchen.

Sie sagten, ein fairer und erschwinglicher Preis sei nötig. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, geht noch einen Schritt weiter, wenn es um die Verteilung eines Impfstoffes geht. Er sagt, der Impfstoff müsse der ganzen Welt gehören, nicht einzelnen Staaten, Regionen oder Firmen. Würden Sie das unterstützen? Gehört der Impfstoff der Menschheit?

Natürlich muss jeder Zugang zu diesem Impfstoff bekommen. Darum haben wir alle Beteiligten, die nötig sind, mit an Bord, zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation, die "Melinda-und-Bill-Gates-Stiftung", den Welcome-Trust, United Global Funds, um nur einige zu nennen. Wir werden von vielen, vielen Staaten in der Welt unterstützt. Ich habe diese Initiative bei der G20 (Gruppe der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen) eingebracht. Das ist nötig, um einen wirklich globalen und koordinierten Ansatz verfolgen zu können.

Symbolfoto Impfstoff
Auf der Suche nach dem Ende der Krise: Wann kommt ein weltweit verfügbarer Impfstoff?Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Mittlerweile ist die Wirtschaft in der Europäischen Union wirklich hart getroffen. Es gibt viele Warnungen, dass die EU zu spät zu wenig unternimmt. Sie versuchen im Moment, die Finanzierung eines Wiederaufbau-Fonds für die EU zusammen zu bekommen. Bisher gibt es aber keinen konkreten Plan. Wie dringend ist das jetzt?

Zunächst haben wir, die EU und die einzelnen Mitgliedsstaaten, für die akute Krise die Summe von 3400 Milliarden Euro mobilisiert. Staatliche Beihilfen wurden flexibel einsetzbar gemacht, genauso wie alle verfügbaren europäischen Fonds. Wir haben ein Programm aufgelegt, um die Menschen in Beschäftigung zu halten. Sie werden für Kurzarbeit bezahlt, so dass die an sich gesunden Unternehmen durchstarten können, wenn die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt.

Aber Sie haben Recht. Wir brauchen ein großes Instrument für den Wiederaufbau. Da haben wir vorgeschlagen, dass wir mit dem sieben Jahre währenden Haushalt der EU arbeiten, der um ein Wiederaufbau-Instrument erweitert wird, der einem Marshall-Plan nahe kommt. Das können wir mit dem Budget umsetzen und dann an die Mitgliedsstaaten weiter geben. Das ist ein Instrument für Investitionen und Solidarität, von allen 27 Mitgliedsstaaten getragen. Auch ein Instrument für Kohäsion. Es ist sehr wichtig, dieses Instrument zu haben. Darum arbeiten wir gerade daran. Der Europäische Rat unterstützt uns, was wichtig und gut ist. Es ist eine riesiges Unterfangen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir liefern werden.

Wie wird dieses Instrument aussehen? Es gibt südliche Staaten wie Italien und Spanien, die Zuschüsse und gemeinsame Schulden, Corona-Bonds, fordern. Dagegen opponieren Staaten wie Deutschland und die Niederlande. Was also wird dieses Instrument umfassen? Zuschüsse? Corona-Bonds?

Im gesamten Instrument werden wir sicher eine ausgewogene Balance zwischen Zuschüssen und Krediten haben. In diesem Verfahren müssen wir mit allen 27 Mitgliedsstaaten verhandeln, aber es ist wichtig, dass alle Staaten bereits zugestimmt haben, dass wir diesen Weg beschreiten müssen. Wir arbeiten also gleichzeitig an dem Sieben-Jahres-Haushalt und einem zusätzlichen Wiederaufbau-Instrument. Das ist eine starke Maßnahme. Natürlich müssen wir über die Details und maßgeschneiderte Programme sprechen, aber das ist nun mal so in einer Demokratie. Aber alle stimmen darin überein, dass die Staaten, die am härtesten vom Virus und den wirtschaftlichen Folgen getroffen wurden, unterstützt werden müssen.

Ein anderes Thema, das in der Corona-Krise eine Rolle spielt, ist das von europäischen Werten und Prinzipien. Sind Sie besorgt, dass die Krise hier in der EU benutzt werden könnte, um demokratische Rechte zum Beispiel in Ungarn zu beschränken?

20 EU-Staaten haben außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen, was in einer Krise ja auch in Ordnung ist, weil man schnell sein musste und handeln musste. Aber die Maßnahmen müssen verhältnismäßig und zeitlich begrenzt sein. Das ist sehr klar. Und sie müssen demokratisch überprüft werden. Hier schauen wir uns sehr genau an, wie die Maßnahmen umgesetzt werden, wenn es zum Beispiel um die Freiheit der Rede oder die Freiheit der Medien geht. Wir sind bereit sofort einzugreifen, wenn da irgendetwas nicht angemessen und zeitlich begrenzt ist.

Als Ungarn am 30. März sein Gesetz zum Ausnahmezustand verabschiedet hat, haben Sie gesagt, die Corona-Krise dürfe nicht missbraucht werden, um Demokratie zu beschneiden, aber Sie haben Ungarn nicht ausdrücklich genannt. Sie wurden dafür kritisiert. Bedauern Sie es heute, Ungarn nicht namentlich genannt zu haben?

Für uns ist es wichtig, jeden Mitgliedsstaat auf gleiche Weise zu beurteilen. Es ist richtig, dass wir mit Ungarn bereits schwierige Erfahrungen gemacht haben. Wir werden uns das alles genau ansehen, aber es muss auch Fairness unter den Mitgliedsstaaten geben. Der Anspruch, dass wir die fundamentalen Rechte in der EU hochhalten und wir die Hüterin der Verträge sind, wirkt nur, wenn wir komplett neutral gegenüber allen Mitgliedsstaaten auftreten. Wir müssen aber bereit sein zu handeln, wenn etwas schief läuft. Hier bin ich ganz klar: Wir werden einschreiten, wenn wir sehen, die Maßnahmen sind nicht angemessen.

Wenn Sie als ausgebildete Ärztin auf die Situation in der Welt und in Europa blicken, sind Sie dann manchmal bestürzt oder überwältigt?

Diese Corona-Krise ist verheerend, aber sie hat noch andere Seiten. Auf der einen Seite zeigt sie uns Dinge, die wir lernen müssen. Wir brauchen einen viel besseren Austausch von medizinischen Daten in der EU, aber auch weltweit, um besser vorbereitet zu sein. Außerdem sehen wir, wie wichtig es ist, leistungsfähige Gesundheitssysteme zu haben, die mit Schocks und Krisen wie dieser fertig werden können. Wir müssen die Fähigkeit ausbauen, unverzichtbare medizinische Güter wie Schutzkleidung und Beatmungsgeräte in Europa gemeinsam zu beschaffen, zu lagern und zu verteilen. Die andere gute Seite, die wir in den letzten Wochen gesehen haben, ist das enorme Anwachsen der Solidarität. Wir haben polnische und rumänische Ärzte, die nach Italien gegangen sind. Italien teilt Virustests mit anderen Mitgliedsstaaten. Frankreich hat Patienten nach Deutschland und Österreich verlegt. Frankreich hat Masken nach Spanien und Italien geschickt. Es gibt viele dieser Beispiele von Solidarität. Das ist gut, das zu sehen.

Die Fragen stellte Sarah Kelly.

Dr. med. Ursula von der Leyen (61) ist seit Dezember 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission in Brüssel, dem höchsten Verwaltungsorgan der Europäischen Union. Zuvor war die CDU-Politikerin und approbierte Medizinerin Verteidigungsministerin im Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel.