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Konflikte

Neue Strategie bei Sonntagsprotesten in Minsk

29. November 2020

In der Hauptstadt von Belarus versammelten sich Demonstranten zunächst in Wohnvierteln und schlossen sich später zu größeren Protestzügen zusammen. Dadurch sollten die Sicherheitskräfte verwirrt werden.

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Belarus Minsk | Proteste und Demonstrationen
Demonstranten in Minsk führen die historische weiß-rot-weiße Fahne des Landes mitBild: Viktor Tolochko/Sputnik/dpa/picture alliance

Statt einer einzigen Großdemonstration meldeten lokale Medien etwa 20 dezentrale Kundgebungen in ganz Minsk. "Die Lukaschenko-Polizei eilt verzweifelt von Bezirk zu Bezirk", hieß es in der Gruppe Nexta Live im Messenger-Dienst Telegram, mit deren Hilfe die Massenproteste koordiniert werden.

Mit der Änderung der Taktik reagierten die Demonstranten am 16. Protestsonntag auf die regelmäßige gewaltsame Niederschlagung ihrer Proteste in den vergangenen Wochen. Doch trotz der Strategieänderung gab es erneut zahlreiche Festnahmen. Das Menschenrechtszentrum Wesna listete zunächst die Namen von mehr als 330 Festgenommenen auf. Die Polizei sprach am Abend von etwa 250 Festnahmen. Am vergangenen Sonntag waren es etwa 300, in der Woche davor rund 1000 gewesen.

In Videos war zu sehen, wie Menschen von vermummten Sicherheitskräften in Kleinbusse gezerrt wurden. Polizisten verfolgten Demonstranten bis in die Innenhöfe von Wohnanlagen. Medien berichteten über den Einsatz von Tränengas. Die größten Aktionen gab es in der Hauptstadt Minsk. Auch in anderen Städten forderten die Menschen den Rücktritt von Präsident Alexander Lukaschenko.

Belarus Minsk | Proteste und Demonstrationen | Festnahmen
Zwei Demonstranten werden von Sicherheitskräften in Minsk abgeführtBild: STRINGER/AFP

Aufmarsch mit Wasserwerfern

Wie an den Sonntagen zuvor waren wieder Hundertschaften Uniformierter von Innenministerium und Armee in Minsk unterwegs gewesen. In Videos waren Gefangenentransporter, Wasserwerfer und andere schwere Technik auf den Straßen der Hauptstadt zu sehen. Sicherheitskräfte sperrten große Plätze mit dem Metallgittern ab. Zudem waren sechs Metro-Stationen in Minsk gesperrt. Auch das mobile Internet war weitgehend abgeschaltet. Damit wollten es die Behörden erschweren, sich zu Versammlungen zu verabreden.

Die im litauischen Exil lebende Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja hatte sich am Samstag im Online-Dienst Telegram an die Protestbewegung gewandt. "Jeder geht in seinem Bezirk auf die Straße und sieht dutzende, hunderte und tausende Unterstützer", sagte die 38-Jährige in einem Video voraus. Sie nannte die demonstrierenden Belarussen "stolze, mutige und friedfertige Menschen, die den Preis für Freiheit kennen" und nie ohne Freiheit leben werden.

Lukaschenko spricht vorsichtig von Rückzug

Nach einem Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow am Donnerstag bekräftigte Lukaschenko die Pläne für eine neue Verfassung. Dabei stellte er vorsichtig seinen Rücktritt in Aussicht. Mit einer neuen Verfassung werde er nicht mehr als Präsident arbeiten, sagte er nach Angaben der Staatsagentur Belta. Dabei ließ er aber offen, wann das sein könnte. Kritiker sind daher skeptisch, ob es Lukaschenko ernst ist mit der Absicht oder ob es sich nur um ein Ablenkungsmanöver handelt.

Lukaschenko sicherte aber zu, dass die neue Verfassung die bisher fast unbegrenzten Vollmachten des Präsidenten einschränken werde. Gestärkt werden sollen dafür die Rollen des Parlaments und der Regierung. Kritisch äußerte er sich zur Gründung neuer Parteien und zu einer Parlamentswahl nach Parteilisten. Das führe nur zur Bildung von Interessensgruppen und zu einer Spaltung der Gesellschaft.

Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August, nach der sich Lukaschenko nach 26 Jahren im Amt wieder zum Sieger erklären ließ, gibt es Massenproteste und Streiks gegen ihn. Einen Rücktritt oder eine Machtübergabe hatte er wiederholt abgelehnt.

hf/kle (dpa, afp, rtr)