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Ukraine: Vom Gastransitland zum Wasserstoffexporteur

Kommentarbild Oliver Rolofs
Oliver Rolofs
25. August 2021

Die politisch hoch umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 steht kurz vor ihrer Fertigstellung. Für die Ukraine könnte dies auch eine Chance sein, meint unser Gastautor Oliver Rolofs.

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USA/Deutschland Sanktionen gegen Nord Stream 2
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Die Fertigstellung der Ostseepipeline Nord Stream 2 und die ehrgeizigen Klimaziele der Europäischen Union bieten der Ukraine die Chance, ihre Energieabhängigkeit von Russland zu verringern und ihre eigene Souveränität als Energieexporteur in der Zukunft zu stärken.

Ein großes Fragezeichen bleibt: Werden die Vereinigten Staaten in der Lage sein zu verhindern, dass Nord Stream 2 als geopolitische Waffe gegen die Ukraine eingesetzt wird? Die Sanktionen gegen Moskau, die Berlin und Washington für diesen Fall androhen, haben den Kreml kaum beeindruckt.

Derweil verknappen sich Europas Gasreserven immer weiter. Österreichs Erdgasspeicher beispielsweise sind so leer wie noch nie. Nach Angaben der Energieagentur des Landes sind sie derzeit nur noch zu 30 Prozent gefüllt, was einem Rückgang um ein Drittel entspricht. Auch in Deutschland liegen die Gasvorräte derzeit deutlich unter dem Normalwert. Das liegt unter anderem an der hohen Nachfrage aus Asien und den rückläufigen Lieferungen von Flüssigerdgas (LNG), die mit starken Preissteigerungen verbunden sind.

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Oliver RolofsBild: Privat

Von Risiken und Chancen

Auch eine künstliche Verknappung hat den Gaspreis in die Höhe getrieben. Dabei spielt vor allem Nord Stream 2 eine Rolle. Nach Angaben des Betreibers ist die Pipeline zu 99 Prozent fertig gestellt. Die ersten Lieferungen über die Ostsee nach Deutschland könnten im Oktober über den ersten Strang der Pipeline erfolgen. Obwohl die Leitung noch nicht in Betrieb ist, lässt Gazprom den konventionellen Transit durch die Ukraine bereits austrocknen.

Der deutsch-amerikanische Deal bringt für die Ukraine trotz abgegebener politischer Garantien Risiken, die sich schon jetzt beim Gastransit bemerkbar machen - aber auch Chancen, eine eigene Energiewende voranzutreiben und die Souveränität und Zukunftsfähigkeit des Landes zu stärken.

Für die Ukraine wird die Fertigstellung von Nord Stream 2 eine unvermeidliche Modernisierung beschleunigen. Die ehrgeizigen Pläne der Europäischen Union, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, werden zu weniger Erdgasimporten aus Russland führen. Der Klimawandel schafft neue geopolitische Realitäten, die Russland im Laufe der Zeit lukrative Einnahmequellen sowie seine wichtigsten Macht- und Einflussmittel kosten werden.

Nord Steam 2 Bauarbeiten
Jetzt fertiggestellt: An der Anlandestation Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) kommt das Erdgas an. Bild: Walter Graupner/Nord Stream 2

Wichtige Brückentechnologie

Dennoch ist Erdgas insbesondere für Europa eine wichtige Übergangs- oder Brückentechnologie, um das Ziel einer klimaneutralen Energiewende mit neuen Energieträgern wie Wasserstoff zu beschleunigen. Angesichts der schwierigen Beziehungen Europas zu Russland rückt ein neuer und attraktiver Exporteur in den Vordergrund: die Ukraine.

Das Land ist bisher nicht nur eines der größten Transitländer für Erdgas, sondern verfügt auch über bedeutende Erdgasreserven, die zweitgrößten in Europa. Bislang deckt die Ukraine ein Drittel ihres jährlichen Erdgasverbrauchs von 30 Milliarden Kubikmetern durch Importe ab. Das heimische Förderdefizit von zehn Milliarden Kubikmetern wird durch Importe aus der EU gedeckt, da die staatliche ukrainische Gasgesellschaft Naftogaz seit 2015 keine Lieferungen mehr aus Russland erhält.

Dennoch hat die Ukraine derzeit europaweit die größten Wachstumschancen in der Erdgasproduktion: Um den eigenen Energiebedarf zu decken und sich auf dem Exportmarkt zu profilieren, hat Naftogaz kürzlich neue Lizenzen zur Steigerung der Fördermenge erworben. Dazu gehören dreißigjährige Exklusivrechte an einem 30.000 Quadratkilometer großen Gebiet mit Erdgasvorkommen im nördlichen Schwarzen Meer.

Nord Stream 2 l Russisches Verlegeschiff "Fortuna", Wismar
Auf See fehlen nur noch wenige der insgesamt 1200 Kilometer Leitung. Bild: Jens Buettner/AP/picture alliance

Eine Milliarde Dollar sollen helfen

Europa sollte dies zur Kenntnis nehmen. Indem die EU die Souveränität und Energiesicherheit der Ukraine unterstützt, ebnet sie auch den Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Was hindert die EU-Mitgliedstaaten daran, ihre Wasserstoffstrategien auf neue Partner im Osten auszuweiten? Zunächst einmal könnte sich der Import von "blauem" Wasserstoff als wertvolle Brückenlösung für die eigene Energie- und Mobilitätswende erweisen. Er hat auch einen Vorteil gegenüber "grünem" Wasserstoff, der mangels ausreichender Windparks und Sonneneinstrahlung (noch) nicht in großen Mengen klimaneutral produziert werden kann.

Beim blauen Wasserstoff wird das entstehende CO2 abgetrennt und unterirdisch gespeichert. Um eine Brückenfunktion für CO2-armen Wasserstoff für Europa zu übernehmen, bietet die Ukraine bereits jetzt die entsprechenden Erdgaskapazitäten und ein für den Wasserstofftransport ausbaufähiges Pipelinenetz sowie das drittgrößte Speichergebiet für CO2 in Europa.

Bei der Ankündigung des Nord Stream 2-Abkommens betonten Deutschland und die Vereinigten Staaten, dass sie die Energiewende in Schwellenländern wie der Ukraine ernsthaft unterstützen wollen. Die Pläne zur Einrichtung eines ukrainischen Grünen Fonds zur Förderung von Energieeffizienz und Energiesicherheit sind ein willkommener erster Schritt. Deutschland hat zugesagt, mindestens 175 Millionen Dollar als Zuschuss zu diesem Fonds beizusteuern und bilaterale Energieprojekte mit der Ukraine zu unterstützen. Gemeinsam haben sich die USA und Deutschland verpflichtet, insgesamt eine Milliarde Dollar für den Fonds aufzubringen, wobei die Förderung von Investitionen des Privatsektors in die grüne Energiezukunft der Ukraine als vorrangig gilt.

Dies sollte jedoch nur der Anfang sein. Investitionen in die ukrainische Energieinfrastruktur werden sich vor diesem Hintergrund als eine Win-Win-Situation erweisen - für die Ukraine und für Europa. Der Klimawandel und der wachsende Bedarf an Wasserstoff in Europa haben das Potenzial, die geopolitische Situation auf dem Kontinent zu verändern. Europa sollte sich diese Chance nicht entgehen lassen.

Oliver Rolofs ist Sicherheitsexperte und war langjähriger Kommunikationschef der Münchner Sicherheitskonferenz, wo er das Programm für Energiesicherheit aufbaute.