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Gesellschaft

Corona und der Angriff auf die Alten

10. Januar 2021

Eine der schlimmsten Folgen der Coronakrise ist das neue negative Bild von Senioren. Eine riesige Bevölkerungsgruppe wird einfach pauschal diskriminiert. Falsch und fatal, meint Astrid Prange.

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Deutschland Altenpflege Coronavirus
Monatelange Isolation: Im Frühjahr 2020 durften Bewohner von Altenheimen keine Besuche empfangenBild: imago images/penofoto

Es ist schon paradox. Jahrelang forderte der Philosoph Richard David Precht eine Pflicht zum Ehrenamt für Senioren. Noch nie in der Geschichte habe es so viele gesunde, vitale und belastbare Rentner und Pensionäre gegeben wie heute - sie sollten sich nützlich machen.

Ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich die Wahrnehmung der Generation 60 plus ins Gegenteil verkehrt. Ältere Menschen gelten auf einmal als schutzbedürftig, verletzlich und schwach. Das Virus hat sie zu Opfern von Diskriminierung und Isolation gemacht.

Alleine klar kommen statt Hilfe annehmen

Doch wer will hier eigentlich wen beschützen? Das Ergebnis einer schriftlichen Umfrage des Deutschen Alterssurveys unter knapp 5.000 Personen im Alter von 46 bis 90 Jahren im Juni und Juli 2020 legt jedenfalls nahe, dass die Hilfe für die sogenannten Schutzbedürftigen zwar gut gemeint ist, aber nicht immer gut bei den Schützlingen ankommt. 

Denn laut Umfrage fühlt sich nicht einmal jede zehnte Person zwischen 46 und 90 Jahren durch die Pandemie bedroht. Wichtiger als der Faktor Alter ist laut Umfrage der Faktor Gesundheit. Personen, die ihre Gesundheit gut einschätzen, fühlten sich wegen der Pandemie weniger bedroht als Personen, die dies nicht taten.

Rolle rückwärts

Die vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebene Umfrage ist verdienstvoll. Doch kann sie dem Rückfall in alte und überwundene geglaubte Rollenmodelle wirkungsvoll etwas entgegensetzen?

Kommentarbild Astrid Prange
DW-Redakteurin Astrid PrangeBild: DW/P. Böll

Das Virus hat die Gesellschaft nicht nur digitalisiert und modernisiert, sondern auch konservativer gemacht. So sind Haushalt und Kinderbetreuung im Zuge der massiven Einschränkungen wieder zunehmend "Frauensache" geworden und fitte Senioren mutieren erneut zu angeblich hilfsbedürftigen Wesen.

Dieses irrationale Verhalten gehört zu den schlimmsten und gefährlichsten Nebenwirkung des Virus. Denn es entlarvt nicht nur Begriffe wie "Best Ager" oder "mobile Senioren" als leere Floskeln, sondern diskriminiert pauschal eine riesige Bevölkerungsgruppe. Und gefährdet damit den Zusammenhalt der Gesellschaft, der gerade jetzt notwendig ist.

Die Frage stellt sich: Warum rufen wir Ärzte, Apotheker, Feuerwehrmänner, Rettungssanitäter, Krankenpfleger, Lehrer und Polizisten aus dem Ruhestand zurück, um im gleichen Atemzug pauschal alle Über-60-Jährigen zur Risikogruppe zu erklären? Warum muten wir ausgerechnet denjenigen, die bereits viel zum Aufbau und Zusammenhalt der Gesellschaft beigetragen haben, die größten Opfer durch Isolation und Vereinsamung zu?

Die Alten helfen sich gegenseitig

In einer immer älter werdenden Gesellschaft ist es irreführend, pauschal von "den Alten" oder "der älteren Generation" zu sprechen, denn die gibt es nicht. Viele Hilfeleistungen, die kranke oder gebrechliche Menschen in Anspruch nehmen, werden zudem von Vertretern der Generation 60 plus selbst erbracht, insbesondere bei der Pflege von Angehörigen.

Auch nach der Corona-Krise werden viele von ihnen weiter zu den Leistungsträgern dieser Gesellschaft gehören. Ein negatives Altersbild, das pauschal alle Über-65-Jährigen als schwach, senil und potenziell gefährdet einstuft, verletzt und wertet eine ganze Generation ab. Dieses mentale Virus kann leider nicht mit einer Impfung bekämpft werden.