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Gotthilf Fischer: Der König der Chöre ist tot

16. Dezember 2020

Gotthilf Fischer sang vor gekrönten Häuptern und dem Fußballkaiser. Er dirigierte - ganz friedlich - die Massen in aller Welt. Und er hielt drei Weltrekorde.

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Gotthilf Fischer | deutscher Chorleiter
Hat nie eine musikalische Ausbildung erhalten: Gotthilf Fischer (Archivbild)Bild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Deutschlands bekanntester Chorleiter Gotthilf Fischer ist tot. Er starb bereits am Freitag im Alter von 92 Jahren, wie seine Managerin Esther Müller mitteilte. Der Musiker sei "einfach eingeschlafen". Er sei an diesem Mittwoch im engsten Familienkreis beigesetzt worden.

Was nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unscheinbar beim schwäbischen Gesangsverein Concordia in Deizisau begann, weitete sich aus in alle Welt: Fischer ließ im Jahr der Republikgründung - 1949 - bei einem Sängerwettstreit in Göppingen mit seinem Chor 150 Konkurrenten hinter sich. Von da an scharte der Sohn eines Hobbymusikers immer mehr Teilchöre um sich, die zu Massenauftritten zusammenkamen. Der Sohn eines Hobbymusikers hatte sein Erfolgsrezept gefunden.

Medienstar der Fußball-WM

1962 gelang Fischer, der nie eine musikalische Ausbildung erhielt, sein TV-Debüt. Einen ersten TV-Auftritt der "Fischer-Chöre" gab es 1969 in Wim Thoelkes Sendung "Dreimal neun". 1975 bekam er seine eigene Fernsehsendung "Sing mit den Fischer-Chören" im ZDF.

Schon im Jahr davor wurden Menschen in aller Welt auf den Deutschen aufmerksam, der friedlich die Massen dirigierte: Seit der Schlussveranstaltung der Fußballweltmeisterschaft 1974 in München - mit 1500 Sängern im Stadion ein medialer Höhepunkt - waren Fischers Mammutchöre international ein Begriff.

Gotthilf Fischer | deutscher Chorleiter
Wo er auftauchte, wurde gesungen: auf der Bühne ...Bild: Benjamin Beytekin/dpa/picture alliance

In den USA trat er vor dem damaligen Präsidenten Jimmy Carter und vor Fußballkaiser Franz Beckenbauer auf. Er komponierte ein Hochzeitslied für den schwedischen König Carl XVI. Gustaf und Königin Silvia ebenso wie ein Lied zur Krönung von Königin Beatrix der Niederlande. Zusammengerechnet soll er rund um den Globus vor mehr als 60.000 Sängern gestanden haben.

"Fürs Sterben zu jung"

Fischer verkaufte 16 Millionen Tonträger. 1970 war die erste von insgesamt rund 45 Schallplatten erschienen. Die letzte Single veröffentlichte er vor weniger als vier Wochen: "Die Gedanken sind frei". Das alte Volkslied sei so aktuell wie selten zuvor, schrieb er dazu auf Facebook. Kurz vor seinem 91. Geburtstag hatte er der Illustrierten "Meine Melodie" noch gesagt, er fühle sich "fürs Sterben zu jung". Allerdings stand schon seit Jahren neben dem Klavier sein Grabkreuz, in das nur noch das Sterbedatum eingraviert werden musste.

Gotthilf Fischer | deutscher Chorleiter
... oder auf dem Marktplatz (hier 2011 in Eisenach)Bild: Michael Reichel/dpa/picture alliance

Der Chorleiter mit dem Sinn für das Spektakuläre hielt drei Weltrekorde: Er dirigierte den "größten Wasserchor der Welt", ließ die "meisten Walzer tanzenden Paare im Wasser" im Dreivierteltakt sich drehen und leitete den "größten Bergmannschor". Nebenbei sprang er medienwirksam mit dem Fallschirm ab und besuchte den "Big Brother"-Container.

Leben am seidenen Faden

Dabei hing sein Leben schon vor der Geburt am seidenen Faden: Der Taxifahrer, der seine Mutter zur Entbindung ins Krankenhaus brachte, hatte einen schweren Unfall. Glücklicherweise überlebten die beiden. Auf Anregung einer Krankenschwester bekam der Junge den Namen Gotthilf. Später überstand er drei Flugzeugunglücke.

Fischer betrieb das Singen immer auch als eine Art Friedensmission, was ihm neben aller Zuneigung durchaus Spott eintrug. Beeindrucken ließ er sich davon nicht. "Wenn mir einer sagt, es geht nicht, dann geht alles - dann wache ich erst einmal auf", beschrieb er seine Unbeugsamkeit. Auch als 2008 seine Frau Hilde, mit der er zwei Kinder hatte, nach 59 Jahren Ehe starb, zog Fischer sich nicht zurück. Im vergangenen Jahr bekam er noch eine Goldene Schallplatte für seinen Erfolg im Internet - weil seine Version der Europahymne "Ode an die Freude" mit der Liedzeile "Freude schöner Götterfunken" millionenfach angeklickt wurde.

jj/ml (dpa, afp, munzinger)