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Zwischen Zensur und neuen Freiheiten

Lydia Heller16. Juni 2003

Chinesische Journalisten galten lang als Sprachrohr der Regierung. Doch nicht erst seit den offiziellen Vertuschungsstrategien im Fall der Krankheit SARS verstehen sie sich zunehmend als Reporter, die eigene Wege gehen.

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10 Jahre Haft wegen "Anstiftung zur Subversion gegen die Staatsmacht": Netz-Aktivist Qi HuangBild: www.boxun.com

Seit die chinesische Regierung zugeben musste, dass sie die Ausbreitung das Akute Atemwegssyndrom SARS vertuscht hatte, erhielten die Medien eine Art "Freibrief": "Berichtet offen über das Ausmaß der Epidemie", lautete plötzlich die offizielle Devise. Über das Versagen der Regierung darf in den Medien zwar kein Wort fallen. Aber "durch SARS haben wir erfahren, welche Bedeutung einer offenen und wahrheitsgetreuen Berichterstattung zukommt und wie wichtig Transparenz für die gesamte Gesellschaft ist", sagt der Schanghaier Verleger Chen Baoping. Eine neue Krise werde die Regierung nun nicht mehr so einfach vertuschen können, so seine Hoffnung.

Insbesondere Journalisten der lokalen Medien nutzten ihre Chance und tummelten sich an der vordersten Front. Sie gingen in Krankenhäuser, interviewten Patienten, Ärzte und Forscher, berichteten über die wirtschaftlichen Folgen der Krise und verdrängten die Berichte der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua von den Titelseiten.

Internet durchbricht Informationsmonopol

Eines ist der chinesischen Führung allerdings klar geworden: Das Internet wird es langfristig unmöglich machen, das Informationsmonopol aufrechtzuerhalten, denn die Zahl der Internetnutzer steigt täglich. Und so geraten Zeitungen, Radio und Fernsehen immer stärker unter Druck, genauso aktuell und umfassend zu berichten. Für Euphorie ist es dennoch zu früh, warnt Baoping. Manchmal richteten die Medien bei dem Versuch, die Wahrheit zu enthüllen, mehr Schaden als Nutzen an, "zum Beispiel wenn Meldungen über die Börse sämtliche Investoren in Panik versetzen." In solchen Fällen sei "der gesellschaftlichen Stabilität der Vorrang zu geben, um die weitere Entwicklung nicht zu behindern." Umfassende Information der Öffentlichkeit sei vor allem in Krisenzeiten angebracht.

Transparenz ist effizient

Konsens herrscht inzwischen – sowohl in Intellektuellen- als auch in Regierungskreisen – über das grundlegende Recht auf Informationen. In Schanghai und anderen Städten wurde vergangene Woche erstmals eine Presseamt eingerichtet, um in Zukunft in regelmäßigen Abständen über die Aktivitäten der Stadtregierung zu informieren. Dass Transparenz auch dabei helfen kann, Abläufe effizienter zu machen, ist eine Erkenntnis, die sich in dem hierarchisch organisierten chinesischen System erst seit kurzem durchsetzt. Vielleicht hat die Regierung aber auch nur entschieden, Gerüchten und ungewollten Recherchen besonders ehrgeiziger Journalisten mit einer Informationsoffensive zuvor zu kommen.