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Politik

Aufrufe zum Baustopp helfen allein Putin

Roman Goncharenko (DW)
Roman Goncharenko
9. Februar 2021

Nach der Verhaftung des russischen Oppositionellen Nawalny wird in Deutschland erneut der Baustopp der Pipeline Nord Stream 2 gefordert. Ein gefährlicher Selbstbetrug, meint Roman Goncharenko.

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Das Verlegeschiff "Fortuna" bei der Arbeit in der OstseeBild: Bernd Wuestneck/dpa/picture alliance

Das Schicksal der Gasleitung Nord Stream 2 ist eines der wenigen außenpolitischen Themen, das im Strom der Corona-Nachrichten nicht untergeht. Die Verhaftung Alexej Nawalnys und die Niederschlagung der Proteste für seine Freilassung haben das Thema auf Titelseiten und in Talkshows zurückgeholt - nach einer gerade mal halbjährigen Pause. Damals - Ende August - war die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers der Auslöser. Das von Anfang an umstrittene Energieprojekt wurde zum zentralen Schmerzpunkt der deutsch-russischen Beziehungen. Doch ist Berlin bereit, genau hier zuzudrücken? Zweifel sind angebracht. 

Kritik an der direkten Gasleitung von Russland nach Deutschland durch die Ostsee gibt es schon, seit die Verträge zum Bau unterzeichnet wurden. Und Nord Stream 1 ist bereits seit 2011 in Betrieb. Doch den Bau des zweiten Röhrenpaares zu stoppen, ist erst ein reales Szenario, seit die USA Ende 2020 Sanktionen gegen beteiligte Firmen verhängt haben. Washingtons Eingreifen hat die Verlegung der letzten Kilometer vor der deutschen Küste erheblich gebremst.

Warum Deutschland Nord Stream 2 nicht aufgeben wird

Jetzt hat die Diskussion auch in Deutschland wieder Fahrt aufgenommen. Vor allem Politiker der oppositionellen Grünen fordern unter Hinweis auf Nawalnys Schicksal und die Bürgerrechte in Russland den sofortigen Baustopp. Auch einzelne Politiker der regierenden Unionsparteien unterstützen harte Maßnahmen gegenüber Moskau.

Goncharenko Roman Kommentarbild App PROVISORISCH
DW-Redakteur Roman Goncharenko

Die Bundesregierung reagiert auf solche Aufrufe stets gleich: Es handele sich um ein wirtschaftliches und kein politisches Projekt. Bei einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron erklärte Kanzlerin Merkel zum gefühlt zum 100. Mal, dass wegen der Verhaftung Nawalnys die Sanktionen gegenüber Russland ausgeweitet werden könnten. Aber ihre Haltung zu Nord Stream 2 bleibe davon erst einmal unberührt.

Dieses "erst einmal" sollte niemand überbewerten. Denn Deutschland wird aus diversen Gründen den Bau von Nord Stream 2 nicht mehr stoppen. Ein solcher Schritt würde in erster Linie das Vertrauen der Wirtschaft in die Politik erschüttern, das beide Seiten als extrem wichtig erachten. Vor allem aber kämen auf Berlin milliardenschwere Schadensersatzklagen zu, denn das Projekt hat in Deutschland alle notwendigen Genehmigungen erhalten.  

Die besonderen deutsch-russischen Beziehungen

Und doch geht es nicht nur ums Geld. Eine Absage an Nord Stream 2 wäre ein Bruch mit der nunmehr 50-jährigen Tradition der Beziehungen der Bundesrepublik zu Moskau - nicht zuletzt auch im Energiebereich. Radikale Schritte gehören nicht zum Stil deutscher Diplomatie, gerade im Verhältnis zu Russland, zu dem Deutschland besondere, weil historisch extrem belastete Verbindungen hat. Jetzt eine Notbremse zu ziehen würde auch einen enormen Gesichtsverlust für Angela Merkel und ihre Regierungskoalition bedeuten. Sie haben das Projekt weder nach der Krim-Annexion und dem Krieg in der Ostukraine, noch nach der Ermordung der russischen Oppositionspolitikers Boris Nemtsov oder dem Angriff russischer Hacker auf den Deutschen Bundestag infrage gestellt.

Deutschland Lubmin Nord Stream 2 Anlage
Die Zeichen stehen auf Fertigstellung von Nord Stream 2Bild: Odd Andersen/AFP

Das Ende des Projekts durch einen Beschluss der EU wäre für Berlin vermutlich der einzige Weg, um hohen Schadensersatzforderungen zu entgehen. Vor allem Polen und die Baltischen Republiken sehnen diesen Schritt geradezu herbei. Aber die notwendige Einigkeit der EU wäre keineswegs sicher. Sogar die Verlängerung der relativ milden EU-Sanktionen gegen Russland wegen Moskaus Vorgehen in der Ukraine wurde von Ländern wie Italien oder Österreich immer wieder in Frage gestellt. Brüssel jedenfalls legt aus gutem Grund keinerlei Eile an den Tag.

Man sollte nur damit drohen, was man umsetzen kann

Deshalb sind alle Diskussionen über ein Ende von Nord Stream 2 bestenfalls Selbstbetrug. Forderungen nach dem Baustopp der fast fertigen Pipeline verkommen zu leeren Worten, denen keine Taten folgen. Und die gegenüber dem Kreml die Schwäche Deutschlands und Europas sichtbar machen. Das hat bereits einen immensen Imageschaden verursacht. Im Ergebnis bewirken die illusorischen Appelle genau das Gegenteil: Sie stärken den russischen Präsidenten Wladimir Putin gegenüber der EU - aber auch international. Ganz nach dem Motto: Schaut her! Europa kann gar nichts machen!

Vor diesem Hintergrund konnte es nicht verwundern, dass der EU-Chefdiplomat Josep Borrell gedemütigt wurde, als ausgerechnet während seines Besuchs in Moskau die Ausweisung von drei europäischen Diplomaten verkündet wurde, darunter eines Deutschen.

Russland EU-Außenkommissar Borrell besucht Russland
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell (links) wurde von Russlands Außenminister Lawrow gedemütigtBild: European Commission/dpa/picture alliance

Signale, die Moskau versteht

Die Konsequenz kann nur lauten, nicht mit dem Bau von Nord Stream 2 aufzuhören, sondern viel mehr mit dem Ausstoßen leerer Drohungen.  Es ist ein altes diplomatisches Erfolgsrezept, immer nur mit dem zu drohen, was man auch bereit ist umzusetzen.

Der Spielraum für Sanktionen gegenüber Russland ist eng, erfahrene Politiker wissen das. Unter den Pandemiebedingungen ist dieser Spielraum weiter geschrumpft. Das heißt nicht, dass Berlin Moskau nichts entgegenzusetzen hätte, sei es beim Vorgehen gegen die Opposition in Russland, bei Menschenrechtsverletzungen oder Verstößen gegen das Völkerrecht.

In der jüngsten Vergangenheit kann man sich etwa erinnern an die Ausweisung von Diplomaten nach der Vergiftung des ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter in Großbritannien oder sektorale Wirtschaftssanktionen nach dem Abschuss von Flug MH17 über der Ostukraine. Solche Signale versteht Moskau durchaus. Besser jedenfalls als die leeren Drohungen, Nord Stream 2 zu stoppen.