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Wie nachhaltig können Windmühlenflügel sein?

Dirk Kaufmann
17. November 2021

Der Energiekonzern Vattenfall will die Rotoren seiner Windräder künftig recyceln und wiederverwenden. Das wirft die Frage auf: Was geschieht mit den teuren Kunststoffriesen, wenn sie sich nicht mehr am Himmel drehen?

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Dänemark Offshore Windpark Windenergie
Bild: picture-alliance/dpa

Wer ein Windrad aus der Ferne sieht, macht sich kaum eine Vorstellung von den Dimensionen. Meist zu weit entfernt und auf jeden Fall zu weit oben sind der Generator und die Rotoren, als dass man ihre Größe ermessen kann. Nur, wenn sie beim Auf- oder Abbau am Boden liegen, sieht man: Die sind wirklich sehr groß.

Auch wenn der Ausbau der Windkrafterzeugung stockt und nur noch wenige Windparks genehmigt und gebaut werden, müssen viele Generatoren und Rotoren abgebaut und manchmal auch ersetzt werden. Sei es, weil das Material ermüdet ist und Havarien drohen oder weil die Anlage vergrößert werden soll.

Endziel "thermische Verwertung"

Wolfram Axthelm, der Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie und des Dachverbandes Erneuerbare Energien rechnet im Gespräch mit der DW vor, wie viele Windmühlenflügel sich derzeit in Deutschland drehen: "Wir haben zurzeit etwa 30.000 Windenergieanlagen an Land stehen: Das mit drei multipliziert, dann haben Sie die Zahl der Rotoren, die sich an Land drehen und fleißig grünen Strom erzeugen."

Windpark - Windrad geknickt
Abgebrochener Rotor in der Uckermark: Damit es dazu nicht kommt, dürfen die Flügel sich nur eine bestimmte Zeit drehenBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Werden diese Anlagen in absehbarer Zeit weiterbetrieben oder werden sie zurück gebaut, oder werden sie durch neue, leistungsstärkere Anlagen ersetzt? "Im Moment ist der Rückbau von Anlagen ein untergeordnetes Thema", so Axthelm. "Noch ist es so, dass wir im Jahr etwa 10.000 Tonnen Rotorblätter haben, die abgebaut und dem Recycling zugeführt werden." In Bremerhaven gebe es eine Anlage, "die die Rotorblätter für die thermische Verwertung in der Zementindustrie aufarbeitet. Dort ersetzt dieses Material aus Glasfaserverbundstoffen den Einsatz von Schweröl. Das ist ein thermischer Verwertungsweg."

Ehrgeizige Ziele

"Es ist nicht länger hinnehmbar, dass Verbundwerkstoffabfälle aus der Windkraftindustrie auf Mülldeponien entsorgt werden", hatte Eva Philipp, Vorsitzende für Nachhaltigkeit im Bereich Wind beim Energieversorger Vattenfall, gesagt, als der Konzern im Oktober 2021 ankündigte, ausgemusterte Rotorblätter "ab sofort" wiederverwenden oder recyceln zu wollen.

Bis 2025 werde eine Recyclingquote von 50 Prozent bei den Rotorblättern und bis 2030 sogar eine Quote von 100 Prozent erreicht sein. Angesichts der Schwierigkeiten beim Trennen verschiedener Verbundstoffe - es fehlt an marktreifen chemischen Verfahren - muss dieser Plan sehr ehrgeizig erscheinen.

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Im Inneren eines Windgenerators gibt es viele wertvolle Rohstoffe, die man zurückgewinnen und verkaufen kannBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

"Nicht so einfach"

Ostfriesland gehört zu den bevorzugten Standorten in Deutschland für Onshore-Windparks: In Meeresnähe weht fast immer Wind und in der flachen Landschaft gibt es keine Berge, größeren Hügel oder auch nur hohe Gebäude, die einen Windschatten werfen würden. Hier hat man jahrelang Erfahrungen gemacht mit dem Bau von Windrädern und mit ihrem Rückbau - und auch mit der mangelhaften Nachhaltigkeit der Rotoren.

Matthias Philippi, Pressesprecher des Windparkbetreibers Enertrag AG, sagte dazu der ostfriesische Rheiderland Zeitung: "Für die meisten Komponenten - darunter Stahl, Zement, Kupferdraht, Elektronik und Getriebe - haben sich Recyclingkreisläufe etabliert". Doch für die Rotorblätter, die aus mit Epoxidharzen gebundenen Glasfasern oder kohlenstofffaserverstärktem Kunststoffen bestehen, sei das "nicht so einfach". Es fehlt an ausgereiften chemischen Verfahren, mit deren Hilfe man die einzelnen Verbundstoffe sauber voneinander trennen kann.

Dass es im Gegensatz zu den Verbundstoffen für die Metalle keine Probleme beim Recyceln gibt, bestätigt im DW-Gespräch auch Christian Dreyer vom Fraunhofer IAP (Fraunhofer-Institut für angewandte Polymerforschung). Der Spezialist für Verbundstoffe und Professor an der TU Wildau (Bundesland Brandenburg) führt als Beispiel den Windmühlengenerator an, in dem viel Kupfer verbaut ist. Das ließe sich "bestens recyceln und gibt noch ordentlich Geld." Und bei Karbonfasern, die noch bis zu 20 Mal teurer  sind, "lohnt es sich richtig, was zu machen."

Aus zwei mach eins?

Bei den Begriffen "Wiederverwenden" und "Recyceln" kann man leicht auf den Gedanken kommen, dass die Flügel, die sich gerade am Himmel drehen, demnächst runderneuert weiter ihren Dienst tun können. Oder dass zwei von ihnen, neu zusammengesetzt, als größerer, leistungsstärkerer Flügel wieder grünen Strom liefern.

"Nein, das heißt es nicht", stellt Eva Philipp von Vattenfall klar. Wenn ein Windpark "nicht weiter betrieben werden kann, dann sind auch die Komponenten meistens so abgenutzt, dass sie dann auch recycelt werden müssen oder dass man das Rotorblatt in einem anderen Zusammenhang nutzt, zum Beispiel Rotorblätter als Trennwände."

Bildergalerie Siemens Pannen
Viele Hersteller versuchen, beim Bau der Flügel auf Klebstoffe und so viele Chemikalien wie möglich zu verzichtenBild: picture-alliance/dpa

Auch für den Verbandschef Axthelm ist die Erwartung, man können aus zwei alten einen neuen Flügel bauen, unrealistisch: "Nein, das steht im Moment nicht zur Debatte." Dennoch hält er den Plan des Energiekonzerns für "eine sehr realistische Ankündigung. Auch andere Unternehmen haben angekündigt, bis 2030 soweit zu sein, dass sie einen stärkeren Anteil von Recycling vornehmen."

Es fehlt am Druck

Die Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit, so Eva Philipp zur DW, würden zunächst einmal viel Geld kosten: "Einsparungen sehen wir im Moment noch nicht, wir sehen, dass es ein Thema ist, mit dem wir uns auseinander setzen müssen. Im Zusammenhang mit dem Umgang mit Abfall, mit neuen Gesetzten, mit Kreislaufwirtschaft. Im Moment ist das Recycling von Rotorblättern teurer, als das Verbrennen. Wir hoffen natürlich, dass diese Technologien günstiger werden, weil die Technik sich weiterentwickelt."

Einen Grund für den noch wenig nachhaltigen Umgang mit den Rohstoffen in den Rotoren sieht Christian Dreyer vom IAP beim Gesetzgeber "Der zwingt uns noch nicht, die Teile zu recyceln." Daher müsse auch dringend weiter geforscht werden, denn er gehe davon aus, "dass früher oder später entsprechende Regularien kommen werden, dann hätte man eine Lösung schon recht weit entwickelt."