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"Reparationen" oder "Heilung der Wunden"?

Antonio Cascais | Cai Nebe
13. August 2020

Namibia setzt den Kolonial-Genozid erneut auf die Agenda. Deutschlands Angebot, zehn Millionen Euro Wiedergutmachung zu zahlen, sei inakzeptabel. Doch in Deutschland weiß man angeblich nichts von einem solchen Angebot.

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Deutschland Rückgabe sterblicher Überreste aus Deutscher Kolonialzeit
Der Völkermord in im heutigen Namibia hat ungefähr 40.000 bis 60.000 Herero sowie etwa 10.000 Nama das Leben gekostet.Bild: picture-alliance/AA/A. Hosbas

Nach Angaben namibischer Medien hat Präsident Hage Geingob ein Angebot der Bundesregierung zur Wiedergutmachung für den Völkermord an Herero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika abgelehnt. Die von Deutschland vorgeschlagenen Entschädigungen seien für seine Regierung "nicht akzeptabel", erklärte Geingob. Er habe seinen Sondervermittler Zed Ngavirue damit beauftragt, die Verhandlungen mit der Bundesregierung fortzusetzen, um ein "überarbeitetes Angebot" zu erzielen, zitierte die Zeitung "The Namibian" am Dienstag den Berater des Präsidenten, Alfredo Hengari.

Ruprecht Polenz Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde
Sonderbeauftragter Ruprecht Polenz: "Ich habe mit namibischen Seite noch nie über konkrete Zahlen gesprochen" Bild: Imago/O. Haist

Ruprecht Polenz, seit 2015 Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Dialog mit Namibia, zeigt sich im DW-Gespräch von dem Vorstoß des namibischen Präsidenten überrascht: "Es war seitens der Bundesregierung nie konkret von zehn Millionen Euro Wiedergutmachung die Rede", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete und fügt hinzu: "Ich weiß nicht, woher diese Zahl kommt, ich habe mit der namibischen Seite noch nie über konkrete Zahlen gesprochen." Man solle Ruhe bewahren und bedenken, dass die Beziehungen beider Länder exzellent seien und blieben.

Das sei schon an der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit ersichtlich: So seien seit 1990 mehr als 800 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden, betont Polenz. Die Frage von Entwicklungszusammenarbeit sei aber von der Aufarbeitung der Kolonialverbrechen zwischen 1904 und 1908 zu trennen. Das seien "zwei Paar Schuhe", so der Namibia-Beauftragte der Bundesregierung.

Namibia hat Geldsorgen

Beobachter fragen sich, warum die namibische Regierung gerade jetzt den Druck auf Deutschland erhöht. Für Frederico Links, Experte am Windhuker Institute for Public Policy Research (IPPR), ist klar: Dahinter stecken Geldsorgen. Die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme hätten sich in den vergangenen Jahren verschärft, zu Verlusten durch Dürren sei die Coronakrise gekommen: "All das verstärkt den Druck auf die Regierung, jetzt Gelder loszueisen, wo immer das möglich erscheint", so Links im DW-Interview.

Berlin und Windhuk verhandeln seit 2015 über eine Vereinbarung, die neben einer offiziellen Entschuldigung Deutschlands für die Kolonialverbrechen auch Zusagen für Wiedergutmachungszahlungen enthalten soll. Vor der Veröffentlichung von Geingobs Erklärung war der namibische Präsident von seinem Sondervermittler über den Stand der Verhandlungen informiert worden.

Präsident Hage Geingob von Namibia
Präsident Hage Geingob von Namibia steht unter Druck. Er darf sich keine Niederlage erlaubenBild: AFP/R. Bosch

Streit um Begrifflichkeiten

Entschädigung? Reparationen? Seit Jahren verhandeln beide Regierungen auch darüber, welche Form - und welches Label - eine Wiedergutmachung für die brutale Niederschlagung der Herero- und Nama-Aufstände haben soll. Zehntausende Angehörige beider Ethnien kamen damals ums Leben. Vertreter der Herero und Nama verlangen vom Bundestag neben einer Entschuldigung eine finanzielle Wiedergutmachung. Deutschland wolle allerdings nicht den Begriff "Reparationen" benutzen. Stattdessen wolle man von "Heilung der Wunden" sprechen. Das namibische Verhandlungsteam halte diesen Begriff aber für unzureichend, so Experte Frederico Links.

Ruprecht Polenz stellt im DW-Interview klar: "Deutschland möchte sich seiner politischen und moralischen Verantwortung für die Verbrechen stellen, die zwischen 1904 und 1908 begangen worden sind." Es sei aber aus Sicht der Bundesregierung keine Rechtsfrage. "Das haben auch Gerichte mehrfach festgestellt, die von Teilen der Herero und Nama angerufen worden sind. Es ist eine politisch-moralische Frage und daraus folgt, dass wir in den Texten und Erklärungen Begriffe wählen, die das zum Ausdruck bringen und keine Begriffe, die in einem engeren Sinne Rechtsbegriffe sind."

Die Terminologie werde weiter Gegenstand der Verhandlungen bleiben, erklärt Experte Federico Links aus Windhuk: "Für die Herero und Nama ist es sowohl eine Frage der Ehre als auch eine ganz handfeste materielle Frage: Reparationen zahlt man als Wiedergutmachung direkt an die Opfer oder stellvertretend an ihre Nachfahren."

Namibia Windhuk | Denkmal zur Erinnerung an den Völkermord an den Herero und Nama
Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und NamaBild: picture-alliance/dpa/J. Bätz

Namibias Präsident steht unter Druck

Hier zeigt sich ein Graben zwischen den Nachfahren der unmittelbar Betroffenen und der Regierung in Namibia: Denn die Nachfahren sehen sich nicht gut vertreten. Vekuii Rukoro, traditioneller Anführer der Herero, äußerte sich am Mittwoch auf DW-Anfrage zu Geingobs Erklärung: "Der Präsident hat mehrfach das Wort 'Reparationen' benutzt, dabei wissen wir, dass die deutsche Regierung diesen Begriff mit Nachdruck ablehnt und nur der gezielten Finanzierung zuvor abgestimmter Projekte zustimmt", so der Chief. Die Opfervertreter beklagen seit Jahren, von den Verhandlungen ferngehalten zu werden. Nun stelle man in Windhuk fest, dass die "breite Bevölkerung" den Glauben in das Verhandlungsgeschick der Regierung verliere - "zu einer Zeit, da sie im Wahljahr politisch und wirtschaftlich verwundbar ist".

Dem Präsidenten selbst sei es eigentlich egal, als was die Zahlungen deklariert würden, schätzt Experte Links. Aber auch Geingob stehe unter Druck: "Die Regierung will natürlich am Ende der Verhandlungen mit Deutschland so dastehen, dass sie sich für die Belange der Herero und Nama eingesetzt haben, alles andere würde in den Augen dieser Völker eine Niederlage für den Präsidenten bedeuten."

Illustration | Hauptmann Franke Im Kampf Gegen Die Hereros
Die Kaiserliche Schutztruppe in Deutsch-SüdwestafrikaBild: picture-alliance/Heritage-Images/The Print Collector

Entschädigungsprojekte in sieben verschiedenen Regionen

In Namibia meldet man derweil, dass die Regierung plane, in den laufenden Völkermordverhandlungen mit der Bundesregierung möglichst noch in diesem Sommer verschiedene Projekte vorzuschlagen, die als Wiedergutmachung dienen sollen. Die Projekte sollen in den Regionen Kharas, Hardap, Khomas, Kunene, Omaheke, Otjozondjupa und Erongo durchgeführt sollen, dort, wo heute noch Nachfahren der Völkermordopfer leben.

Ruprecht Polenz sagt, das sei auch im Interesse der Bundesregierung: "In den Gesprächen sind wir immer gemeinsam davon ausgegangen, dass natürlich ein besonderer Schwerpunkt des Engagements für die berufliche Bildung, für das Gesundheitswesen oder für die Infrastruktur in den Gebieten erfolgen soll, wo die damals besonders betroffenen Communities leben."

Wann bittet Deutschland um Entschuldigung?

Die deutsche Regierung habe sich bereit erklärt, sich "bedingungslos bei der namibischen Regierung, ihrem Volk und den betroffenen Gemeinden zu entschuldigen", ließ der namibische Präsident gestern erneut verlautbaren. Bereits am 4. Juni hatte Hage Geingob bei seiner Rede zur Lage der Nation eine ähnliche Aussage gemacht.

"Deutschland möchte sich lieber heute als morgen für diese Verbrechen entschuldigen", bestätigt Rupert Polenz im DW-Interview. Dass das bisher offiziell noch nicht geschehen sei, sei nicht die Schuld der Bundesregierung: "Wie das so ist, wenn man um Entschuldigung bitten will, kann man natürlich der anderen Seite nicht sagen 'Wir wollen um Entschuldigung bitten, nun macht mal voran!'". Die namibische Seite müsse alle Zeit haben, die sie braucht.