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Drechslerei - ein aussterbendes Handwerk?

1. März 2021

Hans-Peter Schöner ist Drechsler - einer der wenigen, die die alte Handwerkskunst noch professionell betreiben. 100 Betriebe gibt es bundesweit, gerade einmal vier davon bilden noch aus. Der Bremer Betrieb zählt dazu.

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Deutschland | Bremer Drechslerei
Hans-Peter Schöner in seiner WerkstattBild: Godehard Weyerer/DW

In der computergesteuerten Drechselmaschine hat Handwerksmeister Hans-Peter Schöner ein Tischbein für einen Kunden aus Süddeutschland eingespannt. Mit 1500 Umdrehungen pro Minute dreht sich der Rohling um seine eigene Achse. Die Drehmaschine arbeitet millimetergenau. Jede Menge Holzspäne landen in seinen Haaren, auf seiner Arbeitsjacke und seinen Händen.

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GewürzmühleBild: Bremer Drechslerei

80 Prozent der Aufträge, erzählt der 50-jährige, kommen mittlerweile übers Internet. Aus Berlin etwa orderte ein Kunde 1000 Gewürzmühlen, bestehend aus jeweils vier Holzteilen, die auf der Drehmaschine geschnitten und gehobelt werden. Ist das noch handgefertigte Drechslerarbeit? "Die Maschine fertigt vor, aber wir müssen die Teile von Hand nacharbeiten."

Drechslermeister Hans-Peter Schöner nimmt zum Beweis eine fertige Gewürzmühle in die Hand: Die vierkantigen Holzstücke haben sich in eine Kugel mit makelloser Oberfläche verwandelt.

Nur noch wenige Betriebe

Betriebe wie seinen gibt es in Deutschland vielleicht noch 100; vier davon bilden noch aus - insgesamt sind es bundesweit zurzeit gerade einmal neun junge Männer und Frauen, die das Drexler-Handwerk erlernen wollen.

Eine davon ist Takayo Miura, 23 Jahre alte; sie stammt aus Japan und kam vor sechs Jahren nach Deutschland. Takayo soll auf Wunsch eines Kunden Füße für ein altes Sofa nachdrechseln. Sie spannt ein Stück Holz in die Drehbank ein. An der Wand hängen griffbereit die Drechsler-Werkzeuge: Schruppröhre, Drehröhre, Meißel, Abstechstahl. Takayo schaltet die Maschine ein und schruppt erst einmal die Ecken weg. Die Späne fliegen.

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Die Auszubildende Takayo MiuraBild: Godehard Weyerer/DW

Erst Geselle, dann Meister, jetzt selbstständig

Hans-Peter Schöner stammt aus einer Zimmerei und Dachdecker-Familie. 25 Jahre ist es her, dass er seine Prüfung zum Drechsler ablegte. Nach zwei Gesellenjahren in Karlsruhe wechselte er nach Bremen, machte seinen Meister und arbeitete 14 Jahre in einer Drechselei. 2010 wagte er den Sprung in die Selbständigkeit.

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FahrradlenkergriffBild: Bremer Drechslerei

Vorbei an Bohrmaschinen, Sägen, Gehrungstanze und Hobelautomat führt der Weg an ein Hochregal. Hier lagern Bohlen und Bretter; für einen Kubikmeter Buchenholz zahlt der Drechsler sechs bis siebenhundert Euro, für Teakholz mehr als das Zehnfache. Ginge es nach ihm, würde er auch häufiger exotische Hölzer verarbeiten - der schöneren Maserung wegen. "Aber ich muss mich nach dem Kundenwunsch richten und im Allgemeinen haben wir heimische Hölzer, Buche, Eiche, Esche für Treppenstäbe oder Tischbeine."

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EspressotasseBild: Bremer Drechslerei

Nachwuchssorgen? Nicht in der Drechslerei

Takayo, die Auszubildende aus Japan, hat den ersten von vier Sofa-Füßen gedrechselt. Der Chef nimmt das Werkstück in Augenschein. "Ein Stück ist ja schon fertig. Wenn ich mal pingelig sein will, dann würde ich sagen, auf der linken Seite könnte noch etwas weg." Die Auszubildende entschuldigt sich und spannt den Sofa-Fuß noch einmal ein. Im Sommer steht für Takayo die Gesellenprüfung an. Vielleicht macht sie den Meisterbrief, vielleicht kehrt sie zurück in ihre Heimat. Sie weiß es noch nicht.

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HolzschalenBild: Bremer Drechslerei

Nachwuchssorgen? Drechslermeister Schöner winkt ab. Der freie Ausbildungsplatz ist längst wieder besetzt. "Wir haben den Bonus, dass wir einen etwas außergewöhnlichen Beruf haben", erzählt Schöner, "ich hatte schon zwei Auszubildende, die wohnten 200 bis 300 Kilometer weg; die sind extra umgezogen, um diesen Beruf zu erlernen."

Drechsler fertigen Unikate an

Vor zwei Jahren hat Hans-Peter Schöner seine neue Werkstatt bezogen, die alte war zu klein geworden. Die neue Halle bietet genügend Platz auch für größere Aufträge -etwa für das Inventar von Kreuzfahrtschiffen. Zurzeit fertigt er Teakholzrahmen, lackiert mit glänzendem Bootslack. "Letztes Jahr zum Beispiel hatten wir einen Handlauf für die Jacht eines Scheichs; der Handlauf sollte aussehen wie ein geflochtenes Seil. Das kann halt nur ein Drechsler machen!"

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Obst aus HolzBild: Bremer Drechslerei

Drechsler fertigen Unikate an oder hochwertige Exponate in Kleinserie. Einige seiner handwerklichen Highlights hat Schöner in einer Glasvitrine ausgestellt. Bevor er ins Büro geht, wirft er noch einen abschließenden, prüfenden Blick auf die Arbeit der Auszubildenden. Takayo erklärt ihr kleines Missgeschick damit, dass sie den Durchmesser um einen Zentimeter zu groß angesetzt hatte. Der Ausbilder ist nicht nachtragend: "Alles gut. Ich meckere auch nicht."

Stabiler Markt für Holzarbeiten

Im Büro öffnet der Chef die Vitrine. Wasserpfeifengriffe; eine Espresso-Tasse, die bei Harrods in London zum Verkauf angeboten wurde; Vorratsdosen für die Küche, angefertigt aus einem Stück Esche; Fahrradlenkergriffe aus Birkenrinde. Und natürlich fehlt die kugelförmige Gewürzmühle nicht.

Das Licht der Vitrinenbeleuchtung unterstreicht die Finessen des Drechsler-Handwerks. Bereits die alten Ägypter hätten sich darin geübt, erzählt Hans-Peter Schöner. Heute ist er einer der wenigen, die die alte Handwerkskunst hochhalten. Vor der Zukunft ist ihm nicht bange. Für ausgefallene Holzarbeiten gibt es immer Kunden, selbst wenn sie hierfür ein wenig tiefer in die Tasche greifen müssen.