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Mehr Mut, Herr Steinmeier!

13. Februar 2022

Der seit 2017 amtierende Bundespräsident bleibt uns bis 2027 erhalten. Bislang war er ein Staatsoberhaupt ohne Ecken und Kanten. Das sollte Frank-Walter Steinmeier ändern, meint Marcel Fürstenau.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darf sein Amt gerne dynamischer interpretierenBild: Mohssen Assanimoghaddam/dpa/picture alliance

Ist es respektlos, Frank-Walter Steinmeier als unauffällig zu bezeichnen? Nein, weder gegenüber seiner Person noch gegenüber seinem Amt: dem des Staatsoberhaupts in Deutschland. Von so jemandem darf man erwarten, dass er Spuren hinterlässt. Solche, an die man sich erinnern wird. Ein Bundespräsident kann auch mal Kontroversen auslösen, muss es gelegentlich auch. Vor allem dann, wenn Politik und Gesellschaft um Orientierung ringen.

Drei Beispiele, drei Fragen: Warum engagiert sich Deutschland in der Corona-Pandemie nicht stärker für mehr Impfgerechtigkeit in der Welt? Was tun, damit verzweifelte Menschen auf ihrer Flucht nicht im Mittelmeer ertrinken? Wie einen Krieg in Europa verhindern? Niemand erwartet von Steinmeier eine Lösung dieser und anderer Tragödien. Dafür sind Regierung, Parlament und Justiz zuständig. Der Bundespräsident steht über ihnen, hat sich im engeren Sinne aus der Tagespolitik herauszuhalten.

Eine Prise Richard von Weizsäcker wäre schön

Aber er sollte in seinen Weihnachtsansprachen, Gedenkreden und Diskussionsrunden häufiger die engen Grenzen seines primär repräsentativen Amtes austesten. So wie es vorbildlich Richard von Weizsäcker 1985 in seiner Rede 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs getan hat. Indem er die bedingungslose Kapitulation Hitler-Deutschlands, die totale militärische Niederlage als "Tag der Befreiung" bezeichnet hat. Und damit den Zorn vor allem konservativ gesinnter Kreise auf sich zog.

Nun wäre es unfair, alle späteren Bundespräsidenten an von Weizsäckers historischem Verdienst zu messen. Dafür sind die Zeiten und Herausforderungen viel zu unterschiedlich und deshalb schwer, oft gar nicht vergleichbar. Aber irgendwelche Probleme oder Spannungen gibt es immer. Und da ist es keinem Staatsoberhaupt untersagt, sich deutlich zu positionieren.

Christian Wulff hatte Mumm, als er den Islam einordnete

Der später nach einer beispiellosen Medien-Kampagne zurückgetretene Christian Wulff, wie Steinmeier kein Charismatiker, tat es 2010 in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Wulff löste mit seinem zentralen Satz über den Islam eine gesellschaftspolitische Debatte aus, die aus heutiger Sicht grotesk wirkt. Ihm gelang damit aber auch das Kunststück, ein Tabu zu brechen und in muslimisch geprägten Milieus als einer von ihnen angesehen zu werden. Keine schlechte Hinterlassenschaft eines Bundespräsidenten, der nur knapp 20 Monate in Schloss Bellevue residieren konnte.

Steinmeiers große Stärke: zuhören

Steinmeier darf in dieser schönen Umgebung nun weitere fünf Jahre Diplomaten zum Neujahrsempfang begrüßen oder auf Sommerfesten mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten über Gott und die Welt plaudern. Das kann er gut: zuhören, wie sie die Zumutungen in Corona-Zeiten ertragen oder sich gegen Hass und Gewalt engagieren. Auch außerhalb Deutschlands hat er sich Respekt erworben, etwa wenn er über den Holocaust redet.

Welches Potenzial in ihm steckt, zeigte Steinmeier nur selten. Eindrucksvoll war seine Dankesrede unmittelbar nach der Wahl zum Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck im Jahr 2017. "Mut zu Europa" forderte er und sagte Populisten in aller Welt den Kampf an. Auch mit seinem eindringlichen Appell an die deutsche Politik, im Kampf gegen das Corona-Virus an einem Strang zu ziehen, ließ er 2021 für einen kurzen Moment aufhorchen.

Moderieren und Mahnen ist auf Dauer zu wenig

Doch trotzdem ist da eine Leerstelle, die er in seiner zweiten Amtszeit endlich füllen sollte. Ein von ihm über den Tag hinausgehender Anstoß, skandalöse Zustände in Deutschland und der Welt endlich rigoros zu bekämpfen. Davon gibt es viele. Vor der eigenen Haustür könnte das die unübersehbare Armut sein. Die im internationalen Vergleich harmlos aussieht, aber angesichts des gesellschaftlichen Reichtums hierzulande trotzdem obszön ist. Globale Themen wären die Klimakrise oder der ausufernde Waffenhandel.  

Darüber oder zu anderen Dauerbrennern sollte sich Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident aller in Deutschland lebenden Menschen, gerne noch lauter und deutlicher äußern. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ins Gewissen zu reden wäre keine anmaßende Einmischung eines zur Überparteilichkeit verpflichteten Staatsoberhaupts. Ein bei den großen Themen unserer Zeit allzu oft nur moderierender, mitunter mahnender, aber nur selten fordernder Bundespräsident wäre auf Dauer enttäuschend. 

Vielleicht versteht Wladimir Putin die Signale

Doch es gibt erste Signale dafür, dass sich an dieser Zurückhaltung etwas ändern könnte. In seiner Antrittsrede unmittelbar nach erfolgter Wiederwahl richtete Steinmeier eine deutliche Warnung an den Provokateur Wladimir Putin und verband sie mit einem Gesprächsangebot zur Rettung des Friedens in Europa. Dieses Ziel zu erreichen, ist alle Anstrengungen wert. Dazu gehört auch der Mut, Unbequemes beim Namen zu nennen und sich einzumischen. In diesem Sinne: mehr Mut, Herr Steinmeier!

 

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland