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Zehn Millionen für deutsche Kolonialverbrechen?

13. August 2020

Angeblich stehen die Verhandlungen über eine Entschädigung für den Völkermord an Herero und Nama kurz vor dem Abschluss. Doch aus dem namibischen Präsidialbüro kommen verstörende Zitate und Zahlen, meint Claus Stäcker.

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Namibia Windhuk | Denkmal zur Erinnerung an den Völkermord an den Herero und Nama
Detail des Denkmals zur Erinnerung an den Völkermord an den Herero und Nama in WindhukBild: picture-alliance/dpa/J. Bätz

Da stand sie plötzlich im Raum, diese Zahl: zehn Millionen Euro. Zehn Millionen für einen Genozid. Verbreitet über nächtliche Agenturen, die sich auf die namibische Zeitung The Namibian beriefen. Die wiederum einen Sprecher des Präsidenten Hage Geingob zitierte, der sich seinerseits auf eine Rede seines Vorgesetzten bezog, die der Präsident bereits Anfang Juni gehalten hatte. Das deutsche Entschädigungsangebot für die Verbrechen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika sei inakzeptabel, schob er nach, "eine Beleidigung für Namibia".

Tatsächlich ist die Summe so beschämend niedrig, dass sie Deutschland wohl jegliche Ernsthaftigkeit einer - Vorsicht: rhetorische Falle - Wiedergutmachung absprechen würde. Zehn Millionen Euro können nicht wirklich das Ergebnis fünfjähriger, wenn auch mehrfach unterbrochener Verhandlungen sein.

"Ich weiß nicht, wo diese Zahl herkommt"

Gemeinhin ist der mit der Schlacht am Waterberg vor genau 116 Jahren eingeläutete Massenmord an Hereros und Namas als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts anerkannt - auch wenn die Details der Vernichtung und die Opferzahlen schwanken, sie hier und da auch instrumentalisiert werden. An dem Faktum gibt es nichts zu deuteln und zu beschönigen - und ein Verhandlungsabschluss wie eine offizielle Entschuldigung sind überfällig.

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Claus Stäcker leitet die Afrika-Programme der DW

Schon 2015 hatte der deutsche Verhandlungsführer, der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, eine Einigung bis zum Ende der damaligen Legislaturperiode in Aussicht gestellt, also 2017. Inzwischen wird über einen Abschluss 2021 spekuliert. Weil aber Stillschweigen über die Verhandlungen vereinbart ist, steht die Zahl zehn Millionen seit Monaten unwidersprochen im Raum. Mehr als ein "Ich weiß nicht, wo diese Zahl herkommt", lässt sich Verhandlungsführer Polenz im DW-Interview nicht entlocken.

Aus gut informierten Quellen hört man, dass die veranschlagte Summe weitaus höher sein wird, dass sie zweckgebunden in Gesundheits-, Bildungs- und Infrastrukturprojekte fließen soll. Möglichst in Regionen, die damals besonders hart betroffen gewesen seien. Erst am Ende soll eine offizielle Bitte um Entschuldigung stehen, ausgesprochen möglichst vom Bundespräsidenten und vor Ort. Und die natürlich die Namibier annehmen müssen. 

Deutschland in Erklärungsnot

Diese messen die Ernsthaftigkeit der deutschen Absichten aber auch am Verhandlungsergebnis, sprich der konkreten Summe. Da hilft auch nicht die Tatsache, dass Namibia der größte Pro-Kopf-Empfänger von Entwicklungshilfe in Afrika ist und seit der Unabhängigkeit 1990 fast eine Milliarde Euro nach Namibia geflossen ist. 

Deutschland ist in Erklärungsnot, und Namibias Präsident Geingob weiß das politisch zu nutzen. Umso kleinlicher wirkt da der Streit um Begrifflichkeiten: So vermeidet die deutsche Seite hartnäckig den justiziablen Ausdruck "Entschädigung" - also reparations - und spricht lieber blumig von "Heilung der Wunden in der gemeinsamen Geschichte", was wiederum die Namibier erzürnt. Denn für sie geht es genau auch darum: eine materielle Entschädigung, die deutlich höher ausfallen muss als zehn Millionen Euro. Und das wird sie auch - das ist sicher auch der Bundesregierung und ihren Unterhändlern sehr bewusst.

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Claus Stäcker Leiter der Afrika-Redaktionen mit geschärftem Blick auf Politik, Demografie, Generationenkonflikt@ClausStaecker