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Afghanistan: Frauenrechte im Wandel der Zeit

Manasi Gopalakrishnan
23. Januar 2022

Seit mehr als einem Jahrhundert streiten Afghanistans Machthaber und ethnische Gruppen über die Rechte der Frauen in ihrem Land. Die Betroffenen selbst wurden nie gefragt.

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Afghanistan - Humanitäre Krise
Bild: Petros Giannakouris/AP/picture alliance

"Ich habe für Afghanistans Verteidigungsministerium gearbeitet. Ich weiß, welch großem Risiko diese Frauen ausgesetzt sind. Viele haben verzweifelt ein Versteck gesucht, sie haben Todesangst erlitten", sagt Zarifa Ghafari. Nur wenige Tage nach der Machtübernahme durch die Taliban im September 2021 ist es ihr gelungen, mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland zu fliehen. Alle ihre Kolleginnen im Verteidigungsministerium haben inzwischen aufgehört zu arbeiten, erzählt sie.

Kürzlich hörte Ghafari, wie Freunde über drei Kinder sprachen, die von ihrer Mutter, die sich nicht mehr kümmern konnte, auf der Straße ausgesetzt worden waren. "Warum sollte jemand so etwas tun?", fragt sie rhetorisch und erklärt, dass viele Frauen einfach keine andere Wahl hätten. Alleinerziehende Mütter sind besonders vom Arbeitsverbot der Taliban für Frauen betroffen.

Ghafari: "Sie verloren den Krieg gegen Terroristen"

Das Regime hat Frauen auch verboten, ihr Gesicht in den Medien zu zeigen, Schulen wurden für Mädchen geschlossen, und Frauen dürfen sich ohne männliche Begleitung nicht mehr außerhalb ihres Hauses bewegen.

Frühe Feministinnen in Afghanistan

Dabei waren die Rechte der Frauen den Machthabern in Afghanistan im frühen 20. Jahrhundert ein wichtiges Anliegen, schreibt Huma Ahmed-Ghosh, Professorin am Department of Women's Studies der Universität von San Diego, in ihrer 2003 erschienenen Studie "A History of Women in Afghanistan: Lessons learnt for the Future". Frauenrechte erhielten einen Schub, nachdem Amanullah Khan nach der Ermordung seines Vaters Habibullah im Jahr 1919 den Thron bestieg. Im selben Jahr stürzte er die Briten im Dritten Anglo-Afghanischen Krieg.

Das Bild zeigt Amanullah Khan, der 1919 den Thron in Afghanistan übernahm
Setzte sich für die Rechte von Frauen ein: König Amanullah KhanBild: gemeinfrei

Amanullah ließ sich von der Modernisierung in der Türkei unter Kemal Atatürk inspirieren und läutete Veränderungen ein, wie die Befürwortung der Monogamie, Bildung für Mädchen und Frauen und die Abschaffung der Ganzkörper-Burka. Auch seine Frau, Königin Soraya, verzichtet auf die Vollverschleierung und trug stattdessen einen breitkrempigen Hut mit einem durchsichtigen Schleier. Amanullah und die Soraya reisten nach Europa und führten in Afghanistan neue Gesetze ein, die ihrer Meinung nach den Frauen zugute kommen würden.

Amanullah änderte Gesetze zugunsten afghanischer Frauen

Die meisten Gesetzesänderungen Amanullahs stießen jedoch auf den heftigen Widerstand von Stammesführern, so dass er gezwungen war, viele seiner Gesetze zurückzunehmen, darunter die Anhebung des Heiratsalters für Frauen von 18 auf 21 Jahre und die Abschaffung der Polygamie. Nach erheblichem Druck seitens der Stammesführer war Amanullah schließlich gezwungen, abzudanken und nach Europa zu fliehen.

Erst nach dem Sturz der Monarchie und der zunehmenden Entwicklungshilfe durch die UdSSR waren Frauen in der Arbeitswelt gefragt und wählten medizinische und pädagogische Berufe. In den 1970er Jahren wurden weitere Maßnahmen zum Schutz der Rechte von Mädchen ergriffen, darunter die Anhebung des Heiratsalters für Frauen und die Einführung der Schulpflicht.

Doch auch dies führte zu einer massiven Gegenreaktion seitens religiöser Stammesgruppen. Der anschließende Aufstieg der Mudschaheddin und später der Taliban führte dazu, dass sich traditionelle islamische Regeln und die Beschränkung der Frauen auf ihre Häuser wieder durchsetzten. Frauen aus konservativen Gemeinschaften empfanden zudem westliche, moderne Einflüsse als "korrupt", schreibt Ahmed-Ghosh in ihrer Untersuchung.

Afghanistans Frauen müssen im Haus arbeiten

Auch heute noch sei Afghanistan eine patriarchalische Gesellschaft, vor allem in ländlichen Gebieten, sagt Ökonomin Britta Rude, die sich mit Ungleichheit in Afghanistan beschäftigt und am ifo Zentrum für internationale Institutionenvergleiche und Migrationsforschung in München forscht.

 Ökonomin Britta Rude
Ökonomin Britta Rude Bild: Britta Rude

"Frauen, die außerhalb des Hauses arbeiten, gelten in den Augen der afghanischen Konservativen als nicht angemessen", fügt Rude hinzu. "Es gibt eine sehr traditionelle Arbeitsteilung. Frauen erledigen die ganze Arbeit im Haushalt, während Männer außer Haus arbeiten. Frauen kümmern sich außerdem um Kinder und ältere Menschen."

Diese Rollenverteilung wird von den afghanischen Männern immer noch weitgehend akzeptiert und sogar bevorzugt. Nur 15 Prozent der afghanischen Männer sind der Meinung, dass es Frauen erlaubt sein sollte, nach der Heirat zu arbeiten, und Zweidrittel beklagen, dass afghanische Frauen "zu viele Rechte" hätten, so eine von UN Women und Promundo durchgeführte Studie aus dem Jahr 2019, die von der Agentur Reuters zusammengefasst wurde. (Anm. d. R.: Da die Identität der afghanischen Frauen derzeit geschützt werden muss, wurde die Originalstudie auf Wunsch von UN Women vorübergehend aus dem Internet entfernt.)

Idee der "Ehre" wirkt sich negativ auf Frauen aus

Darüber hinaus habe die Idee der "Ehre" auch Auswirkungen auf afghanische Frauen, erklärt Rude und ergänzt, dass das Gemeinschaftsgefühl von größter Bedeutung sei. "Wenn eine Frau zum Beispiel etwas tut, das nicht mit den Werten und Normen dieser Gemeinschaft übereinstimmt, kann das den Ruf der gesamten Familie schädigen. Deshalb achten sie so sehr auf das Verhalten der Frauen und versuchen, es zu beeinflussen", erklärt Rude. "Die Normen und Werte werden von den Männern vorgegeben, und die Frauen sollen die Regeln befolgen. Sobald eine Frau davon abweicht, kann das die Ehre der Familie beeinträchtigen. Das ist auch der Grund, warum es in Afghanistan immer noch Ehrenmorde gibt", sagt sie.

Ethnische Stämme und Gemeinschaften hätten zudem oft auch ihre eigenen formellen "Urteile" zu vermeintlichen Verbrechen und Vergehen. "Sie setzen die Gesetze der Regierung - wie die gegen Ehrenmorde - außer Kraft und verhängen ihre eigenen Strafen", so Rude.

Keine Hoffnung für die nahe Zukunft

Für Zarifa Ghafari stehen die frauenfeindlichen Stammesgesetze und die aktuellen Entwicklungen unter den Taliban im krassen Gegensatz zu ihrer Vorstellung von der afghanischen Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts. "Die afghanische Kultur war vor den Jahren des Krieges wunderschön", sagt sie, es seien gute Zeiten für Frauen gewesen. Ghafari erzählt von ihrer Großmutter, die heute fast 100 Jahre alt wäre und die ihr oft Geschichten aus ihrer Jugendzeit erzählte, als Frauen zur Universität gehen und alle Kleider tragen durften, die sie wollten.

Deutschland I Laschet trifft geflohene Frauenrechtlerin Zarifa Ghafari
Mit 27 wurde Zarifa Ghafari eine der jüngsten Bürgermeisterinnen Afghanistans. Bild: Federico Gambarini/dpa/picture alliance

"Die afghanische Kultur ist die Kultur von Malala Maiwandi, die Kultur von Rabia Balkhi", sagt Ghafari. Maiwandi war eine Journalistin, die 2020 in Jalalabad von Bewaffneten getötet wurde; Balkhi war eine Dichterin aus dem 10. Jahrhundert, die sich umbrachte, nachdem sie von ihrem Sklavenliebhaber getrennt worden war, den sie nicht heiraten durfte. "Das ist meine Kultur", betont Ghafari.

Taliban verpflichten Frauen, sich zu verschleiern

In der islamischen Kultur gehe es, im Gegensatz zu den strengen Anweisungen der Taliban, beim Tragen des Hidschab darum, dass man sich wohlfühle, erklärt sie. Die Nachrichtenagentur AFP berichtete Anfang Januar, dass die Religionspolizei der Taliban in ganz Kabul Plakate aufgehängt hat, auf denen Frauen aufgefordert werden, sich zu verschleiern. Obwohl die Plakate auf die Pflicht zum Tragen des Hidschabs hinweisen, zeigen sie das Foto einer gesichtsverschleiernden Burka, was als weiteres Zeichen für die schleichenden Einschränkungen gewertet wird.

Das Bild zeigt die Historikerin Bahar Jalal in farbenfrohem Gewand, sei startete 2021 die Twitter-Kampagne #DoNotTouchMyClothes.
Traditionelle afghanische Kleidung für Frauen ist farbenfroh: Die Historikerin Bahar Jalali startete 2021 die Twitter-Kampagne #DoNotTouchMyClothesBild: Dr. Bahar Jalali/Reuters

Gegenwärtig besteht wenig Hoffnung, dass sich die Lage bessert, da die Taliban ihre ursprünglichen Versprechen in Bezug auf die Rechte der Frauen nicht eingelöst haben. Ghafari sieht den einzigen Ausweg darin, die internationale Gemeinschaft von der Dringlichkeit der Situation zu überzeugen und die Taliban unter diplomatischen Druck zu setzen, damit sie ihre Versprechen einhalten.

Adaption aus dem Englischen: Paula Rösler