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Politik

Erdogan kämpft um den Machterhalt

Erkan Arikan Kommentarbild App
Erkan Arikan
24. Oktober 2021

Der türkische Präsident will zehn Botschafter ausweisen, weil sie sich für die Freilassung von Osman Kavala eingesetzt haben. Damit lenkt Erdogan erneut von innenpolitischen Problemen ab, findet Erkan Arikan.

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Recep Tayyip Erdogan mit erhobenem Zeigefinger
Weist die Botschafter zurecht: der türkische Präsident mit erhobenem ZeigefingerBild: Murat Cetinmuhurdar/Turkish Presidency/AA/picture alliance

Jedes Mal, wenn es wieder ein Problem in der türkischen Wirtschaft gibt, jedes Mal, wenn die Türkei aus welchen Gründen auch immer in den Schlagzeilen ist, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine völlig unbegreifliche Reaktion des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan folgt. So zuletzt bei einer Veranstaltung in der Westtürkei. Dort verkündete er, er habe das Außenministerium damit beauftragt, zehn Botschafter ausweisen zu lassen, die sich für die Freilassung des Philanthropen Osman Kavala ausgesprochen hatten.

Erkan Arikan
Erkan Arikan, Leiter der türkischen Redaktion der DWBild: DW/B. Scheid

Es ist offensichtlich, dass Erdogan den Konflikt mit dem Westen nicht nur liebt, sondern auch braucht. Denn warum sollte er sich sonst mit seinen wichtigsten NATO-Partnern USA, Frankreich und vor allem Deutschland anlegen. Das Tragische an dem Verhältnis mit Deutschland ist, dass gerade vor nicht einmal einer Woche die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in Istanbul sich fast nur lobend über das deutsch-türkische Verhältnis geäußert hat. Die Lobeshymnen blieben nur Lippenbekenntnisse, auch von Erdogan.

Strategie der Ablenkung: Der Westen ist immer schuld

Es ist erneut ein probates Mittel, das der türkische Präsident wieder einmal anwendet. Die letzten Umfrageergebnisse zeigen, dass Erdogans Partei AKP massiv an Unterstützung verloren hat. Nur knapp 30 Prozent würden ihre Stimme dem türkischen Präsidenten geben. Darauf reagierte Erdogan mit wüsten Beschimpfungen gegenüber den Oppositionsparteien.

Am vergangenen Donnerstag wurde dann offiziell bekannt, dass die FATF, die internationale Taskforce gegen Geldwäsche, Ankara unter verschärfte Beobachtung stellt. Diese Entscheidung wurde in der Istanbuler Börse mit leichten Kursschwankungen aufgenommen. Als dann aber die türkische Zentralbank ein weiteres Mal völlig unvermittelt und überraschend den Leitzins senkte, brachen die Devisenkurse ein. Die türkische Währung verzeichnete einen Verfall, den sie seit Jahrzehnten nicht mehr hatte.

Das zeigt erneut, je stärker der innenpolitische Druck auf Erdogan lastet, desto heftiger seine Reaktion, immer gegen den Westen. Und so kam es ihm gerade recht, dass sich die zehn Botschafter mit ihrem Appell an die Türkei richteten.

Der starke Mann und seine verzweifelte Lage

Es ist nicht das erste Mal, das Erdogan sich mit dem Westen anlegt. Doch diesmal hat er meiner Ansicht nach den Bogen richtig überspannt. Nachdem Osman Kavala wegen fadenscheiniger Vorwürfe vor über vier Jahren ins Gefängnis musste, warf man ihm die Unterstützung der 2013 stattgefundenen Gezi-Proteste vor. Ein Gericht sprach ihn davon frei, doch wenige Stunden später verurteilte ihn ein anderes Gericht dazu, Drahtzieher des versuchten Putsches von 2016 zu sein. Das auch dieser Vorwurf mehr als nur an den Haaren herbeigezogen ist, ist mehr als nur offensichtlich.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte entschieden, dass für die weitere Inhaftierung Kavalas keine Gründe vorlägen und forderte seine sofort Freilassung. Erdogan hatte dies abgelehnt, weshalb auch die Türkischen Gerichte bei ihrer Entscheidung blieben. Es bestätigt wieder einmal, dass die Gerichte nur auf Anweisung des Präsidenten Urteile fällen. Von unabhängiger Justiz, die Erdogan immer wieder anspricht, kann hier wahrlich keine Rede sein.

Junge Wähler wenden sich von ihm ab

Es ist besonders bezeichnend, dass sich die jungen Menschen, unter 25 Jahren, eher für andere Parteien als die des Präsidenten entscheiden würden. Die Arbeitslosigkeit steigt, die in der Türkei lebenden Flüchtlinge werden mittlerweile als Bedrohung angesehen, und ein sichtlich auch gesundheitlich angeschlagener Präsident wird auch nicht mehr als einstiger Held gesehen.

In der näheren Zukunft stellen sich der Türkei zwei wichtige Fragen: Können die Oppositionsparteien ihre Einigkeit bis zu den geplanten Präsidentschaftswahl 2023 beibehalten? Wenn ja, wird es Erdogan mehr als nur schwer haben, wieder gewählt zu werden. Wenn sich allerdings die Opposition spaltet, spielt das in Erdogans Hände. Was auch immer die Zukunft bringt, in der Gegenwart hat der türkische Präsident noch alle Hände voll zu tun, die westlichen Verbündeten nicht noch mehr zu verärgern.