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Gesellschaft

Der schwierige Weg zum Wunschkind

Sonia Phalnikar Paris
29. Juni 2021

Bislang gilt in Frankreich: Mann, Frau und dann ein Kind. Wer nicht in dieses Schema passt, hat es schwer Nachwuchs zu bekommen. Doch das soll sich ändern. Das Gesetz zur künstlichen Befruchtung wird liberalisiert.

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Schwangere in einer Geburtsklinik in Thionville
Schwangere in einer Geburtsklinik in Thionville: Strengste Reproduktionsgesetze in WesteuropaBild: Pierre Heckler/Photopqr/Le Republicain Lorrain/picture alliance

Als Bénédicte Blanchet beschloss, ein Kind zu bekommen, ohne auf den richtigen Mann zu warten, hatte sie keine Ahnung, was auf sie zukommen würde. Die heute 40-Jährige, die in einem Vorort von Paris lebt, musste einen kostspieligen Hindernislauf hinter sich bringen, um sich ihren Wunsch zu erfüllen.

Die französischen Reproduktionsgesetze gehören zu den strengsten in Westeuropa: Nur heterosexuelle Paare, die verheiratet sind oder seit mindestens zwei Jahren zusammenleben und Schwierigkeiten haben, ein Kind zu zeugen, dürfen sich medizinische Unterstützung holen. Zum Beispiel durch Samenspenden oder In-vitro-Fertilisation (IVF), also die Zeugung im Reagenzglas.

"Es ist wirklich schwierig", sagt Blanchet. Da es nicht legal sei, müssten alleinstehende Frauen Berge versetzen, um ein Kind auf die Welt zu bringen, so die freiberufliche Projektmanagerin: "Es ist unfair und diskriminierend."

Das Ausland als Ausweg

Bénédicte Blanchet musste einen Gynäkologen finden, der bereit war, ihr Medikamente zur Steigerung der Fruchtbarkeit zu verschreiben - in Frankreich eine rechtliche Grauzone. Dazu musste sie auch noch behaupten, einen Mann oder Lebensgefährten zu haben.

Anschließend reiste Blanchet nach Dänemark, um sich dort zweimal künstlich befruchten zu lassen - leider ohne schwanger zu werden. Nächster Versuch: Eine Klinik in Portugal, die sich auf In-vitro-Fertilisation spezialisiert hat - was dort aber nur mit Sperma eines anonymen Spenders möglich war, was die Französin eigentlich nicht wollte. 15.000 Euro kostete die Behandlung, wofür Blanchet einen Kredit aufnehmen musste.

Frankreich | Aktivistin Bénédicte Blanchet mit ihrem Sohn Esteban
Mutter Blanchet mit ihrem Sohn Esteban: "Unfair und diskriminierend"Bild: Sonia Phalnikar/DW

Immerhin klappte diesmal alles. Sie wurde in Portugal schwanger und brachte einen kleinen Jungen zur Welt: Esteban. Das war vor fast drei Jahren. "Ein Kind zu haben, dafür hat sich all die Mühsal aber gelohnt", resümiert Blanchet, die nach eigenen Angaben mit ihrem kleinen Sohn offen darüber spricht, wie er gezeugt wurde.

"Aber es ist immer noch schwer", so die 40-Jährige. Ständig werde einem unter die Nase gerieben, dass ein Kind eine Mutter und einen Vater haben muss. Doch das sei falsch. Ihre kleine Zweierfamilie sei genauso daseinsberechtigt wie jede andere: "Es ist nur eine andere Art von Familie."

Ein riskanter Alleingang

Wie Blanchet haben Tausende alleinstehende sowie lesbische Frauen in Frankreich bislang keine legale Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung. Gynäkologen riskieren Gefängnis und Strafen, wenn sie ihnen per Insemination oder IVF helfen.

Französinnen, die es sich nicht leisten können, für ihren unerfüllten Kinderwunsch ins Ausland zu gehen, versuchen oftmals, über obskure Internetplattformen Samenspender zu finden - was gleich mehrere Risiken birgt: Das Sperma wird nicht auf Krankheiten untersucht, der Spender könnte später die Vaterschaft oder sogar das Sorgerecht für sich beanspruchen und auch von sexueller Belästigung ist die Rede. Manche Frauen berichten, dass einige Männer in den Online-Foren auf eine "natürliche Samenspende" bestehen, also auf Sex.

Weiterer Schwierigkeitsgrad: Bei lesbischen Paaren wird nur eine der beiden Frauen nach der Geburt rechtlich als Elternteil anerkannt. Die andere muss das Kind in einem langwierigen Verfahren erst adoptieren.

Frankreich will den Kurs ändern

Das alles wird sich nun wohl ändern. Nach jahrelangen Debatten steht an diesem Dienstag in der Nationalversammlung in Paris ein neues Bioethik-Gesetz zur Abstimmung. Dadurch würden künftig die Krankenkassen künstliche Befruchtungen bei allen Frauen unter 43 Jahren erlauben - unabhängig von ihrem Familienstand und ihrer sexuellen Orientierung.

Frankreich | Demo in Paris für die Liberalisierung der Gesetzgebung zur künstlichen Befruchtung (09.06.2021)
Demo in Paris (am 9. Juni): "Künstliche Befruchtung für alle"Bild: Sonia Phalnikar/DW

"Ich bin lesbisch und ich bin begeistert, dass dieser Gesetzesentwurf uns endlich eine gewisse Gleichstellung mit heterosexuellen Menschen gewährt", sagte Natalie, die ihren vollen Namen nicht nennen wollte, kürzlich auf einer Demonstration von LGBTQ-Gruppen in Paris. "Mein Traum ist es, ein eigenes Kind zu haben, und bisher war das unerreichbar, weil ich nicht reich genug bin, um ins Ausland zu gehen und eine IVF zu machen."

Andere sagen, das Gesetz, ein Wahlkampfversprechen von Präsident Emmanuel Macron, sei längst überfällig und bringe Frankreich endlich auf eine Linie mit einigen seiner europäischen Nachbarn. "Wir sind in dieser Frage sehr spät und realitätsfremd", so Danièle Obono, Abgeordnete der linken Oppositionspartei La France Insoumise. Die Regierung schätzt, dass bereits ein Viertel aller französischen Familien von einem alleinerziehenden Elternteil geführt wird, fast immer von der Mutter.

"Frankreich hätte dieses Gesetz schon viel früher verabschieden sollen, als die Homo-Ehe 2013 legalisiert wurde. Das waren auch die Forderungen der LGBTQ-Bewegung", sagt Obono. Damals führten monatelange, teils gewalttätige Massenproteste von konservativen Gegnern der gleichgeschlechtlichen Ehe und von katholischen Gruppen dazu, dass die Regierung unter Präsident François Hollande eine Liberalisierung in der Kinderfrage ausbremste.

Oppositionspolitikerin Danièle Obono
Oppositionspolitikerin Obono: "Es bleibt ein bitterer Beigeschmack"Bild: Ait Adjedjou Karim/Avenir Pictures/Abaca/picture alliance

Die neue Regierung unter Emmanuel Macron habe in dieser Sache mehr Entschlossenheit gezeigt, so Obono - und das trotz der Proteste konservativer Gruppen. Aus Sicht der Oppositionspolitikerin reicht auch das neue Gesetz nicht aus, denn es gibt weiterhin Einschränkungen: "Obwohl es ein bedeutender Moment ist, bleibt ein bitterer Beigeschmack, weil die Regierung in dem Gesetzentwurf Transgender-Personen vom Zugang zu medizinisch unterstützter Fortpflanzung ausgeschlossen hat." Der Weg zu Gleichberechtigung für alle sei noch weit.

Mangel an Samenspendern

Keine Frage: Wenn das Gesetz in Kraft tritt, wird wohl die Zahl der künstlichen Befruchtungen in Frankreich deutlich steigen: Die Regierung geht davon aus, dass sich dann jährlich zusätzliche 2000 Frauen für eine IVF-Behandlung entscheiden. Das größte Hindernis für sie wird wahrscheinlich der Mangel an Samenspendern sein. Momentan müssen selbst heterosexuelle Paare lange warten, manchmal über ein Jahr, bevor sie eine IVF-Behandlung durchführen können.

Der Gesetzesentwurf würde auch die Anonymität für Samenspender beenden. Im Reagenzglas gezeugte Kinder haben künftig - wenn sie volljährig werden - das Recht zu erfahren, wer ihr biologischer Vater ist. Viele glauben, dass dies das Problem in Frankreichs Samenbanken weiter verschärfen könnte. Das Gleiche gilt für Eispenderinnen.

"Wir prognostizieren zumindest einen kurzfristigen Rückgang der Ei- und Samenzellenspender, da einige registrierte männliche und weibliche Spender den Kliniken die Verwendung ihres Spermas und ihrer Eizellen verweigern könnten, weil sie ihre Identität nicht preisgeben wollen", sagt Nicolas Faget, der Sprecher von APGL, einer Gruppe, die homosexuelle Eltern vertritt. Es sei schwierig vorherzusagen, wie lange es einen Spendermangel geben wird. Neue Spender müssten ja erst angeworben werden, so Faget. "Es wird eine völlig neue Situation sein."

Bénédicte Blanchet, die alleinerziehende Mutter aus einem Vorort von Paris, hätte viel Geld und Nerven sparen können, wenn die Neuregelung früher gekommen wäre. Trotz aller Unwägbarkeiten sei die Gesetzesnovelle ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die 40-Jährige engagiert sich ehrenamtlich bei "Mam'en Solo", einer Organisation, die sich für die Rechte alleinerziehender Mütter einsetzt. Das Wichtigste sei, dass nun alle Frauen die Möglichkeit hätten, selbst zu entscheiden, ob sie schwanger werden und auf welche Weise sie das Kind bekommen wollen: "Es geht darum, ihre individuelle Wahl zu respektieren", so Blanchet.

Adaptiert aus dem Englischen von Arnd Riekmann.