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Hexenverfolgung damals und heute

Charlotte Müller
10. August 2020

In Europa wurden 300 Jahre lang unzählige Frauen als vermeintliche Hexen hingerichtet. In Afrika ist das noch heute so, sagt Historiker Wolfgang Behringer.

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Ein Maifeuer brennt, auf dessen Spitze als Hexen gekleidete Strohpuppen stehen
Heute werden in der Walpurgisnacht immer noch Hexen verbrannt - allerdings nur aus StrohBild: picture alliance/dpa

Am 10. August wird erstmalig der Internationale Tag gegen Hexenwahn begangen. Anlass genug, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Zwischen dem späten 15. und dem 18. Jahrhundert wurden in ganz Europa rund 60.000 Menschen als Hexen hingerichtet. Geahndet wurden Vergehen wie das angebliche Fliegen auf einem Besen oder das Heraufbeschwören von Ernteausfällen. Geständnisse wurden meist durch Folter erzwungen.

Wolfgang Behringer ist Professor für Frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und kennt sich mit dem Hexenglauben aus. Und er sieht traurige Parallelen zwischen der Vergangenheit und heute.

DW: Was bedeutete es, jemanden als Hexe zu bezeichnen?

Wolfgang Behringer
Der Historiker Wolfgang Behringer hat sich mit dem Thema Hexenwahn auseinandergesetztBild: Universität des Saarlandes/Jörg Pütz

Wolfgang Behringer: Die Bezeichnung Hexe bedeutet natürlich eine Stigmatisierung. Die konnte erfolgen, weil man jemandem schaden wollte oder weil man Furcht vor jemanden hatte, dem man zauberische Kräfte zuschrieb. Das waren in Europa oft Frauen, aber nicht nur. Es gibt durchaus Gemeinsamkeiten zwischen der Etikettierung als Hexe in Europa und anderen Teilen der Welt, in Afrika, Lateinamerika oder Südostasien. In vielen Fällen richtet sich der Verdacht gegen ältere Frauen ohne Verwandtschaft, die Schutz bot, und gegen Frauen, die vielleicht auch ein bisschen wunderlich waren.

Was haben diese vermeintlichen "Hexen" denn verbrochen?

In der Anthropologie heißt es, es gehe um den Umgang mit Unglück. Und das trifft es ziemlich genau. Entweder geht es um persönliches Unglück, zum Beispiel die Krankheit eines Kindes, eine Lähmung, die auftritt, oder der plötzliche Tod eines Kindes. Das sind individuelle Ursachen. Und dann gibt es kollektives Unglück, wenn zum Beispiel ein Viehsterben auftritt oder ein Hagelschlag die Ernte vernichtet. Da treten dann nicht einzelne Kläger auf, sondern es können sich ganze Gemeinden zusammentun. Die fordern dann von den staatlichen Stellen die Verfolgung der Hexen, um das Unglück abzuwenden.

Wann begann die Hexenverfolgung? Wann war ihre Hochzeit?

Titelseite des Malleus Maleficarum: Hexenhammer
Im Malleus Maleficarum (deutsch: "Hexenhammer") erklärte der Dominikanermönch Heinrich Kramer 1486, woran man eine Hexe erkennt und wie man sie zum Geständis zwingt Bild: Imago Images/United Archives International

Die eigentliche europäische Hexenverfolgung begann erst im 15. Jahrhundert, als die römische Kirche sich der Ansicht anschloss, dass es dieses Verbrechen überhaupt geben kann. Vorher, also seit der Christianisierung im frühen Mittelalter, stand die Kirche auf dem Standpunkt, dass Hexerei eigentlich ein geistlicher Irrtum sei. Aber im Zuge der Verfolgung von Glaubensabweichlern kam die römische Kirche im 15. Jahrhundert eben zur Auffassung, Hexerei sei real. Das war der Zeitpunkt, wo es in Europa gefährlich wurde, da nicht mehr nur die Bevölkerung an Hexerei glaubte, sondern auch die Kirche und die staatlichen Gerichte. Diese "legale "Hexenverfolgung dauerte vom 15. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert an. Gesamteuropäisch gesehen hatte sie ihren Höhepunkt zwischen 1560 und 1630.

Wie fand die Hexenverfolgung in Europa ihr Ende ?

Es gab in Europa immer Opposition gegen die vermeintliche Existenz von Hexen, gegen Hexenprozesse und gegen das Verhalten von Obrigkeiten, die Hexenverfolgungen zuließen. Die Juristen an den Universitäten haben im Grunde die gleichen Rechte gelernt, die man heute auch noch lernt: also im Zweifel für den Angeklagten. Das heißt, man hat in der europäischen Rechtswissenschaft Bremsen eingebaut, die auch aktiviert werden können und die bei zweifelhafter Beweislage verhindern können, dass Prozesse durchgeführt werden. Und in Prozessen ist die Beweislage immer zweifelhaft. Es gab dann eine sehr lange Auseinandersetzung, unter welchen Umständen man Hexerei überhaupt vor Gericht verhandeln konnte. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde diese Opposition stärker. Im 18. Jahrhundert setzte sie sich ganz durch - und das war sozusagen das Ende der Hexenprozesse.

Und wie sieht es heute aus? Gibt es den Hexenwahn immer noch ?

Ich bin inzwischen der Überzeugung, dass im 20. Jahrhundert mehr Menschen wegen Hexerei getötet worden sind als in der ganzen Periode der europäischen Hexenverfolgung in 300 Jahren. Wenn man sich zum Beispiel die Zahlen in Tansania anschaut, die inzwischen auch von Menschenrechtsorganisationen publiziert werden, dann gehen die Opfer dieser Tötungen in die Zehntausende. Im Fall von Tansania wurden zwischen 1960 und 2000 ungefähr 40.000 Menschen ermordet, die wegen vermeintlicher Hexerei angeklagt wurden. Hexerei ist kein Delikt im tansanischen Strafrecht, aber es sind oft Dorfgerichte, die entscheiden, dass bestimmte Menschen getötet werden sollen. Es sind nicht einfach Willkürakte, dahinter stehen auch Strukturen. Deswegen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Hexenverfolgungen kein historisches Problem  sind, sondern ein brennendes Problem unserer eigenen Gegenwart.

Ein alter schwarzer Mann gestikuliert
In der Demokratischen Republik Kongo wird diesem Flüchtling Hexerei vorgeworfenBild: Getty Images/AFP/F. Scoppa

Das Gespräch führte Charlotte Müller.