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Golfstrom-Abschwächung bedroht das Klima

6. August 2021

Eine neue PIK-Studie zeigt, dass der Golfstrom sich immer weiter abschwächt. Die Gefahr: Ozeanströmungen könnten sich umkehren und das labile Klima-Gleichgewicht könnte kippen.

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Entstehung der Landbrücke Panama
Der Golfstrom an der Landbrücke zu PanamaBild: cc-by:RedAndr-sa

Daten aus einer Vielzahl verschiedener ozeanografischer Forschungsprojekte deuten darauf hin, dass die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) in den letzten Jahrzehnten dramatisch an Kraft verloren hat. Die neueste Studie dazu ist am 5. August in der Fachzeitschrift Nature Climate Change  erschienen. 

Die AMOC ist auch als Golfstrom bekannt: Eine Meeresströmung, die in höheren Wasserlagen selbst im Winter milde Temperaturen zu den Kanalinseln, nach Irland und Großbritannien, weiter Richtung Niederlande bis nach Westdeutschland und Skandinavien trägt.

"Das Golfstrom-System (…) bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfache des Amazonasstroms", soStefan Rahmstorf zur Bedeutung dieses Klimasystems. Der Forscher vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ist Initiator und Ko-Autor der Studie, die am 25. Februar 2021 in der Fachzeitschrift Nature Geoscience erschienen ist. 

Infografik Karte Golfstrom DEU

Falls die AMOC zum Erliegen kommt, könnte sie auch das zweite dominante nordatlantische Klimaphänomen massiv verändern: Die nordatlantische Tiefwasser-Strömung. Die beginnt etwa dort, wo der milde nordatlantische Ausläufer des Golfstroms endet, nämlich im Eismeer bei Island.

Verstärkt durch Zuflüsse aus dem arktischen Ozean bei Grönland und West-Kanada transportiert sie bisher zuverlässig kaltes und salzarmes Wasser in der Tiefe entlang beider amerikanischen Kontinente bis in den antarktischen Ozean. 

Was passiert, wenn Oberflächen- und Tiefenströmungen sich ändern? 

Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung warnt schon lange, dass ein Kippen des Systems, ausgelöst durch den Klimawandel, unvorhersehbare Auswirkungen auf Natur und Mensch haben könnte. Durch das Abschmelzen grönländischer Gletscher und durch vermehrte Niederschläge wird dem arktischen Ozean Süßwasser zugeführt. Damit sinkt auch weniger des kalten Wassers in die Tiefe – die amerikanische Tiefenströmung verliert an Kraft. 

Bei Konferenz sitzt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut am 12.05.2014 in Erfurt (Thüringen) auf dem Podium.
Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf hat die Proxydaten-Studie angeregt. Bild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Was für ein Klimasystem wird dann das bisherige ersetzen? Was würde eine massive Veränderung der Strömungssysteme, die ja auch Nährstoffe und Sauerstoff transportieren, für die Tier- und Pflanzenwelt der Ozeane bedeuten? Wie würden sich regionale Klimazonen verändern? Wo wird es wärmer, wo kälter, wo feuchter, wo trockener? Können Natur und Mensch sich schnell genug an die Veränderungen anpassen?

All diese Fragen stellen sich die Forscher derzeit. Für die nahe Zukunft vermuten sie folgendes: Entlang der nördlichen US-Küste könnte es häufiger Überschwemmungen geben, und in Europa mehr Extremwetterereignisse.

Schon jetzt beobachten Meteorologen Anzeichen für Veränderungen in bestimmten Jahreszeiten: So führen die Klimaforscher des PIK eine in den letzten Jahren beobachtete Kälteblase im Nordatlantik auf den abgeschwächten Golfstrom zurück.

Daten unter anderem aus Sediment- und Eisbohrkernen

Die neue Studie stützt sich auf sogenannte Proxydaten. Damit sind Daten gemeint, die die Forscher nicht selbst zusammengetragen haben. Stattdessen haben Sie sich bei zahlreichen einzelnen Forschungsprojekten und Quellen bedient, etwa bei Drittstudien über Sediment- und Eisbohrkerne. Aber auch Forschungen an Baumringen, bekannt als Dendrochronologie oder Einträge in alten Schiffslogbüchern haben die Forscher in ihre Betrachtungen einbezogen. So entstand ein Klimaarchiv, das viele Jahrhunderte zusammenfasst. 

Englischer Tee aus Cornwall

Frühere PIK-Studien zeigten bereits eine Verlangsamung der Meeresströmung um etwa 15 Prozent seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Die jetzige Studie unterstreicht einen vermutlichen Zusammenhang mit der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung.

"Wir haben zum ersten Mal eine Reihe von früheren Studien kombiniert und festgestellt, dass sie ein konsistentes Bild der AMOC-Entwicklung über die letzten 1600 Jahre liefern", sagt Rahmstorf. "Die Studienergebnisse legen nahe, dass die AMOC Strömung bis zum späten 19. Jahrhundert relativ stabil war. Mit dem Ende der kleinen Eiszeit um 1850 begann die Meeresströmung schwächer zu werden, wobei seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein zweiter, noch drastischerer Rückgang folgte." 

Geringe Unsicherheiten in den Daten

Einzelne Proxydaten seien zwar bei der Darstellung der AMOC-Entwicklung unvollständig gewesen, erklärt Levke Caesar von der Irish Climate Analysis and Research Units an der Maynooth University, allerdings habe die Kombination von Daten über Temperaturänderungen im Atlantik, die Verteilung der Wassermassen und die Korngrößen der Tiefsee-Sedimente "ein robustes Bild der Umwälzzirkulation" ergeben. 

Dem stimmt die Statistikerin Niamh Cahill von der Maynooth University in Irland zu. Auch nachdem sie mögliche Unsicherheiten in den Proxydaten herausgerechnet hatte, kam die Statistikerin zu dem Ergebnis, dass die Daten "ein konsistentes Bild" liefern. "Die Abschwächung der Strömung ist seit mehr als 1000 Jahren beispiellos", so Cahill. 

Dieser Artikel wurde am 6. August 2021 aus Anlass der Veröffentlichung einer neuen Studie aktualisiert. 

 

Schmidt Fabian Kommentarbild App
Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen