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Chinas Immobilien-Riese Evergrande wankt

14. September 2021

Der hoch verschuldete Baukonzern warnt vor Zahlungsschwierigkeiten. Vor der Unternehmenszentrale protestieren Menschen. Eine Pleite könnte das gesamte Finanzsystem belasten.

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Jiangsu, China | Evergrande real estate company
Eines von vielen Evergrande-Projekten: Wohnanlage in der Millionenstadt Huai'an in der Provinz Jiangsu in Westchina Bild: He Jinghua/ZUMA/picture alliance

Das Beben, das sich derzeit auf dem chinesischen Immobiliensektor ankündigt, könnte gewaltig werden. Evergrande, derzeit der zweitgrößte Baukonzern des Landes, hat eingeräumt, unter "enormem Druck" zu stehen.

Schon am Montag hatten sich vor dem Firmensitz in Shenzhen verärgerte Anleger versammelt und ihr Geld zurückgefordert. Auch am Dienstag protestierten dort rund 60 Menschen. Die Polizei blockierte den Zugang zu dem Gebäude.

Kunden fürchten, dass ihre im Voraus bezahlten Wohnungen niemals gebaut werden. Lieferanten und Subunternehmen klagen über nicht bezahlte Rechnungen.

Zahlungsausfall möglich

Am Montag hatte Evergrande noch versichert, es bestehe keine Gefahr, dass das Unternehmen in Konkurs gehe.

Doch am Dienstag erklärte der Konzern in einer Mitteilung an die Börse in Hongkong, er habe Finanzberater eingestellt, die "alle machbaren Lösungen" prüfen sollten, um den gewaltigen Schuldenberg abzutragen.

Laut  Geschäftsbericht 2020 beliefen sich die Schulden bei internationalen Kapitalgebern zum Jahresende auf umgerechnet knapp 100 Milliarden Euro (715 Mrd. Yuan). Erklärtes Ziel des Unternehmens ist es, diese Summe bis Sommer 2023 zu halbieren.

Die an den internationalen Kapitalmärkten aufgenommenen Schulden machen rund ein Drittel der gesamten Schuldenlast von 2000 Milliarden Yuan (263 Mrd. Euro) aus, der Rest sind Verbindlichkeiten bei chinesischen Geldgebern, darunter auch Vorauszahlungen für Wohnungen. 

China Schanghai Evergrande Proteste
Vor der Evergrande-Zentrale in Shenzhen machten einige Menschen auch am 14. September 2021 ihrem Ärger LuftBild: Noel Celis/AFP

Bei Gesprächen mit potenziellen Investoren, um einige Vermögenswerte zu veräußern, habe es bisher keine "wesentlichen Fortschritte" gegeben. Es gebe daher keine Garantie, dass Evergrande all seinen finanziellen Verpflichtungen werde nachkommen können, warnte der Konzern.

Das Unternehmen machte "anhaltende negative Medienberichte" für die Beeinträchtigung des Anlegervertrauens verantwortlich, was zu einem weiteren Umsatzrückgang im September führe - einem für Immobilienverkäufe in China normalerweise besonders umsatzstarken Monat.

Die Evergrande-Aktien gaben am Dienstag um elf Prozent nach. Seit Jahresbeginn haben sie 80 Prozent ihres Wertes verloren.

Aggressiv gewachsen

Die 1996 gegründete Firma ist durch den chinesischen Immobilienboom groß geworden und hat jahrelang aggressiv expandiert. Ihr Chef und Gründer Xu Jiayin (auf Kantonesisch Hui Ka Yan) galt zwischenzeitlich als der reichste Mann Chinas.

Wuhan, China | Xu Jiayin (Hui Ka Yan) | Chairman of Evergrande Group
Xu Jiayin (Hui Ka Yan) gründete Evergrande im Alter von 38 Jahren. 2009 brachte er die Firma in Hongkong an die Börse und wurde zu einem der reichsten Männer des LandesBild: Sun Xinming/dpa/picture alliance

Neben der Immobilienbranche ist Evergrande auch in den Sektoren Tourismus, Internet, Digitalwirtschaft, Versicherungen und Freizeitparks tätige. Zudem gehört ihm der Fußballclub Guangzhou FC in Kanton, der seit 2011 ununterbrochen die Meisterschaft gewinnen konnte.

Mit der Gründung von Evergrande Auto im Jahr 2019 wollte sich der Konzern ein neues Geschäftsfeld erschließen und kündigte an, bis 2025 zum größten Elektroautobauer der Welt werden zu wollen. Bis heute hat das Unternehmen allerdings noch kein Fahrzeug verkauft.

Gescheitert an neuen Regeln

Evergrandes Probleme begannen spätestens im August 2020. Damals erließ Chinas Zentralregierung neue Regeln für Baukonzerne mit dem Ziel, die hohe Verschuldung in der Branche zu senken. Dazu gehörte die Einführung von Kriterien zur Messung des Verschuldungsgrades ("drei rote Linien"). Evergrande gelang es bisher nicht, die Regeln einzuhalten, was den Aktienkurs sinken ließ.

Im Juni dann war Evergrande mit Zinszahlungen für Anleihen in Verzug geraten. Als die Ratingagenturen Moody's, Fitch und China Chengxin International (CCXI) ihre Bonitätsnoten herunterstuften, nahm der Druck auf den Konzern weiter zu.

Vor rund zwei Wochen warnte Evergrande dann erstmals selbst vor Liquiditäts- und Ausfallrisiken, falls es nicht gelingen sollte, die Bautätigkeit wieder aufzunehmen, Beteiligungen zu verkaufen und Kredite zu erneuern.

Nach Schätzungen der Wirtschaftsberatung Capital Economics muss Evergrande Stand Ende Juni rund 1,4 Millionen Häuser und Wohnungen fertigstellen, für die es umgerechnet rund 200 Milliarden US-Dollar an Vorauszahlungen erhalten hat.

Gefahr für Partei und Finanzsystem

Und es gibt Sorgen, dass die Probleme bei Evergrande auf andere Baufirmen überspringen. Das Volumen des chinesischen Immobiliensektor, der seit den 1990er Jahren enorm gewachsen ist, beträgt inzwischen mehr als ein Viertel der chinesischen Wirtschaftsleistung.

China 100. Jahrestag der Kommunistischen Partei
Ein Bankrott von Evergrande wäre auch für Staats- und Parteichef Xi Jinping ein Problem Bild: Li Xueren/XinHua/dpa/picture alliance

"Der Bankrott von Evergrande wäre die größte Belastung für Chinas Finanzsystem seit Jahren", sagte Mark Williams, Chefvolkswirt für Asien bei Capital Economics, der Nachrichtenagentur AFP.

Williams sagt, er könne an den Finanzmärkten noch keine Anzeichen großer Nervosität erkennen und glaubt, dass eine Umschuldung bei Evergrande und ein Verkauf unvollendeter Immobilienprojekte an andere Entwicklung derzeit das "wahrscheinlichste Szenario" sei.

Eine zentrale Frage ist auch, welche Rolle Chinas Zentralregierung bei einer drohenden Pleite spielt. Denn neben wirtschaftlichen Auswirkungen wäre ein Bankrott auch gefährlich für die soziale Stabilität, die sich die Führung der Kommunistischen Partei auf die Fahnen schreibt. Schon die Bilder protestierender Wohnungskäufer vor der Evergrande-Zentrale dürften in Peking für Unmut gesorgt haben.


Anm. d. Red: Der Artikel wurde aktualisiert um die Herkunft der Schulden des Unternehmens genauer aufzuschlüsseln.

bea/hb (mit reuters, afp, Archiv)