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Industrie will mehr als Corona-Rettungspakete

6. Oktober 2020

In der Pandemie ist der Staat der Wirtschaft mit Milliardenhilfen zur Seite gesprungen. Mit Erfolg. Doch nun brechen alte Konflikte wieder auf - und gleichzeitig steigen die Infektionszahlen. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Berlin Tag der Deutschen Industrie | Grußwort Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel sendete diesmal eine Videobotschaft zur TdI-VeranstaltungBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Die aktuellen Zahlen und Daten klingen nicht schlecht: Die Auftragsbücher der deutschen Industrie füllen sich wieder und das schneller und stärker, als allgemein erwartet. Im August bereits im vierten Monat in Folge.

"Wir erleben im Moment, dass die wirtschaftliche Erholung einsetzt, dass der Abschwung im zweiten und dritten Quartal nicht ganz so stark war wie befürchtet, und die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vormonat zurückgegangen ist", bilanziert Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf dem Tag der deutschen Industrie (TdI) in Berlin.

In normalen Zeiten ist der TdI ein jährliches Großereignis, auf dem sich alle treffen, die in der Wirtschaft und der Politik Rang und Namen haben. Doch in der Corona-Pandemie sind aus 2000 Gästen 500 geworden, das zweitägige Event wird gestreamt und viele Redner, darunter auch die Bundeskanzlerin, sind erstmals nur mit Videobotschaften vertreten.

Die wirtschaftliche Erholung steht auf dem Spiel

Vor der Kulisse des leeren Kabinettssaals im Kanzleramt spricht Merkel von einer "vorsichtigen Erholung" der Wirtschaft, bemüht, den in der Pandemie durchaus fragilen Status Quo nicht zu überhöhen. Überall steigen die Infektionszahlen, auch in Deutschland. Die Konsequenz könnte ein zweiter Shutdown mit nicht absehbaren Folgen für das ganze Land sein.

Berlin Tag der Deutschen Industrie | Wirtschaftsminister Altmaier
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gibt beim Tag der Deutschen Industrie in Berlin die Richtung vorBild: John MacDougall/AFP

Den Bundeswirtschaftsminister versetzt das erkennbar in Rage. Auch, weil ihm beim Infektionsschutz weitgehend die Hände gebunden sind. In Deutschland sind die Länder und Kommunen mit ihren Gesundheitsämtern für die Vorschriften zuständig. "Ich sehe, dass wir fast jede Woche einen Hotspot mehr haben und das hat nichts damit zu tun, dass irgendwo in den Betrieben oder in den Geschäften ein Ansteckungsrisiko wäre", wettert Altmaier.

Bloß kein zweiter Shutdown

Die Gesundheitsämter hätten zu wenig Personal, dabei müssten sie die Bürger dringend besser über die Gefahren aufklären, wenn "bei Familienfeiern viele Menschen auf engstem Raum sitzen". Das Erreichte dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden. "Es darf keinen zweiten Shutdown geben und ich verspreche Ihnen, soweit es an mir liegt, wird es auch keinen zweiten Shutdown für die Industrie und die Wirtschaft geben", so Altmaier.

Eine Botschaft, die die Industriebosse nur zu gerne hören. Von einer "existenziellen Bedrohung" spricht der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. Doch er macht auch deutlich, dass die Risiken nicht nur in der Pandemie liegen.

Berlin Tag der Deutschen Industrie | BDI-Präsident Kempf
Seit fast vier Jahren Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: Dieter KempfBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Handelskonflikte, die bevorstehende US-Wahl und ihre Konsequenzen, der immer wahrscheinlicher werdende Austritt von Großbritannien aus dem EU-Binnenmarkt ohne ein Freihandelsabkommen - das sind Unsicherheiten, die der Wirtschaft zusetzen.

Vom Krisen- in den Zukunftsmodus

Dazu kommt der Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft, der vor der Pandemie auf der Tagesordnung ganz oben stand und nun wieder ins Bewusstsein rückt. Die Automobilindustrie, einst Aushängeschild und Zugpferd der deutschen Industrie, krankt am Skandal um manipulierte Diesel-Abgastests und hat die Umstellung auf die Elektromobilität verschlafen.

Die Digitalisierung kommt nur schleppend voran und mit ihr der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie in der Industrie. Steinig ist auch der Weg hin zur Klimaneutralität.

"Wir müssen aus dem Krisenmodus in den Zukunftsmodus umschalten", fordert Kempf. "Die Gefahr ist groß, dass die akute Krise und eine Selbstzufriedenheit mit den bisher beschlossenen Rettungspaketen den Blick auf die Realität verstellen." Das weiß auch die Kanzlerin nur zu gut. "Es geht nicht allein darum, das Vorkrisenniveau rasch wieder zu erreichen, sondern über langfristige Investitionen auch neue Wege zu erschließen", mahnt sie in ihrer Videobotschaft.

Wer soll das bezahlen?

Doch Investitionen kosten viel Geld und das ist angesichts der wirtschaftlichen Lage deutlich weniger geworden. "Am Ende brauchen wir auch eine echte Ehrlichkeit, was geht und was nicht", sagt der Vorstandschef des Chemiekonzerns BASF, Martin Brudermüller. Auch wenn es wirtschaftlich wieder aufwärts gehe, brauche die Industrie noch zwei Jahre, um wieder auf Vorkrisenniveau zu sein.

Berlin Tag der Deutschen Industrie | BASF Brudermüller
Martin Brudermüller, CEO von BASF, fordert eine ehrliche Debatte über künftige InvestitionenBild: John MacDougall/AFP

Brudermüller spricht von "einer Summe von Belastungen" für die Unternehmen. "Was ich an der einen Stelle ausgebe, kann ich an der anderen Stelle nicht ausgeben und ich denke, da muss man Prioritäten setzen."

Ein Dorn im Auge sind der Wirtschaft vor allem die weiter verschärften europäischen und deutschen Klimaziele. "Schon um das bestehende EU-Ziel einer Emissionsminderung von 40 Prozent bis 2030 zu erreichen, müssten alle 27 EU-Staaten ihre Klimaschutzanstrengungen ab sofort nahezu verdreifachen", rechnet Kempf vor. Eine Anhebung auf 55 Prozent wäre sogar eine Verfünffachung der bisherigen Anstrengungen. "Klimaschutz darf kein Jobkiller werden", so der BDI-Präsident.

Hilfe beim klimafreundlichen Umbau

Er finde es eigentlich auch nicht richtig, wenn man einmal gesetzte Zielwerte ständig wieder in Frage stelle, räumt Wirtschaftsminister Altmaier ein, aber solange die Klimaziele nicht erreicht würden, würden sie eben immer wieder erhöht. "Wir haben auch viele Erfolge erzielt, aber dafür gab es keine Bonuspunkte und keine Anerkennung, weil wir gleichzeitig weltweit nicht vorangekommen sind und viel Zeit verloren haben mit internen Debatten, beispielsweise über die CO2-Bepreisung."

Berlin Tag der Deutschen Industrie | BDI-Präsident Kempf
Der Tag der deutschen Industrie fand diesmal als hybride Veranstaltung statt: teils in Präsenz, teils virtuellBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Altmaier verspricht der Wirtschaft, ihr beim klimafreundlichen Umbau weiter unter die Arme zu greifen, doch auch die Unternehmer wissen, dass sie angesichts der coronabedingten Rekord-Neuverschuldung, der in der Pandemie gezahlten Milliarden-Hilfen und des bereits auf den Weg gebrachten 50 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramms nur schwerlich größere Entlastungen vom Staat erwarten können.

Strompreise für die Industrie senken

"Was wir im Prinzip brauchen, ist ganz billigen elektrischen Strom", bringt BASF-Vorstand Brudermüller die Bedürfnisse der Industrie in der Klima- und Energiepolitik auf den Punkt. "Dann können sie meinetwegen den CO2-Preis über Jahre planbar steigern und dann haben sie ein Szenario, mit dem wahrscheinlich viele Unternehmen klarkommen."

Brudermüller schwebt ein "völlig neues Design der Energiepolitik" vor, damit die Unternehmen Zeit hätten, um in Technologien zu investieren, mit denen sie wettbewerbsfähig bleiben können.

Ein Wunsch, der wohl kaum eine Chance hat, realisiert zu werden. Er habe schon als Umweltminister vorgerechnet, dass die Energiewende bis 2040 eine Billion Euro kosten werde, sagt Wirtschaftsminister Altmaier. "Man kann diese Kosten nur jemandem aufbürden oder man wird sie schuldenfinanzieren müssen", ergänzt er. In der derzeitigen Lage sei das einfach nicht möglich.

Der Artikel wurde am 7.10.2020 aktualisiert und ein Fehler korrigiert. In der vorherigen Version hieß es, die Energiewende werde bis 2040 eine Milliarde Euro kosten.