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Pedro Castillo: Perus reaktionärer Marxist

Jan D. Walter | Camilo Toledo
16. Juni 2021

Bis vor vier Jahren war Pedro Castillo Grundschullehrer in einem entlegenen Andendorf. Dann wurde er als Anführer eines Lehrerstreiks landesweit bekannt. Nun hat der 51-Jährige die Präsidentenwahl in Peru knapp gewonnen.

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Perus gewählter Präsident Pedro Castillo breitet die Arme aus auf einem mit peruanischer Flagge geschmückten Balkon
Pedro Castillo nach Bekanntgabe der AuszählungBild: Martin Mejia/AP Photo/picture alliance

Das Andendorf Puña besteht aus rund zwei Dutzend Häusern, die zerstreut in einem Netz aus Feldwegen liegen. Die einzige Landstraße, die CA 918, endet hier. Bis 2017 unterrichtete José Pedro Castillo Terrones in Puña Grundschulkinder. Geboren wurde er 1969 im Distrikt Tacabamba. Die Hauptstadt des Departements, Cajamarca, liegt etwa 200 Straßenkilometer entfernt - eine Tagesreise in dieser Gegend.

Als junger Mann engagierte sich Castillo in Rondas Campesinas - Organisationen, in denen sich Bauern zusammenschlossen, um sich im peruanischen Bürgerkrieg gegen Übergriffe von Terrorgruppen zu verteidigen. Der maoistische "Sendero Luminoso" (Leuchtende Pfad)" und das marxistisch-leninistische "Movimiento Revolucionario Túpac Amaru" machten vor allem in den 1980er und -90er Jahren die ländlichen Gegenden Perus unsicher, die von der Staatsmacht völlig vernachlässigt worden waren - und es bis heute nach Ansicht vieler noch heute werden.

Kandidat der extremen Linken

2002 kandidierte er erfolglos für den Bürgermeisterposten in der Distrikt-Hauptstadt Anguía. Auf nationaler Ebene trat er erstmals in Erscheinung, als er einen Lehrerstreik anführte und den damaligen Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski zu weitreichenden Zugeständnissen bewegte, insbesondere zu höheren Gehältern für Lehrer. Nun haben ihn die Peruaner mit hauchdünner Mehrheit zum neuen Präsidenten gewählt. Die Wahlkommission des Landes erklärte ihn mehr als sechs Wochen nach der Wahl zum Sieger. 

Die Bedrohung durch linksradikale Terroristen hat Castillo allerdings nicht dazu bewegen können, sich gegen ihre Denkrichtungen zu wenden. Seine Partei "Peru Libre" hat sich ebenfalls dem Kampf für den Sozialismus verschrieben und bekennt sich klar zur marxistischen Theorie. Und viele in Peru glauben, dass Castillo auch bereit ist, diesem Ziel die Demokratie zu opfern.

Nur Sozialist oder auch Demokrat?

Konservative in Peru erheben solche Vorwürfe gerne gegen politische Gegner des linken Spektrums. Im peruanischen Spanisch gibt es sogar ein Wort für diese Praxis: "terruqueo". Aber bei Castillo kommt sie nicht von ungefähr: Guillermo Bermejo, einem Abgeordneten seiner Partei, wirft die Staatsanwaltschaft Verbindungen zum Leuchtenden Pfad vor. In einem veröffentlichten Gesprächsmitschnitt gab er zu verstehen, dass er von "demokratischem Schnickschnack" nicht viel halte, und sagte: "Eine neue Verfassung ist ein erster Schritt, wenn wir einmal an der Macht sind, lassen wir sie nicht mehr los." Castillo hat sich davon nie deutlich distanziert.

Castillo selbst bezeichnete den venezolanischen Despoten Nicolás Maduro als Demokraten, da es schließlich eine Opposition in dem Land gebe. In demselben Interview kündigte er an, Antaro Humala zu begnadigen. Der Ex-Militär wurde als Anführer eines Putschversuchs gegen Ex-Präsident Alejandro Toledo im Jahr 2005, bei dem vier Polizisten getötet wurden, zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Rütteln an den Grundfesten des Staates

Castillos politisches Programm ist ein Gemisch aus moralischem Konservatismus und wirtschaftlichem Kollektivismus. So hat sich der evangelikale Christ deutlich dagegen ausgesprochen, Abtreibung zu legalisieren und die gleichgeschlechtliche Ehe einzuführen.

Zibilisten und Soldaten vor einem Militärhubschrauber
2015 befreite die peruanische Armee Sklaven der Terrorgruppe "Leuchtender Pfad": 13 Frauen, die vor 25 Jahren entführt wurden, und deren durch Vergewaltigung gezeugte KinderBild: picture-alliance/dpa/L.E. Saldana

Das bisher eher liberale Wirtschaftsmodell des Landes hingegen will er umkrempeln. Den Bergbausektor samt Öl- und Gasförderung will er verstaatlichen und das Rentensystem reformieren. Die Privatwirtschaft solle zum Wohle der Mehrheit der Peruaner arbeiten. Das staatliche Budget für den Agrar- und den Bildungssektor will er aufstocken.

Große Pläne, kleiner Rückhalt

Doch damit nicht genug: Pedro Castillo hat tiefgreifende Reformen im politischen System angekündigt. So will er das Verfassungsgericht "deaktivieren", um es künftig direkt vom Volk statt vom Parlament wählen zu lassen. Zudem hat er die Idee vorgetragen, von einer Konstituante eine ganz neue Verfassung schreiben zu lassen.

Castillo-Unterstützer mit Plakat: "Nie wieder Fujimori"
Castillo hat von den Gegner Keiko Fujimoris, der Tochter des einstigen Autokraten Alberto Fujimori profitiertBild: Martin Mejia/AP/picture alliance

Wie viel er von diesen Plänen tatsächlich umsetzen kann, ist allerdings fraglich. Denn weder im Volk noch im Parlament kann er auf breite Unterstützung hoffen.  In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen hatte er knapp 19 Prozent der Stimmen erhalten. Und auch in der Stichwahl hat praktisch die Hälfte der Wähler gegen ihn gestimmt: Mit 50,125 Prozent gewann er das Präsidentenamt nur mit einem Vorsprung von 44.058 Stimmen gegenüber der rechtspopulistischen Kandidatin Keiko Fujimori, für die 49,875 Prozent der Wähler stimmten.

Castillo kündigte an, nun habe eine neue Zeit in Peru begonnen. "Meine Regierung wird eine für die gesamte Bürgerschaft sein", versprach er. Gegenspielerin Fujimori besteht noch darauf, dass nicht alle Stimmen ausgezählt seien und weigert sich bislang die Niederlage zu akzeptieren.

Im Parlament, dem einzigen Legislativorgan der Republik, stellt Castillos Partei zwar die größte Fraktion, hat aber auch nur 37 von 130 Sitzen, sprich: weniger als 30 Prozent. Mehr als die Hälfte der Sitze haben Abgeordnete aus wirtschaftsliberalen und konservativen Parteien inne. "Bevor er die Macht übernimmt, muss Castillo erst einmal Übereinkünfte schließen", sagt der peruanische Politikanalyst Gonzalo Banda. "Wenn er eine Reformregierung bilden will, geht das nicht gegen den Willen des Parlaments."

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.