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Glaube

Was ist dir heilig?

5. Juni 2021

Konfirmanden sollen für ihren Unterricht Menschen fragen, was für sie „heilig“ ist. Einer von ihnen bekommt einen Brief von seiner Großmutter. Aus dem Hospiz.

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02.04.2013 DW DEUTSCHLAND HEUTE Hospitz

Zeit zum Nachdenken

Lieber Sebastian

Euer Pfarrer hatte schon eine komische Idee. Interviews zum Thema: Was ist dir heilig?
Er konnte ja nicht wissen, dass ich im Hospiz liege und nicht mehr so viel Zeit zum Nachdenken habe. Obwohl eigentlich habe ich viel Zeit.
Ich muss mir ja nicht mehr um alles Mögliche Sorgen machen. Meine Schmerzen kriege ich mit den Medikamenten gut in den Griff. Und dass ich nicht mehr so springen kann, daran habe ich mich gewöhnt.
Ich muss auch nicht mehr überall mitreden. Wichtig ist mir jetzt nur, dass ich die Tage, die mir  bleiben, ein wenig genießen kann. Trotz der Einschränkungen.
Die Schwestern und Pfleger hier in der Einrichtung geben sich jedenfalls alle Mühe der Welt.
Letztens haben sie mir sogar ein Eis geholt. Mit Sahne und Kirschen – wie ich es mag.
Meine Lieblingsmusik habt Ihr mir von zu Hause mitgebracht. Und Lesestoff habe ich auch genug.
Ich könnte sogar Zigarre rauchen, wenn ich wollte.
Aber ich will ja niemandem zur Last fallen.

 

Unsere Baustellen

Wichtig ist mir auch, dass ich keine Baustellen zurücklasse. Im zwischenmenschlichen Bereich meine ich. Da soll nichts mehr sein zwischen Euch, deinen Eltern und euch Kindern, und mir, was uns die Seele schwer macht.
Weißt du, das Schlimmste ist, wenn dir ständig etwas durch den Kopf geht, weil du dich mit jemandem gestritten hast. So wie vor einem Jahr diese blöde Sache mit deinen Eltern, als ich mir das neue Auto gekauft hatte. Klar bin ich alt. Glücklicherweise haben wir uns bei einem Glas Wein ausgesprochen und versöhnt.
Solche Kleinigkeiten können einem die Lebensfreude vollkommen verderben.

 

Das Leben ist heilig

Um es kurz zu machen mit deiner Frage, beziehungsweise der Frage deines Pfarrers:
Das Leben ist mir heilig. Das Leben möchte ich immer erhalten – egal ob es uns Menschen betrifft oder Tiere und Pflanzen – vom kleinsten Atom bis in die Weiten des Weltalls.
Das klingt großartig, fängt aber im Kleinen an.

Es beginnt in den Beziehungen zu den Menschen, mit denen ich zusammenlebe oder die mir begegnen. Streit und Beleidigungen machen da viel kaputt. Oder gar, dass sich da jemand Schmerzen zufügt. Das ist unheilig. Es bringt Unheil. Es macht traurig, ängstlich oder einsam.
Du brauchst aber ein paar nette Menschen, egal ob aus der Familie oder Freunde, die dich mit den Macken ertragen, die du vielleicht entwickelst. Du selbst musst sie respektieren, damit du auf sie hörst, wenn du mal den Zug verpasst hast. Vitamin B – aber eben nicht aus Eigennutz, sondern als gute Basis für unser Zusammenleben.
Du weißt auch, dass ich es nicht verlernt habe, zu Staunen. Über die Wunder der Natur genauso, wie über die Wunder der Technik. Manchmal kann man sich an scheinbar kleinen Ereignissen ungeheuer freuen.

Zu Alledem habe ich gelernt, an mich selbst zu denken, an die Gesundheit meiner Seele. Ganz viele Menschen halten das für Humbug, aber es ist mir so wichtig, wie alles Andere. Der Mensch braucht ein frohes Herz. Gefühle wie Neid oder Gier braucht keiner. Seelenhygiene – hat unser Pastor immer gesagt – ist genauso wichtig, wie Körperhygiene. Ab und zu mal Duschen und Putzen – und du bist ein anderer Mensch. Recht hat er. Wenn dein Herz froh ist, kommst du auch in schwierigen Situationen besser zurecht.

Aber genug, jetzt freue ich mich erst einmal, dass du bald deine Konfirmation hast, auch wenn ich das wahrscheinlich nicht mehr miterleben kann. Schade, dass das verschoben wurde wegen Covid.
Um so mehr freue ich mich dann auf euren Besuch am Wochenende. 
Bis dahin liebe Grüße und auf das Leben!

Deine Oma Hilde

 

 

Gerhard Richter (Jahrgang 1957) war bis 2019 Referent für die Partnerschaften mit Tansania im Leipziger Missions-werk.
 
Als gelernter Tiefbauer studierte er zuerst Bauwesen, ehe er zur evangelischen Theologie fand. Später war er neben dem Pfarrdienst Landessynodaler in Thüringen und Mitglied im Theologischen Ausschuss der Vereinigten Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD).
1997 entsandte ihn das Evangelisch-Lutherische Missionswerk Leipzig für sieben Jahre in den Distrikt Nordmassai der Arusha-Diözese in der Evangelisch Lutherischen Kirche in Tansania als Missionar.
Von 2004 - 2015 war er Gemeindepfarrer im Dörfchen Bibra im Süden Thüringens, das zur Gemeinde Grabfeld gehört. 2011 wurde er zum 2. Stellvertreter der Superintendentin des Kirchenkreises Meiningen gewählt.

Wie man Menschen neu für den Glauben gewinnen kann, ist allerdings für ihn nicht erst in Afrika zum Thema geworden. Für MDR, Deutschlandradio und Deutsche Welle gestaltet er seit 1993 verschiedene Formate.