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PolitikEuropa

Lukaschenko droht der EU mit dem Gashahn

11. November 2021

Keine Entspannung zwischen der EU und Belarus. Beide Seiten überziehen sich mit Sanktionsdrohungen, selbst "militärische Zwischenfälle" scheinen nicht unmöglich. Und zwischen den Fronten sitzen hilflose Menschen fest.

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Weißrussland Nsvizh | Gasanlage
Belarussische Arbeiter an der Jamal-Europa-Pipeline, die russisches Gas nach Westeuropa pumptBild: Vasily Fedosenko/REUTERS

Der Konflikt um die Migranten und Flüchtlinge an der belarussischen Grenze zur EU weitet sich aus. Angesichts neuer Sanktionsankündigungen der Europäischen Union reagiert der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko scharf - und droht mit einem Stopp der Gaslieferungen nach Europa. Damit würde, nach dem massiven Gaspreis-Anstieg in letzter Zeit, die EU an einer durchaus empfindlichen Stelle getroffen.

"Wenn sie neue Sanktionen gegen uns verhängen, müssen wir reagieren", sagte Lukaschenko. "Wir wärmen Europa und sie drohen uns? Was, wenn wir die Gaslieferungen unterbrechen?" Durch Belarus führt die Jamal-Europa-Pipeline, die russisches Gas nach Europa bringt. Die Rohrleitung, die allein dem russischen Energiekonzern Gazprom gehört, hat eine Leistung von knapp 33 Milliarden Kubikmetern Gas jährlich. Zum Vergleich: Die Gaspipelines Nord Stream und Nord Stream 2 sollen eine Gesamtkapazität von 55 Milliarden Kubikmetern Gas aus Russland jährlich erreichen.

Belarus Präsident Alexander Lukaschenko
Machthaber Alexander Lukaschenko gilt als "letzter Diktator" in Europa Bild: Maxim Guchek/BelTA Pool Photo via AP/picture alliance

"Ernste Gefahr für die europäische Sicherheit"

Betroffen von dem Streit über Migranten an der Grenze ist insbesondere Polen, aber auch Litauen, Estland und Lettland. Die drei baltischen EU-Staaten warnen vor einer "ernsten Gefahr für die europäische Sicherheit". Weitere Provokationen von belarussischer Seite und gravierende Zwischenfälle könnten sich auch bis "in den militärischen Bereich hinein" zuspitzen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Verteidigungsminister.

Polen hat 15.000 Soldaten an der mit Stacheldraht gesicherten Grenze stationiert. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der Lukaschenko bereits "Staatsterrorismus" vorgeworfen hatte, spricht inzwischen von "einer neuen Art von Krieg", bei der "Zivilisten als Munition" eingesetzt würden. Lukaschenko wirft Polen dagegen ein gewaltsames Zurückdrängen und die Misshandlung von Migranten vor.

Keine humanitäre Hilfe an der Grenze

Nach wie vor lässt Polen keine unabhängigen Journalisten und auch keine humanitären Organisationen in den Sperrstreifen an der Grenze. "Wir wiederholen unsere Aufrufe, humanitären Organisationen Zugang zu den Menschen in den Grenzregionen zu verschaffen, um Hilfe zu leisten", mahnte eine Sprecherin der Europäischen Kommission.

Männer, Frauen und Kinder an der Grenze zwischen Belarus und Polen
Tausende Menschen harren an der belarussischen Grenze zu Polen ausBild: Belarus State Border Committee/Tass/imago images

Lange hatte Warschau auch gezögert, die EU um Unterstützung im Kampf gegen Schleuseraktivitäten zu bitten. Auf Anfrage Polens würden jetzt aber Experten des Europol-Zentrums zur Bekämpfung der Migrantenschleusung eingesetzt, sagte die Kommissionssprecherin. Sie sagte aber nicht, wie und wo.

Wachsende Nervosität in Kiew - Beratungen in New York

Inzwischen schickt auch die Ukraine vermehrt bewaffnete Kräfte an seine mehr als Tausend Kilometer lange Grenze zu Belarus. So werden etwa 3000 Grenzsoldaten, 2000 Nationalgardisten und 2000 Polizisten verlegt, außerdem sollen die teils unwegsamen Wald- und Sumpfgebiete verstärkt aus der Luft überwacht werden.

Bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats verurteilten die USA und die europäischen Mitglieder die "orchestrierte Instrumentalisierung von Menschen" durch Belarus. Ziel der Aktion von Machthaber Lukaschenko sei es, "die Außengrenze der Europäischen Union zu destabilisieren", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die in New York veröffentlicht wurde. Das belarussische Vorgehen sei inakzeptabel, man fordere deshalb eine starke internationale Reaktion.

Die Lösung der Krise liegt in Moskau

Belarus ist politisch und wirtschaftlich völlig abhängig von Russland. Seit der als gefälscht geltenden Präsidentenwahl im vergangenen Jahr wird Lukaschenko von der EU nicht mehr als Staatschef anerkannt. Direkte Verhandlungen mit dem Machthaber würden ihn möglicherweise politisch legitimieren. Aus diesem Grund setzt die EU auf den Einfluss Moskaus für die Lösung des Konflikts, wie der der lettische Außenminister Edgars Rinkevics im DW-Interview bekräftigt. Es sei letztlich im Interesse Russlands, die Vorgänge an den Grenzen von Belarus und der EU zu stoppen. 

Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin bei einem Treffen im Kreml
Kein Verhältnis auf Augenhöhe: Lukaschenko und PutinBild: Shamil Zhumatov/AP Photo/picture alliance

Die amtierende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat deshalb noch einmal mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert. Bereits am Vortag bat sie den Kremlchef um ein Eingreifen in den Konflikt. Vielleicht auch weil inzwischen die Androhung neuer Sanktionen gegen Russland laut wurde, lenkte der Kreml nun ein und teilte mit, dass Moskau sich bei der Lösung der Krise einbringen wolle. Wie der Kreml weiter bekanntgab, plädierte Putin bei dem Gespräch mit Merkel erneut für eine Wiederherstellung der Kontakte zwischen der EU und Belarus.

rb/se/wa (ap, afp, dpa, rtr)