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Das Ende der Auto-Republik Deutschland?

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Henrik Böhme
5. Juni 2020

Im Land, das einst von Autokanzlern regiert wurde, gibt es im Kampf gegen die Corona-Krise keine Neuauflage der Abwrackprämie für Neuwagen. Außer, sie fahren elektrisch. Eine Zeitenwende, meint Henrik Böhme.

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Angela Merkel am 12. September 2019 beim Besuch der Automesse IAA.
Befremdlicher Blick auf das leistungsstarke Auto - Bundeskanzlerin Merkel bei der Automesse IAA im vergangenen JahrBild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Immerhin: Sie machen gute Miene zum bösen Spiel, die Chefs der deutschen Autokonzerne. Man halte den zusätzlichen Kaufanreiz für Elektro- und Hybridautos für einen "guten, wichtigen Impuls", heißt es von Volkswagen. Auch im Hause Daimler spricht man offiziell von einem "guten, überparteilichen Kompromiss". Vom BMW-Chef ist zu hören, die Maßnahmen seien ein "wertvoller Transformationsbeschleuniger".

In Wirklichkeit dürften sie vor Wut schäumen, hatten sich doch auch die Ministerpräsidenten der sogenannten Autoländer (Söder aus Bayern, Kretschmann aus Baden-Württemberg und Weil aus Niedersachsen) für eine Autokaufprämie bei der Kanzlerin stark gemacht. Vergebens. Dieses Mal ist die Regierung nicht vor der mächtigen Auto-Lobby eingeknickt. Eine Sache, die in diesem Land ja eigentlich Tradition hat. Hatte, muss man nun wohl sagen.   

Das hat davon, wer betrügt

Denn so lief das ja immer: Lagen bei der EU-Kommission in Brüssel neue Abgasnormen auf dem Tisch, marschierte die Branchenspitze samt Lobbyverband VDA in Berlin ein. Kurz darauf erschien der deutsche Regierungschef (oder die Chefin) in Brüssel, und schon waren die Normen im Sinne der Industrie angepasst. Doch die Zeiten von sogenannten Autokanzlern (wie Gerhard Schröder) oder Autokanzlerinnen (Angela Merkel) sind wohl ein für allemal vorbei.

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion
Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Daran hat die Autoindustrie selbst einen gehörigen Anteil. Mit ihren Abgasbetrügereien hat sie die Politik gegen sich aufgebracht. Und die reagiert nach diesem Vertrauensbruch entsprechend und verweigert den Autobauern ihren bisherigen Status einer Sonderbehandlung, die vielen anderen, ebenso wichtigen Industriezweigen wie beispielsweise den Maschinenbauern, immer vorenthalten wurde. Da hilft es nicht mal mehr, dass die neue Chefin des VDA einst eine enge Vertraute der Bundeskanzlerin war. Soweit ist es gekommen.  

So zeigt das Corona-Konjunkturpaket eine neue Richtung, in die die Regierung offenbar bereit ist zu gehen: nach vorne. 50 Milliarden für Zukunftsinvestitionen wie Wasserstofftechnologie, Künstliche Intelligenz und 5G-Mobilfunk. "Nur" rund fünf Milliarden für den E-Auto-Kaufanreiz, den Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Batteriezellenforschung. Und auch erwähnte Maschinenbauer bekommen was ab mit bestimmten Investitionsanreizen.

Die Angst geht um

Doch zurück zu den Autobauern. Natürlich geht dort die Angst um. Der Transformationsprozess ist voll im Gang, doch darauf nimmt das heimtückische Coronavirus keine Rücksicht. Der Absatz ist eingebrochen, die Zahlen sind dramatisch und Besserung (mit Ausnahme von China) noch nicht wirklich in Sicht. Und ja, Diesel-Fahrzeuge der neuesten Generation sind saubere Autos. Aber der Ehrlichkeit halber muss man auch sagen: Die deutschen Autobauer haben ein erfolgreiches Jahrzehnt hinter sich und ordentlich was auf der hohen Kante. Bei Volkswagen summiert sich das auf 28 Milliarden Euro (und die wären richtig reich, wenn sie nicht 30 Milliarden und mehr für Dieselgate hätten abdrücken müssen), BMW und Daimler sind ähnlich robust ausgestattet. Viel mehr Sorgen muss man sich um die vielen Zulieferer machen, die am Geschäft der großen Player hängen.

Nun müssen die Autobauer mit der Entscheidung der Regierung leben. Kaufanreize nur für E- oder Hybridautos, aber nur, wenn die nicht mehr als 40.000 Euro kosten. Da taucht direkt das nächste Problem auf: Denn wollen sie einen Audi E-Tron oder einen Mercedes EQC kaufen, werden in der Basis-Ausstattung schlappe 70.000 Euro fällig. Bezahlbare Stromer aus deutscher Produktion sind - zumindest derzeit - noch weitgehend Fehlanzeige. Nur ein Viertel der E-Autos, die für eine Förderung in Frage kämen, sind deutsche Modelle. Somit würden eher Franzosen oder Koreaner von der Prämie profitieren.

Niemand lacht mehr über Tesla

Die Hoffnung ruht auf VW. Doch beim Hoffnungsträger ID.3, der ab Sommer auf den Markt kommen soll, kämpfen sie momentan noch heftig mit Software-Problemen. Und beim Vergleich mit Tesla Model 3 schneidet der elektrische VW deutlich schlechter ab: Der Tesla braucht für 100 Kilometer zehn Prozent weniger Strom. Über Tesla lachen sie in den Chefetagen von Wolfsburg, München oder Stuttgart schon lange nicht mehr. Die Tesla-Fabrik vor den Toren Berlins wird letzte Zweifel beseitigen. 

Nun kann man zu den ökologischen Vor- und Nachteilen eines Elektroautos stehen, wie man will. Aber die Entscheidung gegen eine Neuauflage der Abwrackprämie (wie sie im Zuge der Weltfinanzkrise 2009 beschlossen wurde) läutet zumindest ganz offiziell eine neue Zeit ein. Ja, die Autobranche bleibt wichtig. Aber sie ist nicht mehr wichtiger als andere Branchen, die gleichfalls hunderttausenden Menschen Arbeit geben. Die Zeit der AutokanzlerInnen ist vorbei.                    

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58