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Anti-Rassismus-Proteste in Portland: Jetzt erst recht

Julia Mahncke
22. Juli 2020

In der vorwiegend liberalen Stadt im US-Bundesstaat Oregon eskaliert der Machtkampf zwischen Behörden und Demonstranten. Die fordern immer lauter die Abschaffung der Polizei. Trumps Spezialeinheiten ändern nichts daran.

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Demonstranten halten vor dem Justice Center in Portland, Oregon, ihre Hände in die Luft
Bild: AFP/N. Howard

Es ist kurz nach 21 Uhr, eine Menschenmenge füllt den Chapman Square, ein Park, der sich über zwei Straßenblöcke erstreckt, gesäumt von Ginkgobäumen und Parkbänken. "Die sollten Angst vor uns haben, nicht wir vor denen", sagt Jeff. Mit "die" meint der schlanke schwarze Mann die Polizei. Jeff ist mal wieder für eine Demonstration gegen Polizeigewalt in Portlands Innenstadt gekommen. Es müsste ungefähr seine dreißigste sein, meint Jeff.

Vor knapp zwei Monaten begannen die Proteste in Portland. Seitdem gibt es täglich Demonstrationen für schwarze Opfer von Polizeigewalt in den USA. Eine Hauptforderungen der Demonstranten: Etatkürzungen bei der Polizei.

Bisher ist an diesem Abend weder von der lokalen Polizei noch den Spezialeinheiten, die US-Präsident Donald Trump nach Portland beordert hat,etwas zu sehen. Doch es ist keine Frage, ob die Beamten ausrücken, sondern wann. Und ob sie vorher über Lautsprecher den Befehl geben, den Platz zu verlassen, oder ohne Warnung loslegen. Aus welcher Richtung die Polizisten und Spezialeinheiten kommen, scheint gemeinhin bekannt. Üblicherweise seien sie im Inneren der Gebäude, sagt eine Demonstrantin und zeigt auf die Häuser gegenüber des Parks, zwei Gerichtsgebäude und das Justice Center, in dem das Polizeirevier und ein Gefängnis untergebracht sind. 

"Wir müssen es den Polizisten ungemütlich machen"

Während mehr als tausend Menschen immer wieder "Black Lives Matter" rufen, erzählt Jeff, der als Hausmeister in einer Schule arbeitet, von seiner Mitgliedschaft bei ADOS, der politischen Organisation der Nachfahren amerikanischer Sklaven. Die ADOS fordert die Abschaffung der Polizei in ihrer derzeitigen Form und außerdem Reparationszahlungen an schwarze US-Amerikaner, deren Vorfahren in die Sklaverei gezwungen waren.

Demonstrant Jeff steht mit einer Atemmaske vor dem Gerichtsgebäude in Portland
Demonstrant Jeff vor dem Gerichtsgebäude in PortlandBild: DW/J. Mahncke-Gütz

"Die Bevölkerung in den USA ist bisher viel zu fügsam gewesen. Wir nutzen nicht die Macht, die wir haben." Ziviler Ungehorsam, etwa dass Demonstranten schon mal Mülleimer in Brand setzten, Wasserflaschen würfen oder versuchen Barrikaden abzumontieren, sei wirkungsvoll und notwendig, findet Jeff. Die ständige Alarmbereitschaft, der die Polizei dadurch ausgesetzt sei, sei für Schwarze ganz alltäglich. "So fühlen sich Schwarze rund um die Uhr. Wir müssen es den Polizisten ungemütlich machen, damit sie wissen, dass wir es ernst meinen."

Ein "Mob", der Amerika attackiert?

Graffiti und Sachbeschädigung sind der offizielle Grund, warum Spezialeinheiten der US-Bundespolizei nach Portland geschickt wurde. Sie sollen Gebäude und Monumente schützen. Doch Berichten zufolge mischen sie sich auch in Zivilkleidung unter Demonstranten, nehmen Menschen in Gewahrsam, ohne sie offiziell zu verhaften, und nutzen Tränengas und Gummigeschosse.

Bundesbeamte setzen Justice Center in Portland, Oregon, Tränengas u gegen Demonstranten ein
Die Macht der Staatsgewalt hält viele Menschen in Portland davon ab, sich den Demonstrationen anzuschließenBild: AFP/M. Trinca

Die Bilder der Polizeiaktionen schrecken viele Bewohner Portlands ab, sich an den Protesten zu beteiligen. Doch diejenigen, die hingehen, sind inzwischen ein eingespieltes Team. Wie ein "gewaltbereiter Mob" - so die Beschreibung des kommissarischen US-Heimatschutzministers Chad Wolf - sehen sie allerdings nicht aus.

Freiwillige sperren abends die Kreuzungen rund um den Park ab, damit Autofahrer nicht in die Protestmenge fahren. An einer Ecke sind es weiße, bärtige Motorradfahrer, die die Buchstaben BLM, für Black Lives Matter, auf ihre Maschinen geklebt haben. An einer anderen Ecke stehen zwei weiße Frauen, die ihre Fahrräder quer gestellt haben. Eine ist Grundschullehrerin, die andere organisierte vor der Pandemie Fahrradtouren. "Ich bin nicht der Typ Mensch, der gerne mit Tränengas konfrontiert wird", sagt die Lehrerin mit einem Schmunzeln. "Wenn die Polizei kommt und ihre nächtliche Ansage macht, dass der Platz geräumt wird, gehe ich, wie die meisten anderen, nach Hause." Je größer die Menge, desto länger ließe die Polizei auf sich warten. Die junge Frau soll Recht behalten: Die Polizei räumt den Platz in dieser Nacht erst nach Mitternacht.

Schwimmbrillen und Fahrradhelme gegen Gummigeschosse

Das Verlassen des Platzes sei aber manchmal gar nicht so einfach, weil die Polizei die Straßen versperrte und keinen durchließe, berichtet Carey, weiß und Mutter von zwei Kindern, von denen eines in der Armee dient. "Wir sind dann mehr oder weniger gefangen." Und so würden dann auch die Szenen beginnen, die in den frühen Morgenstunden in ungleichen Straßenkämpfen endeten.

Ein Mann hilft einer Frau, Ellenbogenschützer anzuziehen
Carey lässt sich von freiwilligen Helfen ausrüsten Bild: DW/J. Mahncke-Gütz

Carey beteiligt sich seit einigen Tagen an der "Mauer der Mütter": Anfangs etwa 30, inzwischen Hunderte von Müttern, größtenteils weiße Frauen, stellen sich Nacht für Nacht, Arm in Arm, vor die Demonstranten, um sie vor der Polizei zu schützen. "Gestern haben wir noch nicht mal eine Straße blockiert. Niemand hat geplündert, es gab keine Krawalle und plötzlich kam ein Gefährt mit Polizisten in voller Kampfmontur um die Ecke. Sie haben Blend- und Lärmgranaten geworfen und dann kam das Tränengas."

Das erklärt auch, warum viele Demonstranten aussehen, als seien sie Teil einer Spielzeug-Armee. Um sich vor den Maßnahmen der Polizei zu schützen, tragen sie neben der obligatorischen Maske auch Fahrradhelme, Schwimmbrillen, Ohrenstöpsel, Knie-, Hand- und Ellenbogenschoner - oder auch selbstgemachte Schilder aus Holz oder Deckeln von Salatschüsseln.

Portland versinkt nicht im Chaos

Besser ausgerüstet, etwa mit Gasmasken, sind die Mitglieder der Antifa, die sich unter die Menge mischen. Das selbsterklärte Ziel der antifaschistischen Gruppe: Die Aktivitäten von Neo-Nazis zu dokumentieren und andere Demonstranten vor rechtsradikalen Angriffen zu schützen. In Oregon besteht die dezentral und anonym agierende Gruppe bereits seit 2007.

Box mit Utensilien für Demonstranten
An Stationen wie dieser verteilen freiwillige Helfer Notfallpakete gegen TränengasBild: DW/J. Mahncke-Gütz

Trotz gasmaskentragender Antifa-Aktivisten: Portland versinkt bei Weitem nicht im Chaos, wie es manche Politiker es formulieren. Der Protest ist lediglich im Alltag angekommen. Abgesehen von der täglichen Demonstration vor dem Justice Center, finden in Portland zahlreiche andere Aktionen gegen Polizeigewalt und Rassismus statt: wöchentliche Autokorsos, Plakat-Aktionen an Straßenecken, Kunstausstellungen, Kundgebungen in Parks oder Online-Lesungen. In den Fenstern vieler Geschäfte, Theater, Cafes oder Yogastudios hängen Plakaten in den Fenstern, die die Black-Lives-Matter-Bewegung unterstützen.

Und in den Parks gehen die Anwohner am Rande von friedlichen Kundgebungen weiter mit ihren Kindern und Hunden spazieren. So auch an diesem Abend:  Nur einen Block weiter holen Hungrige völlig unbeeindruckt von der lautstarken Demonstration nebenan ihr bestelltes Essen in einem vietnamesischen Restaurant ab.